Das Oval des Camp Nou ist gigantisch. Fast 100.000 Menschen haben im Stadion des FC Barcelona Platz. Ein Besuch hier bleibt für jeden unvergesslich. Wer im Oberrang untergebracht ist, wie die Bayern-Anhängerschaft, hat allerdings Pech. Von unten dauert es nicht nur eine gefühlte Ewigkeit bis man seinen Platz erklommen hat, nach erfolgreicher Erstbesteigung ist auch die Sicht auf den Rasen in schwindeliger Höhe miserabel. Und klar, es zieht hier permanent wie auf dem Harzer Brocken.
90 Minuten Camp Nou können als Gästefan grausam sein. Es sei denn, die eigene Mannschaft bietet genug gute Gründe, dass einem die widrigen Bedingungen egal sein können - was normalerweise jedem Auswärtsteam in Barcelona schwerfällt. Aber die Bayern sind eben keine x-beliebige Fußballmannschaft. Sie sind vermutlich die beste in Europa. Nach dem gnadenlosen 3:0-Erfolg im Halbfinalrückspiel stehen sie im Endspiel der Champions League. Und die Mitgereisten waren jetzt, nachdem diese Partie bereits mehr als 30 Minuten vorüber war, einfach nur selig - und stolz.
Camp Nou bebte ein bisschen, weil 6000 Münchner Fans gleichzeitig trampelten, klatschten und sangen. Die Mannschaft von Jupp Heynckes nahm derweil unten auf dem Platz die Huldigung ebenso glückselig entgegen. Thomas Müller gab den Vortänzer. Der Rest kniete dahinter, sprang wenig später auf und tanzte wild durcheinander: bayrische Partyzeit in Europas Fußballtempel.
Barcas Zyklus ist am Ende
Vor der Partie bot sich dem neutralen Beobachter noch ein ganz anderes Bild. Eines, das respekteinflößend aussah. Die Choreografie aus zehntausenden blauen, roten und gelben Kartons ergab den riesigen Schriftzug: "Barca! Orgull! Barca!". "Orgull" ist katalanisch und bedeutet "Stolz". Sie sollten sich bei der Ehre gepackt fühlen. So ließ sich die Aktion deuten. Den Barca-Fans ging es gar nicht mehr so sehr ums Weiterkommen, lediglich der Ruf dieses Weltclubs sollte nach dem verheerenden 0:4 aus dem Hinspiel wiederhergestellt werden.
Nicht mal das gelang. Barcas Zyklus ist am Ende. Der auf den totalen Ballbesitz ausgerichtete Stil dieser Mannschaft, vertreten vor allem durch die Herrscher des Mittelfeldes Xavi Hernándes, Andrés Iniesta und Lionel Messi, diese Erfolgsformel ist endgültig eingeholt, überholt und abgelöst - vom druckvollen Tempo- und Kampffußball der Bayern.
Barcelona hatte, wie schon im Hinspiel, nicht den Hauch einer Chance. Das allein auf das Fehlen von Messi zurückzuführen, wäre zu einfach. Der Argentinier saß über die gesamte Spielzeit nur auf der Bank. Warum, wusste hinterher keiner so genau. Die Verantwortlichen hüllten sich in Schweigen. So blieb es bei Spekulationen. Sie wollten ihm dieses Spiel ersparen, lautete die eine Version. Die alte Oberschenkelverletzung sei wieder aufgebrochen, hieß es an anderer Stelle. Aber über Messi wurde in dieser Nacht in den Katakomben vom Camp Nou nur wenig gesprochen. Die Dominanz der Bayern und ihre erneute Machtdemonstration, das war das Thema.
"Extrem entspannt" ins Finale
Noch nie in der Geschichte der Champions League hat ein Team ein Halbfinale derart deutlich gewinnen können. Die Münchner begeisterten bei diesem 3:0, das durch die Tore von Arjen Robben, ein Eigentor von Gerard Piqué sowie einen Kopfballtreffer von Thomas Müller zustande kam, mit einer perfekten Organisation, Pressing und einem fantastischen Umschaltverhalten. Keiner aus der Mannschaft von Jupp Heynckes dachte auch nur einen Augenblick an ein Scheitern, das konnte man förmlich spüren. Auf dem Weg nach Wembley war das hier die letzte Etappe. Und niemand konnte sie mehr aufhalten. Bayern 7, Barcelona 0. Es ist eigentlich unfassbar. Nur die Spieler wunderten sich nicht.
Die schritten im Anschluss an eine kurze Duscheinheit voll fokussiert und ziemlich selbstbewusst durch die Mixed-Zone in Richtung Mannschaftsbus. Abwehrboss Dante, von Heynckes wegen einer Erkältung geschont, flirtete mit einer brasilianischen TV-Schönheit und ließ sich von dieser folgenden Satz entlocken: "Natürlich sind wir im Finale gegen Dortmund Favorit." David Alaba unterhielt sich derweil mit einem österreichischen Reporter. Er sehe dem Endspiel "extrem entspannt" entgegen, sagte er. Richtig deutlich wurde schließlich Thomas Müller: "Wir haben heute schon wieder ein Zeichen gesetzt. Jetzt wollen wir uns auch nicht aufhalten lassen. Man muss vor Dortmund Respekt haben, mehr aber auch nicht." Rumms, das saß.
Applaus für die Bayern
Müller war blendend gelaunt nach dieser neuerlichen Gala. Er freute sich seines Lebens, klatschte mit einem spanischen Polizisten und der Assistentin von Matthias Sammer ab - und verriet zudem noch ein Geheimnis. Nach dem verlorenen Endspiel gegen Chelsea im vergangenen Jahr hat Müller eine SMS an alle seine Mannschaftskollegen geschrieben. Über den Inhalt wollte er noch ein paar Minuten zuvor vor laufender Kamera nichts verraten. Jetzt, in einer etwas intimeren Runde, machte Müller dann doch noch eine Andeutung: "Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber die SMS hatte etwas Animierendes. Ich habe ihnen geschrieben, dass sie wieder aufstehen sollen. Das stand da drin." Dann enterte auch er den Bayern-Bus, der Stimmlage nach muss es Xherdan Shaqiri gewesen sein, der ihn mit einem lauten "Finale oh-oh, Finale oh-oh-oh-oh" im Inneren begrüßte.
Es war kurz nach halb zwölf, als sich das schwere Gefährt schließlich in Bewegung setzte und den Bauch des Camp Nou in Richtung Mannschaftshotel "Hesperia Tower" verließ. Draußen hatte es sich merklich abgekühlt. Aber die Straßen rund um die riesige Arena waren immer noch voll. Die stolzen Barca-Fans diskutierten über diese beiden dramatischen Niederlagen ihres Teams. Als etwa zehn junge Männer den Bayern-Bus bemerkten, fingen sie spontan an zu klatschen. Philipp Lahm bedankte sich und winkte der Gruppe von seinem Fensterplatz aus zurück. Nächste Ausfahrt: Wembley.
Dort, am 25. Mai, kann es nach dem Selbstverständnis der Bayern nur einen Sieger geben. Alles andere wäre für den Club auch eine Katastrophe. Aber daran mag man nach den beiden Spielen gegen Barcelona wirklich nicht denken.