Der Winter hat ein Ende, nun fängt der Frühling an. In Jaipur, im indischen Bundesstaat Rajasthan, beginnt das heilige Fest der Inder. "Holi" flüstern die Wartenden. Männer schlendern durch die Straßen, Frauen sind festlich in bunte Saris gekleidet. Sie sitzen auf den Treppenstufen vor ihren Häusern, scherzen und tuscheln, offerieren heißen, süßen Tee mit nach Rosen duftendem Gebäck. Kinder toben hindurch. Bunte Papierdrachen, die eben noch im Himmel schwebten, liegen nun auf den brennbaren Haufen überall in den Gassen. Zusammen mit Stroh und getrockneten Kuhfladen, geschmückt mit Blumengirlanden, Kräutern werden sie später entzündet. Der Abend der Freudenfeuer steht bevor. Darin wird auch das Bild der Dämonin Holika verbrannt, deren Vernichtung mit "Holi" gefeiert wird.
In der Legende streiten Vater und Sohn um die "richtige" Religion. Der Sohn glaubt an Vishnu. Der Vater Hiranyakashyap ist ein Dämonenkönig, hält sich für gottgleich, agiert selbstherrlich und machtsüchtig. Er toleriert nicht, dass sein Sohn Prahlad nicht ihn, sondern Vishnu anbetet. Der Vater versucht seinen Sohn zu töten. Nach mehreren Versuchen, die stets von Vishnu vereitelt wurden, soll die Tochter des Dämonenkönigs Holika mit ihrem Bruder ins Feuer steigen. Sie ist durch einen Umhang aus Wasser vor Feuer geschützt. Doch auch hier greift Vishnu ein, Holika verbrennt, der Junge überlebt. Ein Zeichen für den Triumph des Guten über das Böse. Holi ist eine Feier der Freude, gehört zu den wichtigsten Hindu-Festen, wird vor allem im Norden gefeiert. In Bengalen heißt das Fest Dol Yatra und im Süden nennt man es Kamadahana.
Feuer in den Straßen
Plötzlich rasen zwei junge Männer auf einem Motorrad durch die Gasse. In der Hand hält der Sozius eine Fackel aus brennenden Schilfrohren. In Windeseile und unter großem Gejohle entzünden sie die Strohhaufen in den Straßen. "Happy Holi" wird von allen Seiten gewünscht. Die Stadt versinkt im qualmenden Rauch. Hinter den Schwaden steigt der Vollmond des indischen Monats Phalgun in den blau-rosa schimmernden Abendhimmel. Unermüdlich sind die Händler mit Karren unterwegs, auf denen sie buntes Farbpulver, zu Häufchen aufgeschüttet, vorsichtig balancieren. "Gulal" heißt das Pulver, das selbst Elefantenhaut kunstvoll färbt.
Ritt zum Elefantenpolo
Schon in den frühen Morgenstunden wandern die grauen Dickhäuter samt ihren Reitern die schmalen Landstraßen entlang zum großen Turnier, unbeeindruckt von den hupend vorbei fahrenden Autos. Gläubige Familien machen noch schnell einen Ausflug zum nahe gelegenen Affentempel: Gurus mit zerzausten, strähnigen Haaren tönen meditative Gesänge. Ein Schlangenbeschwörer preist seine Kunst.
Rufe und wildes Gehupe, dreirädrige Motorrikschas und schwitzende Fahrradrikschafahrer stauen sich im Smog. In der Mittagshitze am Chaughan-Stadion in Jaipurs Altstadt werden die Elefanten bemalt und geschmückt. Die Künstler rühren Farbpulver in Flüssigkeit. Prächtige Bilder entstehen auf der groben Stoppelhaut. Die Augen eines gemalten Leoparden sind die Echten des Elefanten, weshalb das Bildnis auf dem Rüssel lebendig wirkt. Pink, orange, grün, gelb und lila Farbe leuchtet in kunstvollen Blumenornamenten an den Ohren und Beinen der Tiere. In der Mythologie spielen Elefanten eine wichtige Rolle, so wie "Airavata" auf der Göttin "Indra" reitet. Der prunkvollste Dickhäuter wird am Ende gekürt.
Aufgesattelt für das Elefantenpolo
Auf die Rücken hieven die Reiter schwere Sattel und verschnüren sie mit dicken Tauen. Dann legen auch die stolzen Eigentümer der Elefanten Hand an. Salim Khan ist einer von ihnen. Persönlich, voller Stolz schmückt er die Stirn seines Tieres mit einem dreieckigen Silberplättchenteppich. Er drückt weiße Rohre mit Silberornamenten auf die Stummel der Stoßzähne und behängt sie mit Stoffstreifen. Die eingewebten Silber- und Goldfäden glänzen und funkeln in der Sonne.
Das Stadion füllt sich. Die Männer mit seidenen Turbanen reiten auf den ausstaffierten Elefanten in die Arena. Tänzerinnen treten auf, begleitet von den Tönen der Sitar, Tabla und Shehnai, eine Art Oboe. Turnierbeginn. Zwei Reiter sitzen auf einem Elefant. Ein Lenker, ein Spieler. Drei Elefanten pro Mannschaft stellen sich auf. Das Spielfeld ist um ein Drittel kleiner als beim Pferdepolo. Anpfiff. Die Spieler versuchen mit ihren langen Polo-Schlägern den klein wirkenden Fußball zwischen die Torpfosten zu schieben. Tor! Nicht nur die Kinder springen auf. Das Spiel mit den mächtigen Tieren verläuft wie in Zeitlupe, dauert nur sieben Minuten. Mit beeindruckender Wendigkeit manövrieren sich die Elefanten zum Ball. Beim Abpfiff steht es 6:3. Die Siegermannschaft wird gefeiert. Noch einmal marschiert die Garde der prächtig geschmückten Elefanten auf.
Bunt bekleckst sind sich die Inder näher
Am nächsten Morgen schallt lautes Lachen und Gekreische durch die Straßen. Menschen rennen über den Asphalt, werfen mit Farbpulver, beschmieren die Gesichter und rufen: "Happy Holi". Wasserpistolen werden mit Farbflüssigkeit beladen. Alles ist erlaubt. Eine riesige Sauerei! An diesem Tag, ein einziges Mal im Jahr, fallen alle Standesregeln. Der Diener darf den Maharadscha umarmen, jedermann darf dem Nachbarn oder einem Passanten Farbpulver auf den Pullover werfen oder mit Farbflüssigkeit Gesicht und Haare bespritzen. Die bunte Farbe macht alle Menschen gleich, egal welche Kaste und Kleidung, egal welche Hautfarbe. Emotionale Explosion. Die Menschen umarmen sich, singen, tanzen und schicken sich Grußkarten: "An Holi kommen Herzen sowie Farben zusammen."
Traditionelle Familien sind schon Wochen zuvor mit der Herstellung der natürlichen Farbe beschäftigt. Wie beim Kekse backen, haben die Großmütter die besten Rezepte: Rotes Sandelholzpuder leicht gestoßen ist zugleich gut für die Gesichtshaut. Kräftiges Grün wird aus purem Henna-Puder produziert, Gelb aus Kurkuma. Heilige weihen die Farben auf dem Altar. Sie sollen Segenswünsche überbringen. Familien, die Ayurveda praktizieren, sind überzeugt, dass das Pulver den Organismus schützt, wenn sich zum Ende des Winters die Energiespeicher leeren. Immer öfter werden allerdings synthetische Farben eingesetzt, die billiger und schädlicher sind.