Die niederschmetternde Nachricht von der Disqualifikation ereilte Lando Norris und seinen Teamkollegen Oscar Piastri weit nach Mitternacht auf der Rückreise aus Las Vegas. Längst hatten die beiden das Fahrerlager in der Glücksspiel-Metropole verlassen, als der WM-Kampf vier Stunden nach der Zieldurchfahrt eine dramatische Wendung nahm und sich Sieger Max Verstappen auch noch über den Zusatz-Jackpot freuen durfte.
"Es ist frustrierend, so viele Punkte zu verlieren", sagte Norris in einer Mitteilung des Rennstalls: "Ich kann daran jetzt nichts mehr ändern." An beiden Formel-1-Autos von McLaren waren die Bodenplatten nach dem Rennen zu dünn, sie unterschritten die vorgeschriebenen neun Millimeter. Teamchef Andrea Stella entschuldigte sich bei seinen Fahrern zu einer "entscheidenden Zeit" im WM-Kampf.
Der zu hohe Verschleiß kam durch ein unerwartet starkes Hüpfen des Wagens im Rennen und den dadurch entstehenden Bodenkontakt - die Gründe dafür muss McLaren erst noch suchen. Fest stand aber: Platz zwei für Norris und die Vorfreude auf die mögliche Krönung schon beim kommenden Rennen wurden verspielt sowie Platz vier für Piastri gestrichen. Stattdessen sind Verstappens WM-Chancen nun präsenter denn je in dieser Saison.
Nach Scherzen war Norris nicht mehr zumute
Norris gute Laune bei der gemeinsamen Fahrt mit dem viermaligen Weltmeister zur Siegerehrung im pinken Lego-Cadillac hatte sich schon auf der Pressekonferenz verflüchtigt. Mit der Disqualifikation, an der er wie auch Piastri überhaupt keine Schuld trug, wird der ohnehin nachdenkliche Brite erst einmal zu knabbern haben. Ob das Team gegen die Entscheidung in Berufung geht, blieb zunächst offen.
Statt in ein paar Tagen mit Zuversicht und 42 Punkten Vorsprung auf den Niederländer zum Grand Prix nach Katar zu reisen, liegt Verstappen nun nur noch 24 Zähler hinter Norris zurück. Mit Piastri ist er bereits gleichauf. 58 Punkte sind in Katar und danach beim Finale in Abu Dhabi maximal für einen Fahrer noch zu holen. Die Formel 1 bekommt ihren einmal mehr filmreifen Showdown und Verstappen die Chance auf den fünften Titel in Serie.
"Nächstes Wochenende werden wir wieder versuchen, das Rennen zu gewinnen, und am Ende in Abu Dhabi werden wir sehen, wo wir stehen", hatte der nun 69-malige Grand-Prix-Sieger Verstappen vor dem legendären Bellagio angekündigt, ehe dem Feuerwerk am Himmel eine spektakuläre Licht- und Wassershow dirigiert von Micky Maus folgte. Da wusste er noch nicht, was ein paar Stunden später passieren würde.
Hamilton wurde für das gleiche Vergehen in China disqualifiziert
Den Rennkommissaren blieb keine Wahl. Für das gleiche Vergehen war Rekordweltmeister Lewis Hamilton in diesem Jahr aus den Ergebnislisten des Großen Preises von China gestrichen worden. Auch bei den beiden McLaren waren die Bodenplatten zu dünn, wenn auch minimal.
Vielleicht wirkte Norris nach seinem 150. Grand Prix auch deswegen schon bei der Pressekonferenz nach dem Rennen auffallend negativ, nachdem er zuvor noch gescherzt hatte: "Na ja, ich wollte Max einfach den Sieg überlassen. Ich wollte den Leuten eine Show bieten."
Tatsächlich hatte sich Norris gleich zu Beginn verbremst, als er von der Pole aus den Weg innen für Verstappen auf Startplatz zwei zumachen wollte. Weil er aber mit zu viel Schwung in die erste Kurve raste, konnte der Niederländer locker überholen. Im weiteren Rennverlauf musste Norris ordentlich Gas geben, schnappte sich aber zumindest noch George Russell im Mercedes, der den Fehler des WM-Führenden zunächst auch ausgenutzt hatte.
Bei allen Bemühungen kam er an Verstappen aber nicht ran, aus dem dritten Sieg in Serie wurde nichts. Gegen Rennende wuchs stattdessen der Rückstand auf Verstappen von rund fünf auf mehr als 20 Sekunden.
Start frei für den maximalen Stressfaktor
Norris hatte schon vor dem Start in sein Jubiläumsrennen ein Versprechen für die Fans abgegeben: "Wir werden es aufregend machen für Euch." Doch ein Szenario mit einer Disqualifikation dürfte selbst in seinen schlimmsten Vorstellungen keine Rolle gespielt haben.
Nach seinen Siegen in Mexiko-Stadt und Brasilien - beide Male ausgebuht von Fans - könnten die bangen Stunden von Las Vegas zum WM-Wendepunkt werden. Zu Ungunsten von Norris trotz seiner Führung. Denn er weiß aus eigener Erfahrung vom vergangenen Jahr, als sich Verstappen in Las Vegas vorzeitig gekrönt hatte, wozu der 28 Jahre alte Niederländer in der Lage ist.
Schon die ersten Durchhalteparolen
Wie zum Beweis dominierte Verstappen auch in Las Vegas. Dass er das Manöver von Norris gegen ihn zu Beginn zwar aggressiv nannte, aber gut fand, zeigt, was für ein Rennfahrer er ist. 2021 entthronte Verstappen in Abu Dhabi in einem Drama-Finale Hamilton, als dieser noch für Mercedes fuhr. In der vergangenen Saison wehrte Verstappen alle Attacken von Norris ab. Nach Zandvoort war Piastri der Führende der WM-Wertung mit 104 Punkten Vorsprung auf Verstappen - die hat der Niederländer nun schon alle aufgeholt.