Für Kenner: Der Kicker
Der Klassiker. Ob EM oder WM: Die Fußball-Bibel aus Nürnberg gehört für viele zur Standardausrüstung wie Pilsener und Fernseher. Warum eigentlich? Überraschungen oder Innovationen gibt es keine, und neue Redakteure müssen beim Kicker verzweifeln. "Ham wa schon immer so gemacht" scheint die Losung der Belegschaft.
Der Aufbau ist alle zwei Jahre der gleiche: Vom Editorial des sich meist etwas staatstragend gebenden Chefs Rainer Holzschuh über den Kernteil (wie gehabt linke Seite Mannschaftsfoto, rechte Seite Statistik) bis zum großen Rückblick auf die Quali. Dummerweise sind irgendwann in den späten Neunzigern die Spielerfrauen auf der Strecke geblieben. Es waren große Momente der Fotokunst, als das Ehepaar Kaltz samt Bobtails in die Kamera grinste oder die geschmacklose Bianca Ilgner neben "ihrem" Bodo den neuesten Fummel präsentierte. Für das Bunte ist seit einigen Sonderheften Django Asyl zuständig, Kabarettist und Kicker-Kolumnist. Für eine Humor-EM hätte der sich allerdings nicht qualifiziert. Ganz neu im neuen Sonderheft ist lediglich die Kurzanalyse aller Spieler. Eine sehr sinnvolle Neuerung, allerdings keine eigene Idee, sondern geklaut von den Kollegen von "World Soccer".
Warum der Kicker dennoch auf jeden EM-Studiotisch gehört? Weil die Kollegen aus Nürnberg am meisten Ahnung haben, am besten analysieren, keine falschen Fakten verbreiten und alle Infos in ihr Heft packen, die man braucht zur Euro. Bessere Argumente für ein Sonderheft kann es kaum geben. Da darf der Spaß mal auf der Strecke bleiben.
Für Ungeduldige: Sport-Bild
Der frühe Vogel fängt zwar den Wurm, aber der frühe Andruck fängt sich so manchen Patzer ein. Das hätten die Kollegen aus Hamburg bedenken sollen, als sie ihr Euro-Heft herausgaben. Mit dem Redaktionsschluss 27. April wollte man offenbar dem Kicker Käufer abgreifen, schoss aber gleich mehrere Eigentore: Bei den Steckbriefen der Nationalspieler tauchen mit großen Fotos Spieler wie Hildebrandt, Castro, Hilbert, Pander, Manuel Friedrich, Kehl und Hanke auf, also allesamt Kicker, die nicht einmal im erweiterten 26er-Kader und teilweise nicht einmal ansatzweise zur Disposition standen (Kehl!). Der Statistikteil ist selbstredend noch veralteter als der der Konkurrenz.
Wo das Heft mit derartigen Schnitzern beginnt, mag man kaum weiterlesen – und das muss man auch nicht. Der Aufbau ähnelt stark dem Kicker-Original, abgesehen von den ominösen Bewegungspfeilen bei den Mannschaftsaufstellungen, die der Kicker schon vor einiger Zeit abgeschafft hat. Die Sportbild-Experten geben seltsame Prognosen ab. So glaubt Lothar Matthäus, das Italien schon in der Vorrunde ausscheidet - ein Schicksal, das laut Sportbild-Chefreporter auch Deutschland ereilen könnte. Und wozu muss man eigentlich die Nationalspieler an ihren Augen erkennen?
Für Nostalgiker: 11 Freunde
Den sympathischen 11 Freunden zu unterstellen, sie seien rückwärtsgewandt, ist vielleicht etwas ungerechnet. Schließlich hat die kleine Truppe aus Berlin Schwung in den Markt der Fußball-Hefte gebracht. Allerdings steht das "Magazin für Fußballkultur" auf Historie – und gibt’s dem Freund vergangener Schlachten beim EM-Sonderheft richtig. Wie Franco den Spaniern 1960 die EM versaut hat wird ebenso festgehalten wie Rolf Töpperwiens Turbulenzen bei der Euro 2004. Cordoba ist sowieso allgegenwärtig.
Doch abseits des Geschichtsträchtigen finden sich jede Menge guter Ideen. Beispielsweise die, jeden Tag des Turniers mit einer schönen Story passend zu den jeweiligen Spielen zu begleiten. Oder "Alpenreise", das Brettspiel zur EM. Die News-Freunde werden mit Interviews bedient, wobei das mit Jogi Löw etwas kurz geraten ist und mit Peer Mertesacker wenig überraschend ein Kicker präsentiert wird, der auch zur Leserschaft gehören könnte und sich an Hermann Hesse immerhin "versucht" hat.
Als Ergänzung ist das Heft, das auf Kader- und Zahlenschlacht komplett verzichtet, dennoch hervorragend geeignet. Für Infos und Zahlen den Kicker, für den Spaß die 11 Freunde - so könnte das gedruckte Dreamteam aussehen.
Für Soziale: Hinz & Kuntz
Das EM Extra der Obdachlosen-Zeitung gibt’s leider nur in Hamburg. Wer zu Gast ist, sollte es sich sichern, denn die Redaktion hat mit großer Unterstützung der Fußball-Prominenz ein bemerkenswertes Heft auf die Beine gestellt. Zwar ist man bei derartigen Projekten stets geneigt, die professionelle Brille abzunehmen, aber das Heft hält auch kritischer Betrachtung statt. So hat sich Hinz & Kunzt Gastautoren gesichert, die etwas zu sagen haben, wie Jürgen Klopp. Statt des obligatorischen Löw-Interviews gibt es einen langen Beitrag von Oliver Bierhoff, und Horst Hrubesch schildert den Triumph von Rom 1980.
Dass das Spezial nicht besonders dick ist, muss kein Nachteil sein. Wer kompakte Infos zu den Teams will, wird gut bedient. Pop-Freunde auch: Die Zeichnungen der Top-Stars der Teams sind super. Für Hamburger Ab-und-zu-Fans, die sich eigentlich nur zu Großturnieren für Fußball interessieren, ist das Heft die richtige Wahl. 90 von 170 Cent kommen zudem dem obdachlosen Verkäufer zugute.
Für Weitblicker: World Soccer
Das Heft ist zwar teuer (8,90 Euro), aber wer fachkundige Informationen will und auf Abseitiges á la 11 Freunde verzichten kann, sollte das Geld ausgeben. World Soccer ist noch rudimentärer und freudloser als der Kicker. Während die 11 Freunde Fußball als spaßige Kulturveranstaltung sehen, ist sich World Soccer des Ernstes der Lage bewusst. Die ausländische Sicht macht das Ganze reizvoll, zumal das Blatt aus England kommt, die EM also entspannt aus der Froschperspektive beobachten kann.
Das Heft verfügt über ein großes Korrespondentennetz, bietet also ähnlich wie der Kicker überall Informationen aus erster Hand. Entsprechend fachkundig sind die Spieleranalysen, die das deutsche Pendant aus Nürnberg frech abgekupfert hat. Freunde des Interviews kommen voll auf ihre Kosten: World Soccer hat mit jedem (!) der 16 Nationaltrainer ein Gespräch geführt. Kein Wunder, dass die Titelseite mit "exklusiven Interviews" wirbt.
Die Lektüre strengt zwar etwas an, da man sich durch 32 Seiten Interviews lesen muss. Das englische Sonderheft kombiniert allerdings exzellent Fachwissen mit internationaler Betrachtungsweise. Der nationale Blick ist zwangsweise ausgeschaltet. Der "ultimate Guide" ist allerdings ein etwas teureres Vergnügen.