Schnee im Herbst: Die Vorboten des Winters sind dichte Flocken auf dem Bahnsteig von Davos. Der frühe Winter trifft die Kongressstadt in Graubünden nicht unvorbereitet. Auf stolzen 1600 Metern Höhe sind sie frühen Schnee gewohnt, schließlich ist Davos die höchstgelegene Stadt der Alpen. Früh am Morgen werden die Straßen für die Touristen eisfrei gemacht. Und das, obwohl die meisten gar nicht mit dem Auto kommen oder weiterfahren wollen. Denn Davos ist Start und Ziel des Bernina Express. Die Reise im Roten Zug führt über den gleichnamigen Pass nach Tirano, Richtung Italien.
Am Bahnhof haben sich die Reisenden auf dem Bahnsteig versammelt. Wie die Kinder bestaunen sie das Graubündner Wappen mit dem Steinbock vorne auf der Lok. Jeder Wagon prunkt mit Panoramascheiben, aus denen man einen perfekten Blick auf die Schweizer Hochalpenwelt hat. Von Davos aus schraubt sich der Rote Zug hoch nach Wiesen und Glaris, den Vorzeigedörfern des Kantons Graubünden. Vom Talgrund, wo sich ein kleiner Bach sein Bett in den Felsen gegraben hat, bis zu den Berggipfeln überblickt man schwindelerregende 1000 Meter Felswand. An den Bäumen hängen immer noch die Äpfel, trotz des dichten Schneefalls. Die Kühe an der Bahnstrecke bleiben vom frühen Winter unbeeindruckt.
Hinter Filisur steigen die Gleise in Wendeln von 1000 Metern auf 1800 Höhenmetern an. Der rote Bernina Express passiert das wohl berühmteste steinerne Viadukt, das direkt hinter einer steilen Felswand aufwärts führt. Diese Wendel helfen der Bahn, die Höhenunterschiede ohne Zahnrad zu überwinden. Geniale Baukunst schlauer Ingenieure. Oben auf der Passhöhe des Bernina Passes liegt nicht nur Schnee, es ist auch noch neblig. Mondlandschaften in Winterweiß jenseits der Baumgrenzen: Das Reich der Mineralien herrscht auf 2200 Metern über dem Meeresspiegel.
Italienische Lederschuhe statt Schneestiefel
Nach einer Zwischenstation im Bahnhof von Alp Gruem geht es bergab nach Tirano. Das Val di Poschiavo ist ein italienisch sprechendes Tal. Die Landschaft verändert sich mit jedem Meter Richtung Süden. Die Vegetation wird blattreicher, die Häuser mediterraner. Hier im Süden scheint die Sonne, Palmen wachsen in den Gärten. Italienische Mode liegt in den Geschäften aus und die Männer sitzen im Anzug und Lederschuhen mit Rotweinglas in der nachmittäglichen Sonne und unterscheiden sich äußerlich bewusst stilvoll von den rustikalen Reisenden, die in Wanderschuhen und mit Softshells ihre Wetterkompatibilität unter Beweis stellen. Junge Mütter schieben gestiefelt ihren Nachwuchs im Buggy über die platanengesäumten Alleen. Die Reise führt nicht nur durch verschiedene Klimazonen, sondern auch durch unterschiedliche europäische Kulturschichten. Vom verschneiten Alpenraum in den mediterranen Süden und das in nur einem halben Tag. Vom spätsommerlichen Tirano fährt der Zug Richtung Norden ins winterliche St. Moritz. Wie alte Bekannte grüßen die Häuser, die Esel auf den Schafsweiden und die kuriosen Steinviadukte. Nach dem der erneuten Überquerung des Berninapasses nimmt der Zug direkten Kurs auf St. Moritz, das Las Vegas der Alpen. St. Moritz ist auch der Startbahnhof für den zweiten Zug, den berühmten Glacier Express Richtung Zermatt.
Der Orient Express lässt grüßen
Bahnhof St. Moritz, Glacier Express, morgens um zehn im Speisewagen. Der Wagen muss älter sein, als alle Mitreisenden. Unmengen von Messing wurde für Lampen, Getränkehalter, und Griffe verarbeitet und er schaukelt er so ungefedert aber stimmungsvoll, dass der Kaffee überschwappt. Agatha Christie und ihr "Mord im Orient Express" lassen grüßen. Die Zugfahrt hat etwas vom "Kino Gottes" man sitzt ganz entspannt und betrachtet den Wechsel der Landschaften, des Wetters, der Höhen und der Tiefen. Und Gott hat seine Sache gut gemacht in diesem Teil der Schweiz.
Service und Informationen
Buchung
City Reisebüro - Udo Hell GmbH Rathausstraße 24, 66914 Waldmohr, Tel.: +49-(0)6373-8117-23
www.bahnurlaub.de
Fahrplanauskunft und Tickets
Rhätische Bahn, Bahnhofstrasse 25, CH – 7002 Chur, Tel.: +41 (0) 81 288 61 04
www.rhb.ch
Unterkünfte
Arabella Sheraton Hotel Waldhuus, Mattastrasse 58, CH - 7270 Davos Platz, Tel.: +41 (0)81 417 93 33
www.arabellasheraton.com
Hotel Schweizerhof, 7500 St. Moritz, Tel.: +41 (0) 81 837 07 07
www.schweizerhofstmoritz.ch
Hotel Daniela, 3920 Zermatt, Tel.: +41 27 966 77 00
www.zermatt.ch/daniela/
Im Speisewagen steigt ein alter Schweizer hinzu, Walter Denzel, Ex-Skifahrer, Ex-Radrennfahrer und Ex-Klempner. Jedes Jahr leistet er sich diese Reise. Abends muss er wieder in Zürich sein, dann kommt der Pfleger, er braucht seine Insulinspritze. Seine Hände zittern stark, die Getränke werden ihm vom Personal eingeschenkt. Achtmal hat der Walter Denzel die Tour setzt schon mitgemacht, früher fuhr er gemeinsam mit seiner Frau. "Ich hatte eine Modelleisenbahn zu Hause", erläutert er seine Begeisterung für Züge. "Aber jetzt, bei dem Handgezitter, kann ich keine Schienen mehr zusammenstecken. Zuerst hat meine Frau das für mich gemacht, aber vor zwei Jahren ist sie gestorben." So bleibt dem Walter die Fahrt durch die echte Welt der Eisenbahnen, er genießt es mit stiller Zufriedenheit. "Wie werden hier die Schafe genannt?" will er wissen. "Na, Pulloverkühe" erklärt er verschmitzt den Mitreisenden.
Gesäumt von nicht weniger als 38 Viertausendern
Der Glacier Express indes verschwindet in den Tiefen der Gesteine. Der Furkatunnel unter dem gleichnamigen Pass verschluckt den Zug für ganze 15 Kilometer und 15 Minuten. In Oberwald taucht er wieder auf und entert das Goms. Dieses Tal wurde im neunten Jahrhundert von Schwaben aus besiedelt. Ortsnamen wie Recklingen, Selkingen, Bitzingen und Gluringen zeugen noch heute von den Walsern, von denen ein Teil wieder Richtung Norden ins heutige Klein-Walsertal weiterzog. "Hier sind die Leute fromm!" weiß Walter zu erzählen. Klöster und Kirchen am Wegesrande zeugen von der "reinen katholischen Lehre". Vorbei am größten Gletscher der Alpen, dem Aletschgletscher fährt der Zug über Brig und Visp ins Mattertal.
Zermatt ist das Ziel und der Endbahnhof des Glacier Express. Es wird, am Rande des Monte Rosa Massivs liegend, von nicht weniger als 38 Viertausendern umsäumt. Das Matterhorn, Der Star unter den Schweizer Bergen, markiert das Ende der Reise. Jedem Kinde von der Tobleronepackung und seinem dreieckigen Inhalt bekannt, dominiert das Horn den Ferienort. Ein Symbol einer Reiseroute, die sich den steinernen Höhepunkt für zuletzt aufgehoben hat. Trotz der medialen Präsenz ist das Matterhorn ein faszinierender, ein echter Berg, der mit seiner scharfen Kante und der leichten Achsendrehung eine Sonnen- und eine Schattenseite hat, egal zu welcher Jahreszeit.