Fußball-Philosoph, Mr. Motivator, System-Erneuerer – für Jürgen Klinsmann gab es vor seinem Job-Antritt in München viele Namen. Alle seine Bezeichnungen implizierten eines: Dieser Mann, bei der Weltmeisterschaft in Deutschland zum Volkshelden geworden, ist mit einem Auftrag an die Isar gekommen: Verkrustetes aufbrechen, alte Strukturen modernisieren, modernen Fußball lehren. Die Bayern wollen sein wie ein Arsenal London oder der FC Barcelona: Spaßmacher für die Fans, brillant und erfolgreich auf dem Platz.
Dafür haben die Herren Hoeneß, Rummenigge und Beckenbauer dem "Guru" Klinsmann alle Freiheiten gelassen und sich selbst schnell und medienwirksam als seine Anhänger geoutet. Hoeneß, Rummenigge und Beckenbauer war so gut wie alles recht, was der Neue auf der Trainerbank an vermeintlich Revolutionärem anpackte. Hohe Investitionen für ein neues Trainingsgelände, Acht-Stunden-Trainingstag, Absage von Trainingslagern, innovative Kapitäns-Wahl oder gewaltiger Trainerstab – alles super, alles klasse, alles neu und deshalb folgenswert. Klinsmann hat das gemacht, was sie alle von ihm erwartet haben: Er hat für frischen Wind gesorgt bei den Münchnern. Zumindest vor Saisonstart.
Jetzt ist die Brise abgeflaut. Zwei Siege, zwei Unentschieden, zwei Niederlagen, momentan Platz neun in der Liga – die Bayern haben den schlechtesten Bundesliga-Saisonstart seit 31 Jahren hingelegt. Im DFB-Pokal und in der Champions League läuft es auf dem Papier bislang nach Plan – aber mit einer Leistung wie in Hannover wird ein Sieg am Dienstag gegen Olympique Lyon kaum möglich sein.
Die Kritik an Klinsmann wächst. Und ohne Erfolg verschwinden auch die Anhänger. Die Methoden des neuen Bayern-Trainers stoßen mittlerweile vermehrt auf Unverständnis. In Hannover verzichtete er auf Schweinsteiger (dem bislang besten Bayern-Spieler!), Ze Roberto, Lucio und van Buyten, ließ Podolski und den wieder genesenen Ribéry lange auf der Bank – Rotations-Maßnahmen, die weder in der Mannschaft, noch bei den Experten auf Gegenliebe stoßen. Fast wirkt es so, als habe der "Mann für die besonderen Dinge" Klinsmann in der Hölle des Alltags die Orientierung verloren.
Aber nicht nur in Sachen Aufstellung hat Klinsmann ein Problem. Auch die Einstellung scheint bei vielen seiner Stars nicht zu stimmen. Ein Problem, das so zum ersten Mal beim Debakel gegen Bremen aufgetaucht ist und jetzt in Hannover seine Fortsetzung gefunden hat. Ribéry sprach nach der Niederlage von Kollegen, die sich „im Kopf oder physisch nicht wohl fühlen“, Borowski erkannte am letzten Wochenende "phlegmatische Mitspieler". Aussagen, die deutlich machen: In der Truppe stimmt es nicht. Klinsmann muss jetzt gegensteuern. Aber schafft er das überhaupt? Ohne Joachim Löw und ohne die Unterstützung frenetisch aufgeheizter Fans bei einer Heim-WM?
Klar ist auch: Hoeneß hat allmählich die Nase voll. Er hat Klinsmann geholt, um den Fans tollen Sport zu bieten und vor allem in der so wichtigen Champions League weit zu kommen. Schon jetzt ist das alles in Frage gestellt. In seinem letzten Jahr als Bayern-Manager muss sich Hoeneß wieder ärgern. Beim "Blick auf die Tabelle" bekäme er schlechte Laune, sagte er nach der Hannover-Pleite, um gleich im Anschluss eine Serie zu fordern. Ansagen, die seinen Arbeitnehmern auf dem Platz nicht mehr viel Spielraum lassen. Die aber auch an den Trainer gerichtet waren. Klinsmann braucht jetzt Erfolge – sonst ist der Guru sehr schnell nur noch ein ganz normaler Trainer.