Bisher war es bei einer Flugbuchung üblich, dass mit der Reservierung gleichzeitig der volle Ticketpreis entrichtet wurde. Das Geld floss vom Kunden zur Airline oder Reisevermittler, unabhängig von der Buchungsklasse, auch wenn der Check-in erst in vielen Monaten erfolgen sollte.
Auch bei Pauschalreisen oder Kreuzfahrten wird die Kreditkarte des Reisenden stets mit mindestens einem Teilbetrag im Voraus belastet. Die Anzahlung erhöht sich, je näher der Abreisetermin rückt. Diese Praxis der Vorkasse ist allerdings Verbrauchschützern seit langem ein Dorn im Auge. "Wenn ich einen neuen Fernseher kaufe, dann bezahle ich auch, wenn ich ihn bekomme", sagt Klaus Müller, der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv).
Was für viele Bereiche im Einzelhandelt gilt, soll nun auch zum Maßstab für Reisebüros werden. Denn gerade das vergangene Jahr habe gezeigt, welche Nachteile das System für Verbraucher hat: Hunderttausende hatte Reisen gebucht, die aufgrund der Pandemie nicht durchgeführt werden konnten. Über Monate gab es für die Betroffenen, die zum Teil vier- bis fünfstellige Summen für Anzahlungen geleistet hatten, kein Geld zurück.
Immenser Vertrauensverlust
Viele von ihnen wurden statt mit Bargeld nur mit einem Gutschein abgespeist. Diese Papiere haben wiederum den Nachteil, dass sie zeitlich meist nur bis Ende 2021 einlösbar sind – in einem Reisejahr, das alles andere als normal sein wird. Auf Bewertungsportalen wie trustpilot.com lassen sich Tausende von Beschwerden nachlesen, in denen sich Kunden darüber beklagen, wie sie von Reiseunternehmen hängengelassen wurden. Für viele ist das Vertrauen in die großen Marken der Reiseveranstalter und Airlines nachhaltig gestört.
Ein ähnliches Bild zeichnet auch die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) in Berlin für das Jahr 2020. Trotz minimalem Flugaufkommen stieg die Anzahl der bearbeiteten Fälle um 60 Prozent an. Am häufigsten ging es um die Erstattung von Kosten annullierter Flüge, die in Folge der Pandemie ausfielen. "Es gibt Fälle, wo das Geld nach einem Jahr noch nicht beim Kunden ist", bilanziert SÖP-Geschäftsführer Heinz Klewe.

Jetzt hat die Angelegenheit endlich die Politik erreicht: Der saarländische Umwelt- und Verbraucherschutzminister Reinhold Jost will bei dem nächsten Treffen der Verbraucherschutzminister der Länder im Mai auf Sylt das Vorkasse-Thema auf die Tagesordnung setzen. "100 Prozent Vorkasse geht gar nicht", sagte Jost der Deutschen Presse-Agentur. Der SPD-Politiker setzt sich für eine deutliche Verringerung der Vorab-Zahlungen und für eine automatische Rückerstattung ein, sollte eine Reise nicht stattfinden.
Bei Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband stößt der Vorstoß auf offene Ohren. Von Müller kommt auch die Idee, dass der Betrag erst in dem Moment abgebucht wird, wenn die Reise beginnt. Doch das setzt einen grundsätzlichen Systemwechsel voraus.
Kaum Liquidität in der Reisebranche
Schon lange leidet die Branche unter geringen Margen und Liquiditätsengpässen. Bereits vor Corona war es kein Geheimnis, dass auch große Firmen das laufende Geschäft nur durch die Vorauszahlungen von Kundengeldern betreiben konnten. So klagten immer wieder Ferienhotels, sei es auf Mallorca oder in Thailand, dass die Hoteliers auch nach Wochen von den Veranstaltern kein Geld überwiesen bekamen, obwohl deren Kunden den Urlaub bei ihnen längst verbracht hatten und wieder abgereist waren.
Wohin diese falsche Ausnutzung der Marktmacht führen kann, zeigte sich im September 2019 in der Pleite des britischen Reise-Riesen Thomas Cook, zu dem auch mehrere Airlines und deutsche Tochterfirmen wie Neckermann Reisen gehörten.
Im Falle von Pauschalreisen existiert zwar eine limitierte Kundengeldabsicherung, nicht aber bei gebuchten Flugtickets. "Insbesondere bei Airlines halte ich es für sinnvoll, die bisherige Vorkasse einzuschränken. Kund*innen sollten nicht mehr den gesamten Reisepreis Monate vor Abflug entrichten müssen", sagte der Bundestagsabgeordnete Markus Tressel dem stern. "Hier muss ein besserer Ausgleich zwischen den Interessen der Reisenden und der Airlines möglich sein, als es heute der Fall ist", so der Grünen-Abgeordnete..
Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie gewinnt das Verbraucherthema immer mehr an Brisanz. Jedoch wäre es falsch, das System der Vorauszahlungen über Nacht abzuschaffen: Zum einen gibt es häufig günstige Sondertarife zum Beispiel von Hotels, die an feste Termine gebunden sind. Ohne Vorkasse würde die Rate kurzfristiger Stornierungen oder No-shows drastisch in die Höhe gehen und eine verlässliche Kalkulierung unmöglich gemacht. Drastische Preisanstiege wären unvermeidlich.
Zum anderen stehen durch die Corona-Krise viele touristische Unternehmen am Rande des Abgrunds. Diese haben keinerlei Spielraum, um für bestimmte Dienstleistungen nach der Buchung finanziell in Vorleistung zu gehen. Das ginge nur mit der Aufnahme von Fremdkapital.
"Nicht so teuer, wie viele Leute befürchtet haben"
"Es ist utopisch zu glauben, dass es auf einmal von heute auf morgen geht", sagt auch Reinhold Jost. Der Minister hält eher eine stufenweise Verringerung der Anzahlungen für sinnvoll. Dass diese schrittweise Abschaffung des Vorkasse-Modells durchaus funktionieren kann, ergab jetzt eine Untersuchung der Hochschule Luzern aus der Schweiz.
Die Nachrichtenagentur DPA zitiert aus dem Gutachten, dass eine Umstellung für alle Beteiligten wirtschaftlich "gut umsetzbar" und für Verbraucher nur mit "moderaten Preiserhöhungen" verbunden sei. Durch die zusätzlichen Kosten würden die Preise für Flugtickets um maximal 3,3 Prozent, die für Pauschalreisen um 1,1 Prozent teurer.
Auch für Verbraucherschützer Müller sei das nicht "so teuer, wie viele Leute befürchtet haben." Er geht sogar einen Schritt weiter: Geht es nach ihm gehört die Abschaffung der Vorkasse-Praxis in den Koalitionsvertrag nach der Bundestagswahl.
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