So fängt der Tag gut an: Vorhänge aufziehen und den Blick auf die Berge unter dem blauen Himmel genießen. Fast lieblich wirkt die Landschaft mit ihren sanft geschwungenen Bergkuppen und den weit verstreuten Holzhäusern des kleinen Dorfes Magura. Hinter den sanften Kuppen lugen die felsigen Karpatengipfel des Nationalparks Piatra Craiului, zu deutsch Königstein, hervor. An der Zimmertür lauern schon die Wanderschuhe. Doch noch ist Zeit für ein rumänisches Frühstück mit Schafskäse und Holunderbeersaft.
Rumänien, für viele ein unbekanntes Land. Transsilvanien, wie diese Region hier auch heißt, ist den meisten jedoch ein Begriff. Das ist der zweifelhafte Verdienst des blutsaugenden Grafen Dracula, der das dunkle Image dieses Landstrichs wesentlich geprägt hat. Dabei gab es ihn - natürlich - nicht wirklich.
Für diese Legende soll aber eine reale, nicht weniger unangenehme Figur aus dem 15. Jahrhundert Pate gestanden haben: Vlad III. mit dem Beinamen "der Pfähler". Doch die Menschen lassen sich gerne von Vampirgeschichten gruseln. Irgendwann wollten so viele Besucher das Schloss des Vampirs aller Vampire sehen, dass den Verantwortlichen nichts anderes übrig blieb, als eines zu benennen: die Törzburg in Bran wurde zum Dracula-Schloss.
Die Mär vom bösen Wolf
Sie ist das Ziel unserer Wanderung, die uns durch das bäuerliche Rumänien führt - vorbei an kleinen Höfen und glücklichen Schweinen, die sich laut grunzend am Zaun versammeln. Die meisten Menschen hier in den Bergen sind alt. Wie überall zieht es die Jungen in die Städte. Der in die Jahre gekommene rumänische Bauer am Wegesrand hat zwar nur noch wenige Zähne, aber gute Laune. Jeden Tag arbeitet er noch, erzählt er. Heute mäht er seine Wiese. Mit der Sense natürlich. Ob wir es auch einmal probieren möchten? Ja, gerne. Er verschränkt die Arme, schaut sich das Schauspiel an und amüsiert sich köstlich.
Auch Bären und Wölfe haben hier in den Bergen ihren Lebensraum. Große Probleme macht das nicht: Für die Bauern und Schäfer gehören Wölfe und Bären zu ihrem Leben, sie haben sich darauf eingestellt. Im Burzental bei Zrneti trägt auch die frühere Forschungsstation des "Carpathian Large Carnivore Projects", die Cabana Lupului, dazu bei, die Mär vom bösen Wolf zu begraben: Crai und Poiana wurden als Welpen gefunden und von Hand aufgezogen, daher kann man ihnen sehr nahe kommen.
In der freien Wildbahn wird man einem Wolf kaum begegnen. Auch auf Bären trifft man äußerst selten. Außer man fährt zu einem Bärenhochstand, von dem aus mit etwas Glück Petze bei einem abendlichen Leckerli zu beobachten sind.
Wehrhafte Kirchen in Siebenbürgen
Etwas märchenhaft klingt der zweite Name dieser Region: Siebenbürgen. Das hört sich sehr deutsch an und ist es auch. Vor rund 850 Jahren holte der damalige ungarische König Geza II. unter anderem Rheinländer hierher. Sieben Siedlungen wurden damals gegründet, daher der Name Siebenbürgen. Die Siebenbürger Sachsen haben ihre deutschen Wurzeln über die Jahrhunderte stets gepflegt. Nur wenige leben jetzt noch hier, die meisten sind in den 1990er Jahren nach Deutschland gezogen.
In Vulcan (Wolkendorf) zum Beispiel zählt die Gemeinde von Pastor Klaus Daniel nur noch 121 Mitglieder. Seine Kirche sieht aus wie eine Burg. In früheren Zeiten dienten diese Kirchenburgen den Dorfbewohnern bei Überfällen als Zufluchtsort. Ausgeklügelte Vorratsräume ließen die Menschen auch Belagerungen überstehen.
Über 150 dieser wehrhaften Kirchen sind erhalten. Nicht wenige stehen vor dem Verfall. Der ehemalige Bischofssitz in Biertan (Birthälm) hat damit wenig Probleme: 1993 wurden Kirchenburg und Dorfkern zum Unesco Weltkulturerbe, was eine umfangreiche Restaurierung ermöglichte. Nicht weit von Biertan entfernt liegt das Städtchen Sighioara (Schäßburg), dem Ungemach von anderer Seite drohte.
Die historische Altstadt wäre fast den Modernisierungsplänen des Ceausescu-Regimes zum Opfer gefallen. Sie sollte komplett abgerissen werden. Der politische Wandel verhinderte dies und so kann man auch heute noch die mittelalterliche Oberstadt auf dem Burgberg und die Unterstadt mit ihren kleinen Gassen erkunden.
Idylle wie vor 100 Jahren
Ein besonderes Erlebnis ist der Aufenthalt in Viscri (Deutschweißkirch). Hübsch aufgereiht stehen die bunten, teilweise 200 Jahre alten Häuser entlang der Hauptstraße - einer Sandpiste, über die jeden Abend die Kühe zielstrebig von der Weide zurück in ihren Stall trotten. Hunde, Pferde, Hühner, Schweine komplettieren das Bild einer dörflichen Idylle wie vor 100 Jahren. Auf dem Hügel über dem Dorf thront auch hier die Kirchenburg. In Viscri gibt es kein Hotel, man übernachtet mit Familienanschluss. Ein Projekt zur Tourismusentwicklung mit prominenter Unterstützung: Prinz Charles engagiert sich für dieses Unesco-Weltkulturerbe. Und war schon zweimal dort.
Die größte Stadt Siebenbürgens, Sibiu oder Hermannstadt, sieht 2007 einem aufregenden Jahr entgegen. Gemeinsam mit Luxemburg wird sie europäische Kulturhauptstadt sein. Die schöne Altstadt, während der Ceausescu-Ära dem Verfall preisgegeben, wird mit großer Anstrengung und hohem finanziellen Aufwand restauriert. Klaus Johannis, Sibius Bürgermeister, ist sicher, dass bis zum Jahresanfang alles fertig ist. Und es sich schnell rumsprechen wird, dass seine Stadt und Siebenbürgen eine Reise wert sind.