Städtereisen-Tipp von "Geo Saison" Triest - die Schöne in Italiens fernem Osten

Von Petra Mikutta
Es muss nicht immer Rom oder Mailand sein: Triest, die schöne Hafenstadt an der Adria, ist von Touristen noch nicht überlaufen und gerade jetzt im Frühherbst ein ideales Reiseziel.

Es ist Mittagszeit, und die vielen Cafés würzen die kleine Piazza Cavana in der Altstadt mit dem Aroma von Olivenöl, Kaffee und Parfums. Unter den Markisen nippen Frauen in leichten Sommerkleidern an Wein- und Wassergläsern. Männer in Jeans und Polohemden legen den Kopf zurück und seufzen. Man entspannt sich, befragt Smartphones, macht Mittag. Die meisten sind Börsianer, Bänker, Versicherungsangestellte aus den Büros, ein paar Gehminuten entfernt. In einer Ecke hockt ein kleiner hemdsärmeliger Mann auf einem Schemel und streicht mit einem Bogen über eine Säge. Sie singt Balkanmelodien, Heimatlieder.

Triest, kaum 30 Kilometer von der Grenze zu Slowenien entfernt, liegt nicht nur geografisch näher an Ljubljana als an Rom. Die meisten Straßenschilder sind zweisprachig, es gibt slowenische Schulen und Zeitungen. Pasta, aber auch Schweinewürste mit Kraut sind regionale Delikatessen. Dazu Apfel- und Nussstrudel, der hier "presnitz" heißt: Jahrhundertelang war die Stadt der Seehafen und das Seebad Österreichs. Ende des Ersten Weltkriegs gehörte sie erstmals zu Italien, aber nur kurz: Die Nazis eroberten sie, Jugoslawien besetzte sie, sie wurde zum neutralen Staat erklärt. Erst seit 1954 ist Triest italienisch. Es übt noch.

Neoklassizismus in Nebenstraßen

Die Sägenklänge torkeln durch Sträßchen, über denen sich Giebel neigen, bis sie einander fast berühren. Die Enge zwingt zu Nähe: Man tänzelt aneinander vorbei, kaum möglich, einander nicht in die Augen zu schauen und zu lächeln. Die Altstadt ist intensiv, ein Konzentrat wie Espresso. Im Nordosten tröpfelt es auf die riesige Piazza Unità d’Italia, das moderne Zentrum, und verschwindet wie ein Bach, der in einen Strom mündet.

Übernommen aus

Geo Saison, Heft 10/2012, für 5 Euro ab sofort Kiosk.

Es herrscht ein anderer Ton. Wien, nur kleiner, hat sich Kaiserin Maria Theresia von Österreich gewünscht, als sie Mitte des 18. Jahrhunderts den Auftrag gab, Triest als k. u. k. Metropole neu zu erfinden. Der Hauptplatz, Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut, stellt diese barocken Paläste jedoch in den Schatten. In Nebenstraßen verstecken sich noch ein paar verschüchterte Exemplare zwischen den neoklassizistischen Spektakeln, die das Stadtbild im Zentrum prägen.

Triest lässiger Dresscode

Auf der Piazza Unità d'Italia, die sich gebieterisch zur Adria öffnet, funkeln und prahlen Rathaus und Verwaltungspaläste. Echo hallt. Die Cafés sind Logen: Man setzt sich anständig hin und lässt sich von Fassaden mit Karyatiden, Lisenen, Säulen beeindrucken. Am Horizont schweben Containerschiffe; das rostige Industriegebiet, in dem sie be- und entladen werden, liegt diskret im Abseits, einige Kilometer südlich. Ein Großteil des Öls und Kaffees kommt über Triest ins Land. Der italienische Neuling ist tüchtig und kann als traditionsreiches Handels- und Finanzzentrum gut mit Geld umgehen.

Infos Triest

Anreise: Lufthansa/Air Dolomiti fliegt ab München direkt nach Triest. Per Bahn ist Triest in ca. 12,5 Stunden ab Frankfurt zu erreichen; Autozüge fahren vom 1. April bis 31. Oktober ab Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Hildesheim.

Reisezeit:

ganzjährig; von Okt. bis Feb. kann die Bora fegen, den Rest des Jahres der feucht-warme Scirocco.

Auskunft:

Consorzio Promotrieste, Molo Bersaglieri 3, Tel. 040-30 48 88, www.promotrieste.it. Agenzia Turismo FVG bietet u. a. die FVG Card (ab 15 Euro/48 Std.) für freien Eintritt und Rabatte in vielen Museen, Verkehrsmitteln, Parks, Bars u. v. m. Via dell’Orologio 1, Tel. 040-347 83 12, www.turismofvg.it

Auf dem angrenzenden Börsenplatz rührt Guerrino Lanci in seiner Espressotasse. Er trägt zur schwarzen Jeans ein T-Shirt mit Seglermotiven, weil er gern segelt. "In Mailand wäre ich für verrückt erklärt worden, wenn ich so zur Arbeit erschienen wäre", sagt er, aber der Triester Dresscode sei lässig, wie das Leben: "Es gibt kaum Kriminalität, wenig Armut. Und man macht lange Pausen und früh Feierabend. Kein Ort für Ehrgeizige. Dafür ist er viel zu schön, mit dem Karst und der Steilküste vor der Tür."

Mehr als ein Zwischenstopp

Guerrino ist aus Mailand in die Heimat zurückgekehrt, um als Leiter des städtischen Touristikbüros ein wirtschaftliches Standbein zu stärken. "Wir sind für die meisten nur ein Zwischenstopp oder ein Landgang bei einer Kreuzfahrt. Das wollen wir ändern." Noch ist Triest kein Biotop für Warteschlangen, und Stadtbummel sind Entdeckungsreisen, weil Wegweiser zu Sehenswürdigkeiten und Texttafeln meist fehlen. Das Revier ist klein, kaum möglich, nicht in einem der Wiener Kaffeehäuser zu landen, die Wohnzimmer von Dichtern wie James Joyce und Italo Svevo waren, in einem urigen serbischen Imbiss oder in einer romantischen Osteria.

Vor dem Börsen-Tempel taucht Poseidon aus einem Brunnen auf, weitgehend unbemerkt. Wenig entfernt sonnt sich eine einsame Halbmond-Skulptur zwischen Apartmentwürfeln: das antike Teatro Romano. Etwas nördlich hält der historische Hafen Schönheitsschlaf und träumt davon, in ein paar Jahren als Docklands aufzuwachen. Und über allem thront Castello di San Giusto, das älteste Gemäuer der Stadt, unbelästigt von Gastronomie. Unten im Zentrum hat sich bisher kein Café getraut, die befahrene Uferstraße zu überqueren, um direkt am Meer zu posieren. Wer in der ersten Reihe sitzen will, legt seine Jacke auf die Betonmole, streift die Sandalen ab – und fühlt sich wie zu Hause.

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