Kuss-Skandal Luis Rubiales: Ein skrupelloser Monarch, dem sich alle zu beugen haben

Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbandes RFEF, küsst die spanische Nationalspielerin Aitana Bonmati
Australien, Sydney: Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbandes RFEF, küsst die spanische Nationalspielerin Aitana Bonmati auf dem Podium nach dem Sieg Spaniens im Finale der Fußballweltmeisterschaft der Frauen gegen England im Stadium Australia in Sydney.
© Alessandra Tarantino / DPA
Sehen Sie im Video: Spanische Nationalspielerinnen drohen mit Streik – so lange Rubiales Verbandschef ist.




Es ist eine starke und eindeutige Botschaft. Das Team der spanischen Frauen-Nationalmannschaft, das erst kürzlich den Weltmeister-Titel geholt hat, droht damit, nicht mehr anzutreten, solange Verbandschef Luis Rubiales noch im Amt ist. Das teilten sie am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung über ihre Gewerkschaft mit. Rubiales hatte bei der Siegerehrung der spanischen Fußball-Weltmeisterinnen die Spielerin Hermoso ungefragt auf den Mund geküsst. Hermoso erklärte, sie habe sich als Opfer eines Übergriffs gefühlt, eines impulsiven, machohaften Aktes, der unangebracht gewesen sei und dem sie nicht zugestimmt habe. Am Freitag haben sich in Madrid die Proteste verstärkt, nachdem klar wurde, dass Rubiales auf einer Sondersitzung des spanischen Fußballverbands einen Rücktritt weiterhin ablehnt. Nun hat auch Spaniens oberste Sportbehörde beim nationalen Sportgerichtshof die Suspendierung des Verbandschefs beantragte. Eine Entscheidung könnte bereits in wenigen Tagen vorliegen.
Dass Spaniens Fußball-Präsident Luis Rubiales eine Woche nach dem Kuss-Skandal immer noch im Amt ist, ist nicht nur ein Skandal. Es zeigt auch, dass Spaniens fortschrittlicher Ruf in Sachen Frauenrechte nicht der Realität entspricht.

Vor wenigen Wochen noch, im Wahlkampf, konnte man den Eindruck bekommen, dass Spanien ein modernes Land sei. Weltweit wurden die Errungenschaften der Regierung in Sachen Frauenrechte gelobt. Spaniens Gleichstellungsministerin Irene Montero feierte ihren Gesetzentwurf, der eine Krankschreibung bei starken Menstruationsbeschwerden erleichtern soll. Ihr zu verdanken ist auch das Gesetzespaket zur "sexuellen Freiheit", das das Sexualstrafrecht verschärft. Wenn ein Mann mit einer Frau Sex hat, die nicht eindeutig zustimmt, gilt das als Vergewaltigung. Das "Nur Ja heißt Ja"-Gesetz galt als Meilenstein, einzigartig in Europa. In Sachen Frauenrechte galt Spanien als Vorreiter, als Champion.

Nun sind Spaniens Frauen in einer anderen Disziplin tatsächlich Meister geworden, Weltmeister sogar – im Frauenfußball. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. Doch die Freude an dem Sieg ist längst der Empörung gewichen. Denn der Präsident des spanischen Fußballverbandes, Luis Rubiales, hat die Offensivspielerin Jennifer Hermoso noch während der Siegesfeier vor laufenden Kameras ungefragt auf den Mund geküsst. Er tut so, als sei das das normalste der Welt, obwohl die Spielerin mit der Nummer zehn sich "verletzlich und als Opfer eines Übergriffs" fühlt, "eines impulsiven, machohaften Aktes, der unangebracht war und dem ich nicht zugestimmt habe."

Dass Rubiales eine Woche nach diesem Vorfall immer noch im Amt ist, ist nicht nur ein Skandal. Es zeigt auch, dass das südeuropäische Land in Wahrheit noch weit entfernt ist von gelebten Frauenrechten. Die gibt es zwar auf dem Papier. Doch es wirkt so, als ob Spanien noch immer dem Klischee-Bild gerecht wird, das viele Mitteleuropäer von ihm haben: ein katholisches Macholand, in dem die Männer das Sagen haben und die Frauen das Nachsehen.

Von dieser Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen wird nicht der Siegtreffer der Spanierinnen in Erinnerung bleiben. Bleiben wird das Bild vom Kuss des glatzköpfigen Fußballfunktionärs, den er der Spielerin auf den Mund drückt. Auch jene Szene, die ihn kurz nach Abpfiff auf der Tribüne zeigt, wird bleiben, als er sich im Siegestaumel ans Gemächt fasst und dabei seine Hüften in Richtung der Spielerinnen auf dem Spielfeld bewegt – ganz so, als würde ihn der sportliche Erfolg sexuell erregen. Historisch ist jetzt schon seine Rede bei der Sondersitzung des Fußballverbandes am vergangenen Freitag. Nicht nur, weil er fünfmal hintereinander wiederholt hat: "Ich werde nicht zurücktreten." Auch, weil er fünfmal von dem versammelten Gremium – fast alles Männer – Applaus dafür bekam. Ein nicht unerheblicher Teil der Spanier klatschte im Stillen mit. Das ist der Grund, warum sich Rubiales so unangreifbar fühlt.

Luis Rubiales
Luis Rubiales

© EIDAN RUBIO / AFP
Luis Rubiales: "Ich werde nicht zurücktreten"

Eine Gesellschaft, die immer noch von Männerbünden dominiert wird

Dass 23 Weltmeisterinnen und auch ein Spieler der Männer-Nationalmannschaft sich daraufhin weigerten, unter der aktuellen Verbandsführung für das Nationalteam aufzulaufen, ist sicherlich einzigartig in der Geschichte des Fußballs. Dieser Boykott wirft aber ein Schlaglicht auf eine Gesellschaft, die immer noch von Männerbünden dominiert wird – nicht nur beim Fußballverband, auch in der Politik. Vor allem bei der von unzähligen Skandalen erschütterten, konservativen Partei Partido Popular (PP). Aber auch bei der ultrarechten nationalistischen VOX-Partei, deren Vertreter Frauen ohnehin lieber am Herd sehen als in Büros, in der Politik oder auf dem Fußballplatz. Über Jahrzehnte haben diese Männerklüngel, die es natürlich auch bei der sozialistischen PSOE gibt, einander Geschäfte und Pöstchen zugeschoben.

Der Fall Rubiales ist nur ein aktuelles, erschreckendes Beispiel. Dass der 46-jährige Fußballfunktionär, Jahressalär 675.000 Euro, nicht schon vor Jahren zurücktreten musste, ist ein Skandal für sich. Seine Karriere ist gesäumt von Verfehlungen. Erst drei Jahre ist es her, dass ihn sein eigener Onkel bei den Antikorruptionsbehörden angezeigt hat, weil er eine Sex-Party mit Geldern des Verbands bezahlt haben soll. Damals, so heißt es, habe er den Service von Escort-Damen per Bewirtungsbeleg abgerechnet. Die spanische Staatsanwaltschaft prüft derzeit ebenso, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, als Rubiales den spanischen Supercup nach Saudi-Arabien verkauft hat.

Luis Rubiales weckt Erinnerungen an den ehemaligen König Juan Carlos

Nicht nur deswegen werden Erinnerungen an den ehemaligen König Juan Carlos wach, der Schmiergelder im 100-Millionen-Bereich aus Saudi-Arabien kassiert und laut Schweizer Ermittlungen versucht haben soll, diese an der Steuer vorbei für sich zu verbuchen. Auch die Kommunikation des Fußballverbandes erinnert an einen skrupellosen Monarchen, dem sich alle zu beugen haben. Ganz offenbar hat die Pressestelle des Verbands eine Mitteilung fingiert, in der Nationalspielerin Hermoso zitiert wird, obwohl sie sich zahlreichen Avancen zu einem Gespräch mit dem Verband verweigert hatte. Der Kuss sei eine "auf Gegenseitigkeit beruhende Geste der Zuneigung und Dankbarkeit gewesen sei", heißt es da.

Allein das ist ein Skandal, für den die involvierte Riege des Pressestabs fristlos gekündigt gehört. Im Falle von König Juan Carlos haben die spanischen Medien sich lange einen Maulkorb auferlegt, obwohl viele Journalisten wussten, dass ihnen das königliche Presseteam Lügen auftischte. Jetzt hat die betroffene Spielerin den Verband und ihren Präsidenten in einer Pressemitteilung der Gewerkschaft der Spielerinnen entlarvt, die ein Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Gott sei Dank.

"Die Worte von Luis Rubiales, mit denen er den unglücklichen Vorfall erklärt, sind kategorisch falsch und Teil der manipulativen Kultur, die er selbst geschaffen hat", wird Jennifer Hermoso da zitiert, diesmal im Original. "Ich stelle klar, dass das von ihm erwähnte Gespräch zu keinem Zeitpunkt stattgefunden hat, und noch viel weniger war der Kuss einvernehmlich. Ich möchte wiederholen, wie ich es damals getan habe, dass dieser Akt nicht nach meinem Geschmack war."

Rubiales wähnt sich immer noch als Opfer eines "sozialen Attentats". Es gebe überall Idioten und Dummköpfe, die einen normalen Ausdruck der Freude fälschlicherweise als sexuellen Übergriff werteten. Zu diesen zählt er ganz offenbar auch Spaniens stellvertretende Regierungschefin Yolanda Díaz. Sie wird Anfang dieser Woche die unfreiwillig geküsste Spielerin treffen, um über den Vorfall zu beraten. Díaz ist eine von vielen Politikerinnen und Politikern in Spanien, die nach Hermosos Stellungnahme den Rücktritt des Verbandspräsidenten fordern. Díaz hat beim spanischen Sportsrat (CSD) eine Beschwerde gegen Rubiales eingereicht, der ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Funktionär anstrengen könnte. Der Druck auf den Macho-Funktionär steigt. Das spricht für Spanien. Selbst die Disziplinarkommission der Fifa hat den spanischen Verbandsboss bereits suspendiert. Rubiales ist damit für alle fußballbezogenen Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene gesperrt. Die Sperre gilt vorläufig für 90 Tage.

Ob sein Kuss auch strafrechtliche Folgen haben wird, hängt von der Politik ab. Nach den neuen Gesetzen der noch geschäftsführenden Regierung sind sexuelle Handlungen ohne Zustimmung beider Parteien eine Straftat. Ob das noch lange so sein wird, ist fraglich. Gerade hat Spaniens König Felipe den Chef der Partido Popular, Alberto Núñez Feijóo, damit beauftragt, eine Koalitionsregierung zu bilden. Sollte ihm das zusammen mit VOX und Splitterparteien gelingen, gehören die fortschrittlichen Frauenrechte Spaniens wohl bald der Geschichten an.

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