Nationaltrainer-Debüt Maradonas neue Ernsthaftigkeit

Von Raphael Honigstein, Glasgow
Die Übervater des argentinischen Fußballs hat sein Debüt als Nationalmannschaftstrainer gegeben - und einer verunsicherten Mannschaft wieder Selbstverrtrauen eingeflößt. Beim unspektakulären Sieg über über Schottland war Maradona ganz Staatsmann.

Babak Rafati, der vierte Offizielle, reckte eine Tafel mit einer roten "3" in die Höhe - und drei Minuten vor Ende der Nachspielzeit ging das Spiel los: Aus beiden Kurven des spärlich besuchten Hampden Park rannten die Leute mit Fotokameras und Mobiltelefonen los, um rechtzeitig zum Schlusspfiff in der Nähe von ihm zu sein. Die eigentliche Partie lief zwar noch; die Mannschaften mühten sich jedoch nur in einer Art und Weise, die den Eindruck erweckte, sie wollten beide das knappe 1:0 über die Zeit retten.

Als es geschafft war, gönnte sich der neue argentinische Nationaltrainer eine gänzlich irdische Jubelgeste. Er umarmte Gabriel Heinze an der Seitenlinie, verabschiedete sich artig von Schottland-Coach George Burley und ging sofort in die Kabine. Der 48-Jährige schien leicht zu humpeln. Vielleicht war die Trainingshose nicht kurz genug.

Millionen von Zuschauern wollten ein Spektakel

Millionen von Zuschauern in 150 Ländern wollten am Mittwochabend Diego Maradona sehen, den von der WM in Deutschland bekannten Tribünenhedonisten und Partypatrioten. Eine Legende außer Rand und Band auf der Bank - das versprach Spektakel. Die Voyeure wurden jedoch enttäuscht. Der Mann, der hier zum ersten Mal für Argentinien verantwortlich zeichnete - zufälligerweise in jenem Stadion, wo er 1979 als 18-Jähriger sein erstes Länderspieltor geschossen hatte -, war fest entschlossen, nur mehr Señor Maradona zu sein: ein demonstrativ ernsthafter Nationaltrainer.

Ein eigens aus Frankreich angereister Radioreporter, der den argentinischen Coachingbereich von der Pressetribüne nicht einsehen konnte, fragte seine Sitznachbarn während der 90 Minuten immer wieder verzweifelt, was Maradona machte. Maradona machte: nichts. Staatsmännisch ungerührt hatte er der Nationalhymne zugehört und den sehr fein herausgespielten Treffer von Maxi Rodríguez (Atlético Madrid, 8.) vernommen. Ein bisschen verbalen Pathos brachte er auch nach der Partie an: "Die Spieler waren heute eine Einheit. Echte Männer auf dem Platz, die bereit waren, für das Trikot zu sterben", sagte er.

Maradona blieb ruhig

Die nach acht sieglosen Spielen in Folge völlig verunsicherten Südamerikaner brauchten einen Chef, der so aussah, als ob er alle Antworten kenne und zu jeder Zeit die Fassung bewahre. Sie bekamen ihn. Ob Maradona seine erstaunliche Ruhe nur geschickt vortäuschte, war dabei unerheblich. Wer schon einmal in irgendeiner leitenden Funktion aufgetreten ist, weiß, dass ein Großteil der Autorität nicht mehr als Schauspiel und Projektion ist. Der Rest kommt später.

"Ich habe die ganze Woche 100 Prozent dafür gegeben, die Moral der Spieler wiederherzustellen", sagte Maradona, "und ich habe es geschafft, ihnen die Angst vor der Niederlage zu nehmen." Besonders in der starken Anfangsphase wirkten die Gäste wie befreit, auch ohne die Stars Lionel Messi, Sergio Agüero und Román Riquelme war Argentinien "technisch eine Klasse besser" (Maradona). Nur ein paar Fouls der ersatzgeschwächten Schotten verhinderten mehr Tore.

Argentinien offenbarte in Glasgow auch einige Schwächen. Innenverteidiger Martín Demichelis zum Beispiel war gegen unbedarfte Gegenspieler wieder Äonen von der "Weltklasse" entfernt, die ihm seine Münchner Arbeitgeber gelegentlich andichten. Die aufmunternden Worte des neuerdings hochseriösen und sogar pünktlichen Übervaters beendeten jedoch die "Minikrise" (Maradona). Team und Coach scheinen positiv aufeinander zu wirken. Der Weltmeister von 1986 wäre nicht der erste Trainer, der in der Arbeit an der Spielerpsyche sein eigenes Seelenheil findet.

FTD

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