Man muss dabei gar nicht über zehn Jahre zur Europameisterschaft 1996 nach England schauen, als der "Mirror" mit einer "Fußball-Kriegserklärung" für Schlagzeilen sorgte, indem man Englands Kriegserklärung von 1939 mit Fußballvokabeln anreicherte. Auch in Deutschland wird zu solchen Gelegenheiten schon mal kräftig Foul gespielt. So geriet die Media-Markt-Gruppe erst vor kurzem unter Beschuss, als man in Italien den von Komiker Olli Diettich gespielten Toni wahrnahm, der so ziemlich alle Klischees erfüllt, die über Italiener in Umlauf sind: Man arbeitet wenig, klaut dafür allerlei, trägt Goldkette, Trainingsanzug und Rippenunterhemd und besticht nebenbei auf dem Fußballplatz noch ein paar Schiedsrichter.
Die Zeitungen "La Republica" und "Corriere dela Sera" berichten über die Spots, und ganz Italien fühlt sich beleidigt und heult auf. Die schlimmsten Werbefilmchen nahm das Unternehmen wieder aus dem Programm, der Rest freilich blieb. Man findet es offenbar normal und vertretbar, die europäischen Nachbarn vor den Kopf zu stoßen und zu diskreditieren, um den Umsatz zu steigern.
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Skandal in der Türkei
Manche britische Zeitung bemüht mit Vorliebe irgendeinen Krieg, um die nachbarschaftliche Freundschaft zu festigen. "Wir haben die ersten beiden Gefechte 1918 und 1945 gewonnen, sie die beiden letzten 1990 und 1996", schrieb ein Blatt vor dem EM-Duell Englands gegen Deutschland bei der EM 2000.
Als es während der Qualifikation zur WM 2006 in Deutschland zwischen der Türkei und der Schweiz zu schweren Ausschreitungen und Körperverletzungen auf dem Rasen und in den Katakomben des türkischen Stadions kam, fühlten sich türkische Zeitungen von Europa verfolgt, weil die türkische Nationalmannschaft mit einer Platzsperre belegt wurde. Spieler und Funktionäre prügelten sich nach der Partie wie eine Bande Betrunkener auf dem Oktoberfest. Fußball, so meinte der türkische Literaturnobelpreisträger Orkan Pamuk sei nur noch eine "Maschine zur Produktion von Nationalismus, Fremdenhass und autoritärem Denken".
Vorbild England
In den Niederlanden wurden während der EM 2000 deutsche Hotelgäste in kleineren Städten vom Herbergspersonal darauf hingewiesen, besser nicht in die Innenstadt zu gehen und sich dort als Deutsche zu erkennen zu geben. Deutsche Trainer wurden auf Trabis sitzend abgedruckt. Unvergessen auch die EM 1988, als Ronald Koeman nach dem 2:1-Halbfinalesieg mit Olaf Thon sein Trikot tauschte. Thon trug es nach Hause, und Koeman provozierte in aller Öffentlichkeit und wischte sich noch auf dem Platz mit dem deutschen Trikot symbolisch den Hintern.
Doch zurück nach England, wo man Derartiges zu einer besonderen Perfektion ausgebaut hat. Es ging so weit, dass sich die spanische Mannschaft 1996, als "Football nach Hause kam", Pressekonferenzen und öffentlichen Auftritten verweigerte, weil man sich beleidigt fühlte. Englische Krawallblätter hatten die Nation mit einem Reigen dümmlicher Witze erfreut und jeden Tag neue veröffentlicht. Die waren allesamt etwa von diesem Niveau: "Warum tragen Spanier Schnurrbärte? Sie wollen aussehen wie ihre Mütter". Oder: "Warum sind Deutsche schlecht im Golf? Man bekommt sie nicht aus dem Bunker" Oder: "Wie wird man 90 Kilo ekelhaftes Fett los? Man sagt einem Deutschen den falschen Weg nach Wembley".
Wilde Jagdszenen
Im "Mirror" sah man Paul Gascoigne und Stuart Pearce mit englischen Kriegshelmen auf dem Kopf, daneben die Kriegserklärung im Wortlaut von 1939. Auch damals bemühte man zur Beilegung der aufgebauschten Fußball-Krise die Politik. Anderen Orts reichte schon Jubel zur Provokation. Dem Jubel auf dem Platz über das Erreichen der EM-Endrunde 2004 folgen für die deutschen Fußball-Junioren wilde Jagdszenen.
Im Tunnel zu den Kabinen werden die U21-Spieler nach dem 1:1 gegen die Türkei im Stadion von Fenerbahce Istanbul von Polizisten und Ordnungskräften geschlagen, getreten und beschimpft. Die türkischen Medien verteidigen tags darauf nahezu einhellig die Entgleisungen. Die deutschen Spieler hätten mit "übertriebener Freude" und "beleidigenden Gesten" die türkischen Fans provoziert.