Interrail Die grenzenlose Freiheit ab 399 Euro

Von Jasmin Kröger
Mit einem Interrail-Ticket durch Europa - das war der Sommertraum der Jugend in den 90er Jahren. Heute heißt das Ticket "Global Pass". Die Abenteuer und die Aufregungen sind nicht weniger geworden. Ein Praxistest.

Mein Rücken wird mit den Aufgaben wachsen. Hoffnungsvoll stehe ich am Hauptbahnhof Hamburg mit einem 20 Kilogramm schweren Rucksack auf den Schultern und allem Nötigen für einen Monat. "Mit der Bahn ans Ziel" - lautet das Motto unserer preiswerten Reise, die uns nach Amsterdam, Frankreich und Italien bringen soll. Dieser Urlaub, das ahnen wir schon, bedeutet vier Wochen billige Schlafplätze und Supermärkte suchen.

Die Netzkarte für Europa weckt große Erwartungen: Der "Global Pass", wie das Interrail-Ticket inzwischen genannt wird, ist die Eintrittskarte in die umherziehende Backpacker-Gemeinde und befähigt uns, von diesem Tag an 32 Länder in Europa zu bereisen. Im letzten Jahr wurde dieser Bahnpass 240.000 Mal am Bahnschalter verkauft.

Im Kleingedruckten steht allerdings, dass der Reisefreiheit enge Grenzen gesetzt sind: Obligatorische Reservierungen kosten extra, die Sitzplatzkontingente für Interrailer sind auf vielen Strecken limitiert. Keine Gültigkeit hat das Pauschalticket innerhalb der heimischen Grenzen. Das alles strapaziert die Nerven und den ohnehin kleinen Geldbeutel.

Schnell zu den Nachbarn

Dank zusätzlichem Niedersachsenticket stehen wir noch am selben Tag auf holländischem Boden. In Amsterdam tröstet uns Sonnenscheinwetter über eine vergebliche Hostel-Suche hinweg. Wir enden am Stadtrand auf dem Campingplatz. Mit mit dem Gaskocher kochen wir unsere erste warme Mahlzeit: Nudeln.

Malerisch zeigen sich kleine Grachten, Hausboote und grüne Oasen im Stadtkern - für uns avancieren selbst Touristenströme plötzlich zu internationalem Flair. Am nächsten Morgen wollen wir nach Paris. "Interrail Global Pass, zweimal unter 26? Das macht dann 20 Euro Reservierungsgebühren." Frechheit finden wir und willigen dennoch ein.

Zwischen Metropole und Mittelmeer

"Hier schlaf ich nicht!", so lautet meine Antwort auf die Idee des wilden Zeltens im Bois de Boulogne, ein Pinienwald, dreckig und unheimlich. Ohne mich. In meiner Verzweifelung frage ich den Besitzer eines Hexenhäuschens im Park nach einem Platz in seinem Garten für unser Zelt. Es folgen zwei tolle Tage beim Waldförster von Paris, der uns großzügig Haus und Freundschaft anbietet. Arthur verköstigt uns mit feiner französischer Küche und bestem Wein. Mit seinem Schlüssel in der Tasche und unserem Gepäck in seinem Haus können wir in aller Ruhe die Stadt erkunden. Wir revanchieren uns mit einem Bauernfrühstück. Arthur lobt Gurken und die Nachspeise - Eiscreme aus der Tiefkühltruhe. Vielleicht ein bisschen zu deftig, unsere deutsche Kost.

Die Angebote der Bahn

Die heute "Global Pass" oder der "One Country Pass" genannten Tickets gehen auf die individuellen Wünsche der Reisenden ein. So gibt es die Möglichkeit einen Monat lang zu reisen (ab 399 Euro), sich einzelne Länder zusammenzustellen (ab 32 Euro) oder den Global Pass in 22 Tagen nur zehn Mal zu nutzen (ab 239 Euro). Für Globetrotter jenseits der 26 gibt es die gleichen Angebote mit Aufpreis (Global Pass: vier Wochen 599 Euro) und einer Option, in der ersten Klasse zu reisen. Zweidrittel der Nutzer sind unter 26 Jahre alt. Weitere Infos unter www.bahn.de

Neun Stunden muss man für die Zugfahrt von Paris nach Hendaye an der Atlantikküste einplanen. Zu einem starken Rücken benötigt der Interrailer stets interessante Lektüre und ausreichend Sitzfleisch. Ankunft 23.45 Uhr, Hendaye schläft bereits. Unsere erste Nacht verbringen wir hier im Kreise der Interrail-Familie mit sieben anderen Leidensgenossen am Bahnhof. Rein in den Schlafsack, Augen zu und durch. Ich schlafe selig, bis ich am nächsten Morgen von einem Straßenhund geweckt werde. Die Sippschaft zieht zum nächsten Campingplatz, und wir verbringen herrliche Tage am breiten Sandstrand und beim gemeinsamen Kochen.

Am dritten Tag zieht es uns in den Süden, wir wollen in die Calanques, der Tipp von Arthur in Paris. Der Förster riet uns zu festem Schuhwerk und Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 30. Der Abstieg zum Meer hat sich gelohnt: weißgraue Klippen, umgeben von endlosem Türkis. Kein Auto, keine Bahn, keine Zivilisation.

Fazit Frankreich: Wunderschöne Bahnstrecken und die Reservierungsgebühren im TGV bleiben bezahlbar. Aber Achtung: Es ist kein Gerücht, dass die Franzosen kaum des Englischen mächtig sind. Selbst ein einfaches "Marseille to Nizza?" am Schalter kann manchen SNCF-Beamten Schweißtropfen auf das Gesicht zaubern.

Nächster Halt: Italien

Im Geiste schlendern wir bereits durch die Gassen von Florenz, doch die weniger freundliche Dame am Bahnschalter durchkreuzt unseren Plan: Das Interrail-Kontingent nach Italien sei für heute bereits voll. Aber unsere Hartnäckigkeit bringt uns schließlich bis Nizza und von dort noch am selben Abend bis Genua. Geschafft! Wir klopfen uns stolz auf die Schulter und zweifeln an Fähigkeit von Personal und System der französischen Bahn. Mittlerweile sind wir geübt, machen Reservierungen für die Weiterfahrt bereits bei Ankunft.

Es gibt kaum eine Stadt in Italien, der man die Ferienzeit so anmerkt wie Mailand. Mitte August ist man für jeden Laden, jedes Restaurant und jede Sehenswürdigkeit dankbar, die nicht hinter verriegelten Türen liegt. Wir genießen die Ruhe und sind glücklich, bei Einheimischen untergekommen zu sein. Elena und Fabio, ein junges Studentenpaar, zeigen uns ihre Stadt.

Nach vier Wochen sitzen wir erschöpft und glücklich im Zug Richtung Hamburg. Ich bin es leid, ständig aus dem Rucksack zu leben und in fremden Städten Supermärkte, Toiletten und Schlafplätze zu suchen. Wer nach einem Monat mit dem Global Pass immer noch Fernweh spürt, hat wohl noch nicht genug erlebt.

Tipps für die Interrail-Reise

Zelt, Gaskocher und Schlafsack machen den Reisenden unabhängig.
Um aus Deutschland günstig raus zukommen, bieten sich oft Ländertickets an.
Unbedingt eine Mappe für Tickets und wichtige Papiere mitnehmen. Bei Verlust des "Global Pass" gibt es keine Erstattung.
Den Rucksack möglichst leicht halten! Wegschmeißen tut weh.
Interrailen mit Couchsurfen verbinden.
Bereits bei Ankunft die Abfahrt reservieren.
Zu zweit lohnt sich statt Hostel häufig bereits ein Zimmer im Hotel.
Für einen Toilettenbesuch stets Kleingeld im Handgepäck.
Den August als Reisemonat meiden. Besser sind Juni oder September.
Immer nach der günstigsten Reisemöglichkeit fragen. Für schnelle Züge fallen oft hohe Reservierungsgebühren an, während Regionalbahnen nichts kosten. Hartnäckig bleiben.
Flexibel die Reiseroute zu planen schützt vor Enttäuschungen. Kontingente sind im Sommer schnell belegt.

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