Die Reise war angenehm. Sanftes Brummen über dem Atlantik, dazu Hühnchencurry, Schlafsocken und 60 Spielfilme zur Auswahl. Flug SQ26 aus Frankfurt setzt planmäßig um 11.00 Uhr Ortszeit auf dem New Yorker Kennedy Airport auf. Doch als Patrick kurz darauf vor dem Beamten der Einreisebehörde steht, gibt es ein Problem. Mit den Papieren stimmt etwas nicht, der Name steht dort, wo die Adresse hingehört, die Hotelanschrift fehlt - und überhaupt: "Sie wollen in acht Stunden schon wieder zurückfliegen, nach Germany?" Patrick nickt, jetzt bitte keinen Ärger, die Zeit ist kostbar. Der Beamte murmelt "crazy", guckt noch mal in den Reisepass, dann in Patricks Gesicht. "Okay, füllen Sie das neu aus, und stellen Sie sich noch mal ans Ende der Schlange." Na toll, 20 Minuten schon bei der Einreise verplempert, das fängt ja gut an.
Als Patrick, 22, und seine Freunde Frank, 26, und Julien, 21, ins Taxi steigen, bleiben ihnen noch sechseinhalb Stunden. 390 Minuten, um die Hauptstadt der Welt zu erobern. Frank, Wirtschaftsstudent aus Dresden, hatte nicht lange überlegen müssen, als seine Kumpel ihn fragten, ob er den Tagesausflug mitmachen wollte: Frankfurt-New York und zurück in nicht einmal 27 Stunden. Seiner Mutter erzählte er vorsichtshalber nichts davon. "Ich ruf sie nachher an. Ich denke, sie wird überrascht sein."
Julien, der Medizin in Ungarn studiert, war schon zweimal in New York. Er fand die Kurztrip-Gelegenheit für 333 Euro aber günstig, um sich im "Medical Bookshop" in der Nähe des UN-Hauptquartiers mit Fachliteratur einzudecken. Über das Programm waren sich die drei schnell einig: so viel abklappern wie möglich. Ground Zero, Chinatown, Central Park, Empire State Building und United Nations sollten drin sein, dazu auf jeden Fall "shoppen, denn das geht hier viel besser als in Deutschland", sagt Frank.
Das Taxi hält in East-Side Manhattan, der Fahrpreis fällt plötzlich fünf Dollar höher aus als vereinbart, aber zum Dis-kutieren ist keine Zeit. An so einem Tag muss man großzügig sein, und deshalb bestellt Julien nach dem ersten Hot Dog gleich noch einen zweiten. Der Verkäufer wirft eine Wurst ins Wasser, fischt sie ein paar Sekunden später wieder raus und schiebt sie lauwarm ins Brötchen.
Noch sechs Stunden.
Patrick drängelt zum Aufbruch, da vorn ist die Brooklyn Bridge, da muss man unbedingt drübergehen. Schließlich studiert er in Dresden Architektur. Die Truppe schafft es bis zur Mitte, reicht ja auch. Überraschenderweise ist in der Ferne die Freiheitsstatue zu sehen; großartig, denn der Bootausflug zu Madame wurde wegen zu großen Zeitaufwands frühzeitig aus dem Programm gekickt. Nun aber zurück, wenn man sich beeilt, ist das Ufer Manhattans von der Brückenmitte aus in sieben Minuten zu erreichen. Und jetzt? "Ground Zero", sagt Julien bestimmt, "wir nehmen die U-Bahn."
Runter in den Schacht, Tageskarte ziehen. Der Automat nimmt keine großen Scheine, Mist, hat noch jemand Kleingeld? Endlich finden sich ein paar Münzen. Kann mal jemand auf der Karte gucken, in welche Richtung wir überhaupt fahren müssen? Die U-Bahn rattert los, nur eine Station und ein paar Schritte durch das New Yorker Bankenviertel, dann würde man schon am Bauzaun von Ground Zero stehen. Doch auf dem Weg dorthin liegt das Kaufhaus "21'st Century", das mit Schnäppchen in allen Abteilungen lockt. Frank hat schon genug vom Sightseeing und will jetzt eine Stunde shoppen, Julien handelt ihn auf 30 Minuten herunter. Patrick steuert zielstrebig auf die Abteilung mit Polohemden zu. Eine halbe Stunde später kommt er mit grimmigem Gesichtsausdruck wieder aus dem Kaufhaus heraus. Die Superschuhe, die er nebenbei entdeckt hat, gab es leider nicht mehr in seiner Größe. Er hat gehört, dass sogar Queen Elizabeth auf die Marke "Tod's" steht, kann man die nicht vielleicht auch eine Nummer kleiner nehmen?
Um das auszuprobieren, reicht die Zeit nicht, ebenso wenig wie für Harrys Vortrag. Harry steht mit einem abgegrabbelten Fotoalbum in den Händen am Ground Zero. Er trägt eine schwarze Mütze mit Amerika-Flagge und erklärt den Touristen, wie es hier mal ausgesehen hat. Man soll in den Himmel gucken und sich vorstellen, dass hier zwei Wolkenkratzer standen, die fast doppelt so hoch waren wie die umstehenden Gebäude. "Learn the facts, pleeease", fleht er. Wer ihm eine Münze in die Plastikflasche wirft, die an seinem Hals baumelt, dem erzählt er sogar seine persönliche Geschichte vom 11. September. Aber Chinatown soll auch spannend sein.
Noch viereinhalb Stunden.
Die Tagesbesucher nehmen den Expresszug, der aber hält nicht in Chinatown, sondern erst einige Stationen weiter. Was nun, zurückfahren oder den Programmpunkt streichen? Julien meldet Hunger an und lässt nebenbei einfließen, dass es in Chinatown ganz vorzügliche Restaurants gibt. "Und im Wo Hop coole T-Shirts mit Drachen drauf." Doch die Argumente sind zu schwach, Chinatown und die Drachen sterben in der Diskussion. "Wir fahren zum Madison Square Garden", fasst Julien mit einem bedauernden Schulterzucken zusammen. Dort toben die Eichhörnchen dreifarbig durch die Bäume, merkwürdigerweise ist keines davon rotbraun. Und da hinten glänzt in der Nachmittagssonne das nächste Ziel, das Empire State Building.
Noch dreieinhalb Stunden.
Der Warteschlangengott ist gnädig, schon nach zwölf Minuten surrt der Aufzug in den 86. Stock. 25 Meilen Sicht, da sind jede Menge Klassiker im Eiltempo abzuhaken. Central Park: gesehen. Fifth Avenue: gesehen. Trump Tower: gesehen. Der Wind pfeift, Patrick dreht drei Runden auf der Aussichtsplattform und verschwindet im Souvenirshop. Es wird Zeit, Beweise zu sammeln für den Aufenthalt, aber die Krone der Freiheitsstatue aus Schaumstoff ist als Mitbringsel doch etwas zu kitschig. Nächste Station: Vereinte Nationen.
Noch zwei Stunden.
In den Büros der United Nations wird zwar noch am Weltfrieden gearbeitet, Besucher allerdings sind jetzt, um 17 Uhr, nicht mehr erwünscht. Egal, mehr als ein Erinnerungsfoto vor hellblauer Flagge wäre zeitlich eh nicht drin gewesen. "Irgendwo hier in der Gegend muss der Medical Bookshop liegen", wirft Julien ein und schaut sich ratlos um. Eine Adresse wäre jetzt von Vorteil, und weil die Polizisten an der Ecke auch keine Ahnung haben, muss sich Julien von den wissenschaftlichen Aspekten des Ausflugs verabschieden.
Noch 60 Minuten.
Inzwischen ist die Dämmerung zur Dunkelheit geworden. Patrick wirbt lautstark für einen Spaziergang zur Fifth Avenue. Die Geschäfte, die Lichter, ihr wisst schon. Auf dem Weg durch die Straßenschluchten deckt sich Frank mit einem Vorrat angesagter Coffein-Limonade ein. Patrick interessiert sich für die moderne Kunst im Schaufenster einer Galerie. Zum Kauf aber fehlt die Muße. Wie geht's von hier eigentlich zur Central Station?
Noch 30 Minuten.
Später, als die drei erschlafft in den Ledersesseln am Flughafen hängen, wird Patrick pathetisch: Trotz der Hetze habe er an diesem Tag eine neue Liebe gefunden. "Ich fühle mich dieser Stadt tief im Herzen verbunden", sagt er und seufzt. Dann rappelt er sich aus dem Leder hoch. Im Duty-Free-Parfümshop gibt es die Düfte Amerikas. Patrick schlägt bei "Polo Black" für 60 Dollar zu. "Meine Flakons gehen eh zur Neige." Frank hätte seiner Freundin gern einen Pullover mitgebracht, er fand die Zeit zum Shoppen zu kurz. Julien ist glücklich, weil "man so was Verrücktes bestimmt nur einmal im Leben macht".
Noch bevor die Stewardess das Lammragout serviert, sind die drei Cityhopper eingeschlafen.