Tag 9 - Von Pakxe ins Dorf Hian Hin Vergoldete Träume

Von Helge Bendl
Wir finden glitzernde Partikel im Schlamm des Mekong und übernachten spontan in einem laotischen Dorf. Doch die Expedition ist vom Pech verfolgt - auch das zweite Getriebe ist hin.

Dieses Geräusch macht einen fast wahnsinnig. Statt dem sonoren Surren ist es ein holperndes Klackern, dem man genau anhört, dass etwas nicht in Ordnung ist. Normalerweise sind die beiden Viertaktmotoren, die wir auf der Mekong-Expedition verwenden, die leisesten und saubersten auf dem Markt. Schließlich wollen wir nicht lärmend über den Fluss brausen und eine Wolke aus dunklem Abgas hinter uns herziehen. Doch nun ist plötzlich alles anders.

Eigentlich war die Geschichte vom defekten Getriebe gestern schon zu Ende erzählt - der Motor, den Andy mit dem Ersatzteil aus Thailand schnell repariert hat, läuft auch immer noch einwandfrei. Dafür macht nun nur einen Tag später der Motor des anderen Schlauchbootes Probleme. Wahrscheinlich hat er von einem Stein im Wasser einen Schlag abbekommen. Sicher ist nur: Er poltert wie eine uralte Maschine auf einem Fischkutter. Wir brauchen Ersatz. Aber dieses Mal gibt es keinen Ersatzmotor mehr.

Der Mekong als gemächlicher Fluss der weiten Ebene - das war gestern. Heute zeigt er sich rauer, zwängt sich zwischen die Berge des laotisch-thailändischen Grenzgebiets. Am rechten Ufer ist Laos, links ist Thailand - und auf beiden Seiten ist es fast menschenleer. Erst wenn man genauer hinsieht, erkennt man gespannte Netze zwischen den Felsen, deuten sich künstlich geschlagene Lichtungen im Dschungel an, der fast bis ans Wasser heranreicht. Pak Saeng und Song Khon heißen die Stromschnellen, die wir überwinden müssen. Am Anfang schafft es das defekte Boot noch alleine. Später nehmen wir es ins Schlepptau, um nichts zu riskieren, sollte der Motor gerade im ungünstigsten Zeitpunkt aussetzen und das Boot an die Klippen treiben.

"Mad about the Mekong"

Einbäume sieht man noch am Ufer, größere Boote aber keine. "Mad about the Mekong" seien die Franzosen gewesen, ziemlich besessen und verrückt, von einer Handelsstraße zu träumen, an der es weder genügend Menschen gab noch die Wasserstraße selbst, spöttelt der britische Buchautor John Keay. An der Situation hat sich nicht viel verändert. "Bis vor fünf Jahren gab es hier noch Boote. Aber selbst mit erfahrenen Piloten schlugen sie sich immer wieder Lecks oder blieben ganz an den Felsen hängen", erzählt Armin Schoch, der die Gegend seit mehr als 20 Jahren kennt und von seinem Büro in Thailand aus die ersten Joint-Ventures für Tourismus-Projekte in Laos und Kambodscha initiiert hat. "Ich habe schon erlebt, dass sich der Pegel des Mekong innerhalb einer Woche um zehn Meter verändert hat, und zwischen Regenzeit und Trockenzeit beträgt der Unterschied 15 bis 20 Meter", sagt er. Das klingt nach einer Übertreibung - bis nach einer Flussbiegung mitten im Mekong auf einer felsigen Insel eine Fähre auftaucht, die auf den Klippen vor sich hin rostet. Früher konnte sie zum Höhepunkt der Regenzeit sicherlich einmal einige Lastwagen tragen, heute dient sie als Wohnung für eine laotische Familie. Irgendwann wird man das Boot vergessen haben, es kommt hier ohnehin kaum jemand mehr vorbei. Seit dem Ausbau der Nationalstraße 13 von Pakxe nach Savannakhet werden alle Güter auf dem Lkw transportiert. Im 21. Jahrhundert wird der Mekong also nicht überall erschlossen, im Gegenteil: An manchen Passagen wird er wieder wilder und ursprünglicher.

Da passt es ins Bild, dass wir bei einem kurzen Stopp zur Kontrolle der Motoren auf Gold stoßen. Jedenfalls glitzert es überall im Schlamm des Mekong - kleine goldene Partikel, die sich an der Oberfläche ablagern. Leider haben wir nichts dabei, um einen Claim abzustecken. Außerdem kommt einem der Gedanke, dass Gold eigentlich nicht oben auf dem Schlamm liegen bleiben dürfte. Auch wenn es nur Katzengold sein sollte: Ein kleines Döschen kommt als Souvenir ins Gepäck. Dann müssen wir auch schon weiter – durch das Ziehen des zweiten Bootes kommen wir langsamer als geplant voran. Zu langsam, um noch bei Tageslicht am Ziel Thakhek oder Savannakhet, der nächsten Stadt, anzukommen.

Mit bloßem Auge sieht man nachts gar nichts

Eine Dämmerung gibt es in den Tropen kaum, fast schlagartig wird es dunkel auf dem Fluss. Siggi Stamm, ein stets mit anpackendes Crewmitglied, das mit Andy Leemann schon mehrere Expeditionen auf den Flüssen Südamerikas durchgemacht hat, kramt sein Nachtsichtgerät aus der wasserdichten Tasche. In klar abgestuften Schattierungen von Dunkelgrün schimmern hier Sandbänke, Wasser, Felsen - und in der Ferne am Ufer fast grell die Lichter eines Dorfes. Mit bloßem Auge hätte man sie fast übersehen. Ein Glücksfall in dieser dünn besiedelten Region, in der die Menschen nicht gerne am Ufer des Mekong zu leben scheinen, vielleicht wegen der oft verheerenden Überschwemmungen in der Regenzeit. Die Expeditionsmannschaft diskutiert. Fahren wir mit Hilfe des Nachtsichtgeräts weiter bis nach Savannakhet, der nächsten größeren Stadt? Oder ist es zu gefährlich, mindestens noch zwei, vielleicht sogar vier Stunden durch die Dunkelheit zu tuckern? Kommen wir vielleicht hier im Dorf unter? Am Ende gehen Andy Leemann und unser einheimischer Führer los, um den Dorfchief zu suchen und ihn zu fragen, ob wir gegen Bezahlung übernachten können und vielleicht sogar noch etwas zu essen bekommen. Chief Bunasak sagt sofort zu - und besteht sogar darauf, dass alle aus der Crew im Gemeinschaftshaus schlafen werden. Natürlich sei für die Bewachung der Boote gesorgt - die Besatzung sei nun der Gast des Dorfes und da wolle er niemandem zumuten, auf dem Wasser schlafen zu müssen. Gastfreundschaft à la Laos.

Außer Whiskey und Zigaretten können wir der Männerrunde nicht viel spendieren, die uns und vor allem die einheimischen Führer mit Fragen löchert. Wo wir denn derart spät in der Nacht noch herkommen? Was das denn für seltsame Boote mit Gummihaut sind? Und was passiert sei, dass man nicht wie sonst alle "foreigner" im Hotel übernachte? Gespräche sind schwierig, doch die Faszination der Truppe für den Mekong können die Menschen im Dorf Hian Hin teilen. "Ein wirklich großer Fluss", sagt Chief Bunasak nachdenklich, "von seinem Wasser hängen wir hier alle ab." Das wäre der geeignete Zeitpunkt gewesen, um über Chinas Staudamm-Projekte zu sprechen, mit denen einer ganzen Region der Fluss abgedreht werden könnte. Doch Bunasak hält es für seine Pflicht, nun erstmal für ein Abendessen zu sorgen. In nur einer halben Stunde richten die Frauen des Dorfes ein Stillleben aus vielen kleinen Schüsseln her. Hier dampfen eine kräftige Hühnersuppe und derart viele Omelettes, dass die Hühner, die sich beim Vorbereiten der Suppe verstecken konnten, nun ziemlich gestresst sein dürften. Am Ende gibt es noch einen Schluck erstaunlich milden Reisschnaps. Den grellen Lichtkegeln unserer Taschenlampen folgen wir dann zum Schlafplatz und erleben hier eine freudige Überraschung: Irgendwelche kleinen Mainzelmännchen haben Matratzen organisiert, so dass wir nicht auf dem Boden kampieren müssen. Moskitos gibt es auch kaum, und so sinken wir schnell in den Schlaf. Morgen soll es früh weitergehen, nach Thailand. Dort kann Andy das defekte Getriebe reparieren lassen. Vielleicht.

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