Es muss noch nicht seine letzte Chance sein, aber für Kunstschütze Jörg Böhme wird das EM-Qualifikationsspiel gegen Litauen trotzdem zu einer Stunde der Wahrheit. Nach der Absage von Christian Ziege feiert der Schalker am Samstag in Kaunas nach knapp fünf Monaten ein Comeback in der Fußball-Nationalmannschaft, die dem am Ball genialen Linksfuß bislang wenig schöne Stunden beschert hat.
»Das letzte Jahr war enttäuschend für mich«, sagte der 28-Jährige, dessen Verhältnis zu Rudi Völler durchaus spannungsgeladen ist. Erst in letzter Minute war Böhme als Nachrücker für den Dortmunder Jörg Heinrich ins WM-Aufgebot gerutscht. Die Weltmeisterschaft stand für ihn jedoch unter keinem guten Stern: Nach null Einsatzminuten reiste Böhme nach der Vorrunde vorzeitig nach Hause. Beim Aufwärmen vor dem Kamerun-Spiel hatte er sich einen Muskelfaserriss zugezogen.
»Jörg ist in einer guten Verfassung und er hat gut trainiert«, begründete Völler am Freitag die Nominierung des 28-Jährigen in die Startformation gegen Litauen. Böhme will das Vertrauen des Teamchefs unbedingt mit einer überzeugenden Leistung zurück zahlen und auf der linken Seite endlich einmal richtig »durchstarten«. Beim Training hängte er sich besonders rein, wirkte aber auch sehr angespannt.
Böhmes Qualitäten schätzt Völler. »Wir wissen alle, dass Jörg in der Vorwärtsbewegung überragende Möglichkeiten hat«, lobte der Teamchef. Als exzellenter Flankengeber und Freistoßschütze ist Böhme ein Gewinn für jedes Team. Sein vielversprechendes Länderspiel-Debüt am 29. Mai 2001 in Bremen gegen die Slowakei (2:0) schien die Probleme auf der linken Seite zu lindern. Doch Völler weiß eben auch um die große Schwäche des Schalkers. »Wenn er seinen Gegenspieler beschäftigen kann, ist er ein wertvoller Spieler. Wenn ihm das jedoch nicht gelingt, gibt es Schwierigkeiten«, erklärte der Teamchef.
Als Paradebeispiel für Böhmes Defizit steht dessen bislang einziger Einsatz über 90 Minuten. Beim 1:5 gegen England vor zwölf Monaten in München erteilte ihm David Beckham eine Lehrstunde. Auch bei seinem bislang letzten Auftritt im DFB-Trikot am 17. April dieses Jahres in Stuttgart gegen Argentinien (0:1) wurden Böhme erneut die Mängel in der Rückwärtsbewegung zum Verhängnis; nach 45 Minuten wechselte Völler den Schalker aus. Gegen den Fußball-Zwerg Litauen jedoch stehen die Zeichen auf Sturm. »Wir wollen nach vorne spielen«, kündigte Völler an. Diese Marschroute ist die große Chance des Jörg Böhme - vielleicht seine letzte.