Nachdem Italiens Polizeichef Antonio Manganelli den Verdacht geäußert hatte, das organisierte Verbrechen stecke hinter den Krawallen der Neapel-Fans, widersprechen Ermittler deutlich der These von der Camorra als Anstifter der Fan-Randale. Vize-Polizeichef Nicola Cavaliere relativierte die Worte seines Vorgesetzten und sagte, Manganelli habe nicht von einer mafiösen Führungsebene gesprochen - oder gar einer Strategie. "Er meinte lose Gruppen, die sich nicht einem Projekt verschrieben haben, sondern viele unterschiedliche Interessen verfolgen. Niemand hat behauptet, die Camorra habe die Gewaltserie organisiert."
Die Polizei wisse jedoch, dass es Verbindungen zwischen der Camorra und der Ultra-Szene gebe, sagte Cavaliere. In den heruntergekommenen Stadtvierteln Neapels, wo die Clans dominieren, stehen die radikalen Fans Tag für Tag unter dem Einfluss des organisierten Verbrechens. "Die Gruppe der Randalierer, die am Sonntag den Zug nach Rom gekapert hat, dealt etwa am Tag danach mit Drogen oder bereitet einen Überfall vor", erklärte Cavaliere. Von tausend Ultras, die in den Zug gestiegen sind, seien 200 vorbestraft wegen Drogenhandel, Erpressung und Raubüberfällen, einige von ihnen seien auch im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Müllnotstand in der Region aufgefallen, so Cavaliere.
Strategie des Vertrauens gescheitert
Auch Staatsanwalt Franco Roberti, Chef von Neapels Antimafia-Einheit Dda, der die Ermittlungen leitet, sagte: "Man muss klar unterscheiden zwischen der Präsenz von Clanmitgliedern in den extremistischen Fangruppen und der jetzt verbreiteten These einer Strategie der Camorra, die nach meiner Einschätzung nicht zutrifft." Für die Antimafia-Behörde sind es dennoch überaus gefährliche Extremisten, die sich in jeden Konflikt einmischten, wenn es darum gehe öffentliches Eigentum zu zerstören und Polizeikräfte anzugreifen. Die Gewalt hat sich längst aus den Stadien auf die Straße verlagert, die Ultras mischen bei den illegalen Geschäften der Clans mit und zeigten ihre geballte Macht, indem sie den Bürgerprotest gegen die Eröffnung der Müllhalden in Pianura und Chiaiano radikalisierten und zum willkommenen Anlass für Krawalle benutzten.
Die Regierung Berlusconi hatte, wohl auch unter dem Einfluss des mächtigen Chefs von Italiens Fußballverband, Antonio Matarrese, die als gefährlich eingestufte Fahrt der Neapel-Ultras zum Auswärtsspiel nach Rom erlaubt. Nun musste Innenminister Roberto Maronri einräumen, dass seine Strategie des Vertrauens gegenüber den Extremisten gescheitert ist. Bei den schweren Ausschreitungen am Sonntag wurden zehn Polizisten verletzt. Die teils Vermummten zwangen die Passagiere des gekaperten Zugs zum Aussteigen, plünderten und demolierten anschließend die Waggons. Bahnbedienstete hatten vergebens versucht, die Hooligans am Einsteigen zu hindern, weil sie keine Fahrkarten besaßen. Vier Kontrolleure wurden angegriffen und verletzt. Die Bahngesellschaft Trenitalia nannte Schäden in Höhe von einer halben Million Euro.
Kartenverkauf gestoppt
Die Regierung hat nach der Randale am ersten Spieltag der italienischen Fußballmeisterschaft scharfe Maßnahmen angekündigt. Die Fans des Erstligisten SSC Neapel sollen während der ganzen Saison zu keinem Auswärtsspiel ihrer Mannschaft mehr fahren dürfen. Innenminister Roberto Maroni sagte in einem Fernsehinterview, sämtliche Täter müssten zur Verantwortung gezogen werden, eine Stadion-Sperre für zwei Jahre bekommen und unter dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung strafrechtlich verfolgt werden. Die Regierung will damit künftig vermeiden, dass eingesperrte Randalierer nach wenigen Tagen wieder aus der Haft entlassen werden müssen. Genau das war nach den Krawallen geschehen. Der zuständige Richter war gezwungen, die Straftäter wieder freizulassen.
Außerdem ist es vorgesehen, dass die Spiele, die als gefährlich gelten, unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Die dafür zuständige Beobachtungsstelle im Innenministerium wird von Fall zu Fall entscheiden. Der Kartenverkauf für das Spiel Neapel vs. Florenz wurde bereits gestoppt. Die Fahrt der Milan-Fans zum Auswärtsspiel gegen Genova wurde untersagt. Die beiden Begegnungen des zweiten Spieltags der Erstligisten galten den Fußball-Beobachtern als riskant. Ebenso wie eine Partie der Zweitligisten Ancona vs. Ascoli und die weiteren Spiele Potenza vs. Gallipoli sowie Vibonese vs. Cosenza. Vor leeren Rängen soll auch das Qualifikationsspiel für die WM Italien vs. Georgien nächste Woche in Udine stattfinden.
Ultras bieten der Polizei die Stirn
Sollen die Klubs doch lieber gleich vor leeren Stadien spielen, mag man denken. Denn der Fußball in Italien hat schon lange nichts mehr mit Sport zu tun - oder gar mit Vergnügen. Er ist zum Spielball brutaler Gewalt geworden. Laut einer Studie, die La Repubblica veröffentlichte, wächst die radikale Szene weiter. 80 Prozent der Fangruppen seien rechts - oder linksextremistisch unterwandert. Der Soziologe Alessandro Dal Lago macht überdies eine Radikalisierung aus. Die Ultras würden vor den Sicherheitskräften nicht mehr davonlaufen, sondern den offenen Kampf mit ihnen geradezu suchen.