Die Fiorentina befindet sich im Tief, steht nur auf Platz 11 in der Serie A. Nicht gerade der günstigste Zeitpunkt für das Champions-League-Achtelfinale gegen den FC Bayern?
Wir hatten es zuletzt nicht ganz leicht, weil viele Spieler verletzt waren, einige zu viel und deshalb etwas weniger brillant gespielt haben. Aber unsere Motivation, unser Wille sind stark. Wir erleben schließlich einen Traum.
Was für einen Traum?
Dass wir gegen Bayern München um den Einzug in das Viertelfinale spielen. Niemand hätte einen Pfennig darauf gewettet, dass wir die Gruppenphase überstehen.
Sie haben mit Adrian Mutu eine fast schon tragische Figur in den eigenen Reihen. Erst die Millionenstrafe wegen Kokainkonsums bei Chelsea. Nun droht ihm eine neue, lange Sperre wegen der Einnahme eines verbotenen Appetitzüglers. Was ist mit ihm los?
Menschlich gesehen stehen wir auf der Seite von Adrian. In sportlicher Hinsicht fehlt uns ein wichtiger Spieler. Es bleibt uns nichts anderes über, noch mehr als Mannschaft aufzutreten. Jeder von uns muss etwas mehr geben, weil Mutu nicht dabei ist.
Wie schätzen sie den FC Bayern ein?
Die Mannschaft des FC Bayern ist zusammen gestellt, um ins Finale der Champions League zu kommen. Zwischen unseren und deren wirtschaftlichen Möglichkeiten liegen Welten. Aber am Ende ist es ein Spiel, ein Mannschaftsspiel. Deshalb müssen wir weiter träumen und wenn wir überzeugt sind von unseren Qualitäten und das Spiel gut angehen, dann können wir Bayern in Schwierigkeiten bringen.
Was halten Sie von Bayern-Trainer Louis van Gaal?
Van Gaal ist ein Trainer mit großer Persönlichkeit, Charisma, unglaublicher Erfahrung. Seinen Mannschaften hat man seine Ideen immer angesehen. Bayern nutzt das gesamte Spielfeld. Die Außenstürmer stehen sehr weit in der Hälfte des Gegners, sie sind stark in Eins-zu-Eins-Situationen und stoßen in die freien Räume. Das sind die Spuren von Van Gaal. Für uns jüngere Trainer war die größtmögliche Nutzung des Feldes eine Neuheit, die er eingeführt hat.
Van Gaal sagte nach der Auslosung, Florenz sei gut organisiert und spiele typisch italienisch. Gibt es überhaupt noch so etwas wie typisch italienischen Fußball?
Nein. Arrigo Sacchis AC Mailand etwa war nicht nur gut organisiert, sondern spielte auch spektakulär. Milan hat alles gewonnen und überall wurden Sacchis Ideen nachgeahmt. Jede Mannschaft in der Serie A hat heute ein eigenes System und eigene Charakteristiken. Die Vielfalt ist das Potential der Serie A.
International haben die italienischen Klubs aber nachgelassen.
Ich bitte Sie! Milan und Juventus haben in den letzten 15 Jahren doch mehr gewonnen als zum Beispiel der FC Bayern.
Letztes Jahr schieden alle italienischen Teams im Achtelfinale aus.
Man kann ja auch nicht immer die Champions League gewinnen. Das wäre zuviel verlangt. Im italienischen Fußball gibt es derzeit weniger Ressourcen als in England oder Spanien.
Viele ihrer italienischen Trainerkollegen gehen ins Ausland. Reizt Sie das auch?
Der Calcio macht einen manchmal fix und fertig. Es ist wie im Zirkus, wie wenn man von einem Mixer durchgeschüttelt wird. Nach einiger Zeit ist man müde. Hier musst du Fußball jede Woche, jeden Tag, jede Minute leben.
Klingt irgendwie nach Amtsmüdigkeit.
Manchmal überkommt mich die Lust, wegzugehen. Aber ich bin dickköpfig und deshalb mache ich hier weiter. Obwohl in Italien der Fußball oft als das Ende der Welt aufgefasst wird. Man muss das Leben ernst nehmen, nicht den Fußball!
Kommt nicht oft vor, dass ein Fußballtrainer so etwas sagt...
Wenn man ihn mit dem Leben vergleicht, ist der Fußball nicht ernst. Man muss gewisse Werte beibehalten. Mir ist es zum Beispiel peinlich, über meine Arbeit zu reden. Wir sollten uns selbst weniger wichtig nehmen und verstehen, dass das Leben nicht nur aus Fußball besteht.
Es heißt, die Liebe der Deutschen zu Italien sei angesichts der politischen Verhältnisse, aber auch im Hinblick auf den Calcio, abgekühlt. Können sie das nachvollziehen?
Ehrlich gesagt habe ich nie verstanden, warum die Deutschen so in Italien verliebt waren. Vielleicht sind ihnen erst jetzt die Augen aufgegangen.
Was ist für Sie als Trainer die größte Schwierigkeit in ihrem Beruf?
Das Verhältnis zu den Medien. Gerade nach den Spielen, wenn man sofort einen Kommentar abgeben muss. Da muss man sich manchmal mit Notlügen helfen.
Apropos Notlügen: Hätten Sie Lust eines Tages die italienische Nationalmannschaft zu trainieren?
Sie bringen mich in Verlegenheit, denn wir haben einen Nationaltrainer, der Weltmeister geworden ist und in ein paar Monaten diesen Titel verteidigen will. Ich bin überzeugt, dass Marcello Lippi noch einige Jahre Nationaltrainer bleiben wird.
Dieses Interview haben wir für Sie in der Financial Times Deutschland gefunden.
Cesare Prandelli
Cesare Prandelli gilt als einer der besten Fußballtrainer in Italien und ist Nachfolgekandidat von Marcello Lippi als Commissario Tecnico der Nationalmannschaft. Bekannt wurde der 52-Jährige aus der Provinz Brescia beim AC Parma (2002-2004). Für wenige Monate trainierte er 2005 den AS Rom, ein Engagement, das er wegen der schweren Krankheit seiner Frau abbrach, die inzwischen verstorben ist. Seit 2005 betreut Prandelli den ACF Florenz, mit dem er sich dreimal hintereinander für die Champions League qualifizierte.