Bayer Leverkusen hat das Hinspiel im Achtelfinale der Champions League gegen den FC Barcelona mit 1:3 verloren. In unserer Analyse bewerten wir die von Trainer Robin Dutt gewählte Taktik und sagen, wo die beiden Clubs nun stehen.
1) Robin Dutts Taktik war richtig
Zur Halbzeit war die Empörung über Bayers defensives Auftreten groß. "Viel zu wenig Mut" hätte Leverkusen gehabt, war im Stadion zu hören. Doch das ist mit Verlaub ein großer Irrtum. Es ging in diesem Achtelfinalhinspiel nicht um einen offenen Schlagabtausch zweier Teams auf Augenhöhe, es ging für den aktuellen Tabellensechsten der Bundesliga darum, gegen den Champions League-Titelverteidiger und Spanischen Meister möglichst lange im Spiel zu bleiben.
Man erinnere sich an das Viertelfinale der vergangenen Saison, in dem Shakhtar Donezk gegen Barcelona antrat. Viel Lob bekam die Elf von Mircea Lucescu für ihre offensive Spielweise und die tatsächlich zahlreichen Torchancen, die sie im Nou Camp herausspielte. Das Spiel endete 5:1 für die Katalanen.
In den letzten knapp sechs Jahren haben nur zwei Mannschaften Barcelona aus der Champions League werfen können: José Mourinhos Inter 2009 mit einer perfekten Zehn-Mann-Defensivtaktik im Nou Camp und Alex Fergusons Manchester United 2007, das auf das damals beste Innenverteidigerduo der Welt zurückgreifen konnte: Nemanja Vidic und Rio Ferdinand. Man tut wohl niemandem weh, wenn man festhält, dass Robin Dutt nicht Mourinho oder Ferguson ist.
Muss man also ultradefensiv spielen, um überhaupt eine Chance zu haben? Nein, so pauschal kann man das nicht sagen. Wenn man aber eine tief stehende Viererkette aufbietet, und dafür spricht einiges, dann muss man auch das Mittelfeld defensiver orientieren, damit keine Lücken entstehen, in denen Barcelona aufblühen kann. Dass die Blaugrana ihre 80 Prozent Ballbesitz akkumulieren würden, war zu erwarten - solange sie ihre Passgewitter aber vor den Augen von neun Leverkusener Feldspielern inszenieren, ist im Prinzip noch nichts verloren.
Nicht umsonst fiel das 0:1 in der einzigen Szene vor der Pause, in der die gesamte Grundordnung Bayers weit aufgerückt war und der Ballverlust von Stefan Reinartz einen blitzschnellen Konter Barcelonas einlud. Mauern also das einzige Rezept, und das vor eigenem Publikum? Nein, nicht unbedingt. Athletic Bilbao brachte Barcelona in dieser Saison mit extrem aggressivem Pressing an den Rand einer Niederlage, Osasuna gewann am Wochenende sogar gegen den Titelträger, mit zumindest phasenweise starkem Pressing.
Hat aber Bayer Leverkusen die Mannschaft für extremes Pressing? Eher nicht - zumal nach dem Weggang von Arturo Vidal im Sommer. Pressing gegen Barcelona beginnt ja damit, dass man Sergio Busquets unter Druck setzt, damit die Ballstaffetten nicht ungestört von hinten heraus eröffnet werden können. Dahinter müssen dann aber auch alle Spieler mitmachen, vier pressende Offensivspieler und dahinter eine große Freifläche, das kann es nicht sein.
Man muss die Defizite des Leverkusener Kaders nicht größer machen, als sie sind. Selbst Real Madrid gelang es in den Clasicos zuletzt nie, den Druck auf Barcelona über 90 Minuten aufrechtzuerhalten. Manchester United gelang es im Champions League-Finale 2011 gerade einmal zehn Minuten. So gesehen war es durchaus nachvollziehbar aus Bayer-Sicht, erst einmal auf Ergebnis Halten zu spielen und dann in der zweiten Halbzeit zu sehen, was geht.
Sehen wir uns aber beide Spielhälften einmal genauer an. In der ersten hatte Barcelona rund 80 Prozent Ballbesitz, Leverkusen einen Torschuss. Die Hälfte endete 0:1. In der zweiten Halbzeit trat Bayer viel aktiver auf, hatte sieben Abschlüsse - und verlor diese Hälfte mit 1:2, was aus Europapokalsicht sogar noch schlechter ist. Bedenkt man dazu, dass das erste Gegentor gerade dann fiel, als Leverkusen eben nicht extrem tief und kompakt stand, verwundert der einhellige Tenor der deutschen Presselandschaft, die erste Hälfte habe Bayer um die Chance aufs Viertelfinale gebracht.
2) Wo steht Bayer Leverkusen jetzt?
Das Ergebnis war keine Sensation. Wer Leverkusen in Dortmund gesehen hat, der konnte zudem über die Ausrichtung der Mannschaft nicht überrascht sein. Doch so effektiv die Defensivtaktik auch sein mag (immerhin in Dortmund nur ein Gegentor kassiert), so wenig passt sie doch zu einer ambitionierten Spitzenmannschaft. Eine solche, das kann man inzwischen festhalten, ist Bayer 04 in dieser Saison nicht.
Robin Dutts Äußerungen nach dem 0:3 in München in der Hinrunde, als er sich froh zeigte, kein Debakel erlitten zu haben, passten eher nach Freiburg als zum amtierenden Vizemeister der Bundesliga. Dass Fans und Umfeld vielleicht dennoch etwas zu kritisch mit Dutt umgehen, mag sein. Rudi Völler hat aber Recht, wenn er das Erreichen der Europa League als "Minimalziel" bezeichnet. Schalke dürfte mit zehn Punkten Vorsprung etwas zu weit entfernt sein, um die Champions League-Ränge noch anzugreifen.
An einem guten Tag ist Leverkusens Kader stark genug, um die meisten Bundesligisten zu schlagen - mit Ausnahme von Bayern und Dortmund, denen man mit der fast schon genetisch bedingten Ehrfurcht begegnet. Auch sollte nicht vergessen werden, dass die Mannschaft vor allem in der Offensive erhebllche Ausfälle zu beklagen hatte, wie Renato Augusto, Tranquillo Barnetta, Sidney Sam und jetzt auch noch kurzfristig Eren Derdiyok. Erreicht Bayer mit den nach und nach zurückkehrenden Stars Platz sechs oder besser, sollten die Verantwortlichen die Saison als Umbruchsspielzeit für Dutt werten. Zu übergroßem Pessimismus gibt es keinen Anlass.
3) Wo steht Barcelona jetzt?
Auch ohne Xavi und Gerard Piqué gelang Barcelona ein souveräner, wenn auch nicht glanzvoller Auswärtssieg. In der Liga hat der FCB zwar schon fast uneinholbare zehn Punkte Rückstand auf Real Madrid, aber sollte es gelingen, als erster Club seit mehr als 20 Jahren den Champions League-Titel zu verteidigen, wären wohl alle zufrieden.
Die Niederlage in Pamplona und die zu vielen Punktverluste im Verlauf der Liga-Saison können nicht ignoriert werden. Sie zeigen, dass Barcelona nicht die Siegesmaschine ist, die es noch in der vorigen Saison war. Auffällig ist jedoch, dass die Manschaft gerade gegen starke Gegner meist zur Topform aufläuft - was nicht zuletzt fünf ungeschlagene Spiele in dieser Saison gegen Real Madrid beweisen.
Das spricht dafür, dass der Champions League-Titel erneut nur über Barcelona zu holen ist. Da mit Manchester City und United zwei Topteams bereits ausgeschieden sind, kommen nicht mehr all zu viele Kontrahenten in Frage, an denen Josep Guardiolas Team scheitern könnte. Bayer Leverkusen gehört jedenfalls nicht dazu. Aber das wussten wir auch vor dem Anpfiff schon.
Daniel Raecke