Eigentlich haben die Bauherren des höchsten Wolkenkratzers der Welt alles richtig gemacht. Nämlich beim Fengshui, der chinesischen Kunst, ein Gebäude so zu errichten, dass es im Einklang mit der Umgebung steht. Sie haben den Stahlträgern in den unteren Etagen die Form eines glücksbringenden Drachenskeletts gegeben. Sie haben einen Meister des "Windes und Wassers", so die Übersetzung von Fengshui, angestellt. Er war mit allem zufrieden, nur nicht mit einer Straße, die direkt auf den Turm stieß. "Zu frontal. Fatal", erklärte er. Ein Springbrunnen sorgt nun für Abhilfe, die Harmonie ist wiederhergestellt.Trotzdem hat es bereits Tote gegeben. Im Jahre drei des Turmbaus zu Taipeh, erschütterte wieder ein Erdbeben die Insel, die am Rand der Eurasischen Kontinentalplatte liegt. Die Stöße rissen im 56. Stock zwei Kräne um. Wie Schilfgras knickten sie. Stahlteile durchschlugen Betondecken und zertrümmerten Autos. Fünf Menschen verloren ihr Leben. Nur 200 Meter vom Wolkenkratzer entfernt, der wegen der Zahl seiner Stockwerke "Taipeh 101" heißt, verläuft eine Bruchlinie der Erdkruste: die Taipeh-Verwerfung. 1999 beim großen Beben starben mehr als 2400 Menschen.
Rekord mit 508 Metern
"Selbst wenn ganz Taipeh einstürzt, wird unser Wolkenkratzer das letzte aufrechte Haus sein", versichert Chung Ping Wang, der leitende Architekt. Wang ließ 550 Stahlpfeiler bis zu 80 Meter tief in die Erde treiben. Die Augen des Mittfünfzigers zwinkern fröhlich. "Das höchste Gebäude der Welt zu bauen, ist ein Traum für jeden Architekten." Mit 508 Metern reckt sich "Taipeh 101" mehr als fünfzig Meter höher in den Himmel als die früheren Rekordträger, die Petronas Towers in Kuala Lumpur. Wangs Wolkenkratzer, der am 31. Dezember eröffnet wird, überragt die Frankfurter Commerzbank, das höchste Gebäude Europas, um über 200 Meter. Aus der Ferne sieht "Taipeh 101" aus wie ein gigantischer Obelisk. Einsam, verirrt, so als sei er vom Himmel gefallen. Ursprünglich hatten Architekten und Investoren nur 66 Stockwerke geplant. Der damalige Bürgermeister Chen Shui Bian aber machte so lange Druck, bis ein Dutzend Stockwerke nach dem anderen draufgesattelt wurden. Chen wollte die höchsten Häuser Shanghais übertreffen. Denn sein Taiwan - 22 Millionen Einwohner - leidet angesichts der 57fachen Übermacht der Festlandchinesen an einem Minderwertigkeitskomplex. Seit 2000 ist Chen Präsident der Inselrepublik und träumt davon, Taiwan, das völkerrechtlich zu China gehört, in die Unabhängigkeit zu führen. Er ließ es sich nicht nehmen, den letzten, gold lackierten Stahlträger zu signieren.
Die offizielle Werbebroschüre für "Taipeh 101" atmet Größenwahn. "Hoch über dem boomenden Hsinyi-Viertel thronend, ist "Taipeh 101" eine neue Zinne des jahrzehntelangen Erfolges, den die Welt als Wunder von Taiwan bestaunt", heißt es. Die Autoren jubeln Hsinyi gar zum "Manhattan von Taipeh" hoch. Von der Spitze des Wolkenkratzers jedoch schauen die anderen Hochhäuser aus wie Spielzeuge, und von Manhattan ist Hsinyi etwa so weit entfernt wie die Börse von Swasiland von der Wall Street.
Nicht die Wirtschaftlichkeit zählt, sondern das Prestige
Wie meist bei Wolkenkratzern zählt auch beim 1,7 Milliarden Dollar teuren "Taipeh 101" weniger die Wirtschaftlichkeit als vielmehr das Prestige. "Das kostet unser Geld, und am Ende fällt uns der Phallus auf den Kopf", schimpft ein Verkäufer in Taipehs Hauptgeschäftsstraße. "Wie beim Sex. Es geht nur darum, wer den Längsten hat." Eine Weisheit, die Louis Sullivan, der berühmte Architekt des Chicagoer Hochhaus-Rausches, bereits Ende des 19. Jahrhunderts erkannte. Ein Wolkenkratzer, begeisterte sich Sullivan, "ist ein Mann, auf den man schaut, ein echter Mann, eine virile Kraft, ein Mann, der das Lied der Fruchtbarkeit singt".
In Asien tobt der Männlichkeitswahn, als hätten die Metropolen eine Überdosis Viagra geschluckt. Bereits 1998 lösten die Petronas Türme den Sears Tower in Chicago als höchste Gebäude ab. In Shanghai steht der elegante Jin-Mao-Turm, mit 421 Metern das vierthöchste Hochhaus. Einen Steinwurf entfernt hat im Februar der Bau des "Welt-Finanzzentrums" begonnen. Die Chinesen bedrängen die japanischen Bauherren der Mori-Gruppe, auf die geplanten 492 Meter einige Etagen draufzusetzen, um "Taipeh 101" zu übertreffen. 1300 Kilometer weiter westlich soll in der chinesischen Boomstadt Chongqing ein 457-Meter-Riese entstehen. Seoul will sich mit einem 580 Meter hohen Büroturm schmücken. Im Jahre 2010 werden wohl acht der zehn höchsten Wolkenkratzer in Asien stehen, fünf davon in Groß-China. Nicht nur beim Hochhausbau, der bislang von den USA dominiert wurde, hoffen Nationalisten in Shanghai und Peking auf ein "chinesisches Jahrhundert". In Hongkong stehen 3400 Häuser, die höher als 90 Meter sind, viermal so viel wie in New York, hundertmal so viel wie in Frankfurt. Für das neu eröffnete "Two International Finance Center" (420 Meter) ließen die Investoren eine Million Kubikmeter Erde ausschaufeln, genug um 500 Olympia-Schwimmbäder zu füllen. Obwohl die Büromieten auf ein Tief gesunken sind, ist der nächste Turm schon beschlossen, der Union Square (480 Meter).
Leerstand wird ignoriert
In die Höhe verliebte Politiker ignorieren den "Fluch der Wolkenkratzer", den Zusammenhang zwischen den Großprojekten und Finanzkrisen. Sie planen in Boomzeiten. Wenn die Spekulationsblase platzt, stehen die Büros oft leer. Andrew Lawrence von der Deutschen Bank in Hongkong hat einen "Wolkenkratzer Index" erstellt. Er zeigt: Auf den Bau des Empire State Building (381 Meter) folgte in den dreißiger Jahren die Weltwirtschaftskrise, auf den der Petronas Türme Ende der Neunziger die Asienkrise. "Wir hoffen, dass uns das erspart bleibt", sagt Architekt Wang im 65. Stock des "Taipeh 101". An der Außenwand sind den chinesischen Glücksknoten nachempfundene Rosetten angebracht. Die Architekten von Asiens Wolkenkratzern lehnen sich gern an die reiche Tradition des Kontinents an: Die Petronas Türme im muslimischen Malaysia erinnern an Minarette, das Jin Mao in Shanghai an eine Pagode und "Taipeh 101" an einen Bambusstab.
Fassade stammt aus Deutschland
Damit es im Taifun nicht knickt wie junger Bambus, hängt im 92. Stock ein vergoldetes Riesenpendel, 730 Tonnen schwer, der weltweit größte Schwingungsdämpfer. Die Fassade des "Taipeh 101" stammt von der deutschen Firma Josef Gartner, ein Auftragsvolumen von 95 Millionen Euro. Im bayerischen Gundelfingen bliesen zwei je 2200 PS starke Flugzeugmotoren Wasser mit Windstärke 12 gegen ein Modell: ein Quadratmeter hielt 1,35 Tonnen stand. Gartners technischer Projektleiter Stephan Eberle war mal Deutscher Vizemeister im 800-Meter-Staffellauf. Gern erzählt er die Geschichte, wie er eines Tages mit den Taiwanesen um die Wette rannte, von unten nach oben. Eberle gewann. Er brauchte 20 Minuten. Der Aufzug schafft es in 39 Sekunden.