Wie kompliziert die Dinge liegen bei Borussia Dortmund, war am Dienstagabend im Stadio Renato Dall’Ara von Bologna zu besichtigen. Matthias Sammer kauerte am Spielfeldrand an einem Stehtisch, die schwarze Schlumpfmütze tief ins Gesicht gezogen, und sprach über die 1:2-Niederlage der Dortmunder gegen Bologna.
Bloß, welcher Sammer war da zu hören? Sammer, der vom Pay-TV-Kanal Amazon bezahlte Experte? Sammer, der vom BVB entlohnte Berater? Sammer, der Privatmann? Oder alle drei gleichzeitig?
Schwierig.
Noch verworrener wurde es dann, als Lars Ricken an den Stehtisch trat. Ricken ist Geschäftsführer Sport bei Borussia Dortmund und wäre von Sammer (in der Rolle des Experten und auch des Beraters) hart zu befragen gewesen nach der Niederlage gegen Bologna. Das geschah aber nicht, denn irgendwie ist Ricken auch ein Kumpel von Sammer. Gemeinsam gewannen sie 1997 die Champions League mit dem BVB, und welcher Borusse erinnert sich nicht an das magische Tor von Ricken im Finale gegen Juventus Turin, diesen Bogenlampen-Ball, geschossen aus vollem Lauf?
Borussia Dortmund: Jeder hat mit jedem eine Geschichte
Sammer und Ricken werden beim BVB beide im Rang einer sogenannten Legende geführt. In dieser Kaste geht es sehr höflich und betulich zu – wer würde es schon wagen, sich mit einem anderen Klubhelden anzulegen? Kann dem eigenen Ruf nur schaden.
Das Problem von Borussia Dortmund ist es, dass die Führungsetage zu großen Teilen aus Helden der Vergangenheit besteht. Jeder hat mit jedem eine Geschichte, und das macht es schwer, notwendige Personalentscheidungen zu treffen – es steht ja immer auch eine Freundschaft auf dem Spiel.
Auch deshalb dauerte es quälend lange, bis sich der Verein dazu durchrang, Trainer Nuri Şahin zu beurlauben. Ein Schritt, den die Dortmunder schon vor Wochen hätten machen müssen – es war offensichtlich, dass Şahin mit dem Neuaufbau der Mannschaft nach dem Ende der Ära Terzic überfordert war. Aber man ließ Şahin gewähren, schließlich ist auch er ein großer Name in Dortmund, Spieler der sogenannten Goldenen Generation, die unter Jürgen Klopp Meister und Pokalsieger wurde. Şahin bekam immer neue Chancen, bis nun eine Serie von vier Niederlagen in Folge (das hatte es zuletzt vor 25 Jahren beim BVB gegeben) und ein Absturz auf den zehnten Tabellenplatz der Bundesliga die Klubverantwortlichen zum Handeln zwangen.
Der BVB hat sich in den vergangenen Jahren unter der Führung von Hans-Joachim Watzke zu einem Fußball-Romantik-Betrieb gewandelt. Watzkes Traum ist es, dass der Verein auf allen Ebenen mit Schwarz-Gelben besetzt ist, die irgendwann einmal Großes auf dem Rasen für den BVB bewirkt haben. Der Verein als Familie, so wünscht es sich Watzke.
Ein Blick nach München hätte dem BVB helfen können
Wie gefährlich das sein kann, hätte Watzke mit Blick auf den Rivalen Bayern München erkennen können. Dort wurden Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge vor wenigen Jahren ebenfalls von der Idee getrieben, nur gestandene Bayern-Profis könnten den Klub führen. Das Experiment mit Oliver Kahn als Vorstandsvorsitzendem und Hasan Salihamidzic als Sportvorstand scheiterte spektakulär, und unter den Spätfolgen dieser unglückseligen Ära hat der Verein noch heute zu leiden. Kahn und Salihamidzic zahlten einigen Spielern absurd hohe Gehälter – jenen Spielern übrigens, von denen sie glaubten, dass sie Bayern-Legenden wären und unbedingt gehalten werden müssten. Kahns und Salihamidzics nostalgische Anwandlungen kosteten den Verein eine hohe zweistellige Millionensumme.
Man darf nun gespannt sein, ob die Dortmunder – wenn schon nicht aus der Münchner Geschichte – zumindest aus der Causa Şahin gelernt haben. Ob sie weiterhin darauf beharren, dass sich der Verein nur aus sich selbst erneuern kann, oder ob sie Einfluss und Ideen von außen zulassen. Ob sie neue Köpfe in die Führungsetage holen, Leute, die keinen schwarz-gelben Lebenslauf haben – und bei denen man genau dies als Stärke begreift und nicht als Makel.