Deutschland rüstet zur nächsten großen Sieger- Party, doch Joachim Löw kämpft am Lago Maggiore vehement gegen den sich ausbreitenden Euphorie-Bazillus im eigenen Quartier. Zwei Tage vor dem EM-Halbfinal-Duell gegen die Türkei nutzte der Bundestrainer die große Bühne vor der Presse, um deutlich auf die Euphorie-Bremse zu treten: "Bodenhaftung. Bodenhaftung war in den letzten Tagen ein wichtiges Thema", gestand Löw ungefragt im Sportzentrum von Tenero, wo er seine 23 EM-Spieler nach der Erholungsphase bei hochsommerlichen Temperaturen im Training wieder richtig ran nahm.
Keine Garantie für Frings
Auch Torsten Frings war bei der Übungseinheit wieder dabei. Löw erklärte den Bremer trotz Rippenbruchs als "einsatzfähig", gab dem seit Jahren gesetzten Mittelfeldspieler aber keine Garantie für einen Platz in der Start-Elf.
Die Rückkehr des 31 Jahre alten Routiniers, der wegen seiner Verletzung den 3:2-Viertelfinalsieg gegen Portugal verpasst hatte, sei zwar "möglich". Zugleich aber verwies der Coach auf die Möglichkeit, am Mittwoch im Basler St. Jakob-Park noch einmal die Viertelfinal-Elf aufs Feld zu schicken: "Es ist durchaus auch denkbar: Never change a winning team." Dann wäre Frings draußen, als "Doppel-Sechs" würden erneut Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger im defensiven Mittelfeld zum Zug kommen.
Vieles deutet darauf hin, dass Löw auch gegen die Türken mit dem zuletzt gegen Portugal auf Anhieb erfolgreichen 4-2-3-1-System mit der einzigen Sturmspitze Miroslav Klose spielen lassen wird. Zumal sich auch Führungsspieler dafür aussprachen.
Ballack will an neuem System festhalten
"Im Moment ist es das Beste für uns, weiter so zu spielen", erklärte Kapitän Michael Ballack. Per Mertesacker, der eine leichte Erkältung überwunden hat, machte sich für die Rückkehr seines Bremer Kollegen Frings in dieses neue System stark: "Wir haben im Verein lange auf ihn gewartet, um durch seine Leistung die Champions League zu erreichen. Wir haben jetzt im Viertelfinale auf ihn gewartet, damit er im Halbfinale wieder fit ist."
Löw bescheinigte Frings, "ein Kämpfer" zu sein, aber er äußerte auch Skepsis: "Ein Rippenbruch ist nicht ganz ohne."
Mertesacker verwies auf die "Sicherheit", die das neue System gerade defensiv gebracht habe. Doch er sagte auch: "Laufbereitschaft, Wille, Ehrgeiz - nur über diese Dinge können wir das erreichen, was wir wollen."
Warnung vor Überheblichkeit
Löw machte als Bergführer des Gipfelsturms 2008 beim Training, in Einzelgesprächen und bei der Video-Einstimmung auf den Außenseiter Türkei immer wieder deutlich, dass Überheblichkeit vor dem tiefen Fall komme. "In einem Halbfinale ist man nicht überheblich", betonte der Bundestrainer, der am Montag auf dem Übungsplatz ein Trikot mit dem Aufdruck "Mountain-Guide" trug.
Über die Planungen einer großen EM-Sieges-Party am 30. Juni vor dem Brandenburger Tor in Berlin wollte der Cheftrainer nicht mehr reden. "Dieses Thema ist bei uns eingefroren, ich möchte nicht ein Wort davon hören", sagte Löw, der selbst als Coach in der Türkei gearbeitet und dabei viele positive Lebens-Erfahrungen gesammelt hatte. "Ich wünsche mir, dass es bei diesem Spiel keine Provokationen gibt", warb Löw um ein friedliches Miteinander von deutschen und türkischen Anhängern im Stadion von Basel und auch in Deutschland.
Letzter Sieg gegen die Türkei datiert aus 1992
Wie wichtig die von Löw angemahnte "Bescheidenheit" vor dem Duell mit dem durch zahlreiche Verletzungen und Sperren geschwächten Weltrangs-Listen-20. ist, verdeutlicht auch ein Blick in die jüngste Historie. Zwar liegt Deutschland in der Bilanz mit 11 Siegen und nur drei Niederlagen in 17 Duellen klar vorn. Allerdings datiert der letzte Sieg gegen die Türkei (1:0) schon vom 30. Mai 1992. Danach spielte das DFB-Team in der Qualifikation für die EURO 2000 0:1 und 0:0, unterlag zudem zuletzt im Oktober 2005 mit 1:2 in Istanbul.
Mit drei Last-Minute-Siegen über die Schweiz, Tschechien und Kroatien haben die Türken für Aufsehen gesorgt. Doch der WM-Dritte Deutschland will sich nicht übertölpeln lassen. "Ich habe das Gefühl, dass wir nicht nochmal so ein Spiel wie gegen Kroatien vergeigen", sagte Kapitän Ballack und verwies zugleich darauf: "Die schwierigste Phase des Turniers ist überstanden. Ich spüre viel Positives, aber auch eine gewisse Lockerheit." Löw will davon nichts wissen: "Es beginnt wieder bei Null für uns."
Die Spannung will der DFB auch mit dem gleichen zeitlichen Ablauf wie vor dem Sieg gegen Portugal schüren. An diesem Dienstag wird das Team erst um 18 Uhr aus dem Tessin in den Spielort Basel reisen. Wie schon vor dem Viertelfinale verzichtet Löw auf ein Abschlusstraining im St. Jakob-Park und setzte die letzte Übungs- Einheit wieder in Tenero an. "Wer Favorit ist, wer geschwächt ist oder gesperrt, ist egal", sagte der dreifache EM-Torschütze Lukas Podolski. Und betonte: "Unser Ziel ist der EM-Titel."