Interviews sind nicht sein Ding. Wenn einem Toni Kroos in diesen Tagen gegenüber sitzt, will sich so recht kein Gespräch entwickeln. Artig beantwortet der Nationalspieler, der am Abend in Gelsenkirchen gegen Österreich (ab 20.45 Uhr im stern.de-Livetivker) schon sein 20. Länderspiel bestreitet, zwar jede Frage, aber der Bayern-Profi gehört eher zun den Schüchternen im DFB-Team. Langweilig ist es mit Kroos trotzdem nicht.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass er im System von Bundestrainer Joachim Löw eine immer wichtigere Rolle spielt. Im zweiten Länderspiel der neuen Saison wird der Defensiv-Allrounder, wie schon Anfang August beim 3:2-Sieg über Brasilien, erneut in der Startelf stehen. Was umso bemerkenswerter ist, weil Mario Götze gegen die Selecao eine überragende Partie abgeliefert hat, und dem BVB-Jungstar deshalb eigentlich ein Stammplatz im Mittelfeld sicher schien. "Es ist doch gut, dass Jüngere wie Mario Götze nachkommen", sagt Kroos milde lächelnd und klingt dabei so gar nicht wie ein 21-Jähriger.
Löw ein großer Fan
Toni Kroos weiß, dass er in der Hierarchie der Nationalmannschaft längst aufgestiegen ist. Der Bayern-Spieler hat eine Weltmeisterschaft gespielt. Gestanden ist das falsche Wort, doch etabliert hat sich der gebürtige Greifswalder im Kreis des DFB-Teams durchaus. "Ich habe im DFB-Team immer meine Leistung gebracht – auch wenn jemand wie Khedira gefehlt hat. Ich bin mehr als eine Alternative, kann ohne Probleme spielen", sagt Kroos zu stern.de. So spricht nur jemand, der weiß, dass er den Rückhalt des Trainers hat.
Und ob er den hat. Joachim Löw schätzt den Mittelfeldspieler über alle Maßen. "Ich bin sehr von Toni überzeugt. Wenn er gespielt hat, war unser Spiel immer sehr kreativ, lauf- und ballstark. Toni verarbeitet die Bälle gut, kann zwischen den Linien torgefährlich sein", urteilt der Bundestrainer. "Ich sehe bei ihm eine hervorragende Entwicklung in der Nationalmannschaft und auch in den letzten Bundesligaspielen hat er mir ausgesprochen gut gefallen." In der Nationalmannschaft kommt ihm aktuell die Rolle des "Zwischenspielers" zu. Ein Begriff, den Löw eigens für Kroos kreiert hat.
Sein Plus: die Flexibilität
Bei der WM ließ der Bundestrainer noch ein 4-2-3-1-System mit Schweinsteiger und Khedira als "Doppelsechs" spielen. Gegen Brasilien und auch jetzt gegen Österreich reicht Joachim Löw ein Spieler als Absicherung. Den Job übernimmt Bastian Schweinsteiger. Kroos' Aktionsradius befindet sich zwischen den Positionen sechs und zehn. Er spielt also nicht so defensiv wie sein Teamkollege von den Bayern und nicht so offensiv wie Real-Star Mesut Özil.
Das große Plus von Toni Kroos ist seine Flexibilität. Er kann im Mittelfeld praktisch jede Position bekleiden. Bei den Bayern wechselt er sich vornehmlich mit Thomas Müller rechts in der Offensive oder in der Zentrale ab, zuvor bei Bayer Leverkusen war er als linker offensiver Mittelfeldspieler einer der gefährlichsten der Liga, und jetzt ist er also "Zwischenspieler" in der Nationalmannschaft. Damit hebt er sich vom derzeit verletzten Sami Khedira oder auch Mario Götze ab.
Weiter als bei den Bayern
Den blutjungen Dortmunder sieht der Bundestrainer "dauerhaft im Zentrum", dort habe er "das Spiel in Tiefe und Breite vor sich." Weil auf der Position aber Mesut Özil seinen Job verrichtet und sich Löw wegen der dann sehr großen Offensiv-Wucht nicht traut, beide Ball-Künstler zeitgleich von der Leine zu lassen, hat Kroos beste Aussichten, auch weiterhin regelmäßig von Beginn an auflaufen zu können.
Damit dies so bleibt, muss sich Kroos aber trotz allem noch weiterentwickeln. Seine Körpersprache auf dem Platz lässt oft zu wünschen übrig. Ihm geht die Bissigkeit ab. Auch die fehlende Antrittsschnelligkeit sei ein Defizit, sagen Kritiker. "Ich bin immer noch sehr jung, das wird oft vergessen, wenn ich beurteilt werde. Ich habe noch viel vor mir. Da steht noch was an", wehrt sich der 21-Jährige und klingt dabei gar nicht mehr schüchtern. Vor der gerade angelaufenen Saison wurde zum wiederholten Male sein echter, großer Durchbruch beim FC Bayern angekündigt. In der Nationalmannschaft ist Toni Kroos in diesem Punkt schon einen Schritt weiter.