WM 2006 Das ist unsere WM!

Er hat seinen Master-plan, und den setzt er stur durch. Dabei vergisst jürgen klinsmann: Es geht um mehr als sein persönliches Projekt.

Also schon in zwei Wochen ist das Endspiel, das Grande Finale 2006, das ging jetzt aber flott. Wenn Deutschland am 22. März nochmals schmählich verliert, gegen die USA, Nummer sechs der Welt, dann buona notte, und unsere schöne stolze Nationalelf wird der Heim-WM entgegentaumeln, begleitet von unseren Flüchen, unserer Panik.

Es geht nicht darum, dass die Fans kaum mehr glauben, Weltmeister werden zu können. Sondern darum, dass Deutschland Angst hat vor der Blamage, davor, Gast zu sein im eigenen Land, ein Witz von einem Gastgeber, der Milliarden für neue Stadien verpulvert, aber ein leidlich starkes Juniorenteam aufs Feld schickt. Als wäre es uns gar nicht peinlich.

Man hatte sich als Fußballfreund im Lauf der Jahre daran gewöhnt, dass unsere besten Kicker nicht mehr zu den Besten der Welt gehören, ein bisschen Bescheidenheit kehrte ein, die stand uns gut. Aber jetzt, nach dem 1 : 4 in Italien, das aussah wie ein 0 : 7 und sich anfühlte wie ein null zu noch was, ahnen wir: Wir sind nicht mehr Deutschland. Es gibt keine Kleinen mehr? Doch: uns. Wir sind Malta.

Na, wir wollen nicht übertreiben. Jürgen Klinsmann, der neue Bundestrainer, hat ja seine Verdienste. Der Muff von 1000 Jahren "weiter so" beim DFB ist fortgewedelt, nur hat er es beim Auseinandernehmen des Ladens leider versäumt, etwas zusammenzufügen. Eine stabile Mannschaft etwa. Dabei war das sein wichtigster Job, als er im Sommer 2004 nach der missratenen EM die Macht übernahm, alle Meistertrainer hatten abgewinkt, die Nationalelf, ein hoffnungsloser Fall, zehn Jahre Talentmangel, wer kommt schon dagegen an?

Klinsmann. Das war die Idee. Er schien der starke Mann, den sich dieses Fußball-Land immer wünscht, sobald es ein Problem zu lösen gilt.

In diesem Fall kam der im Gewande des Gutmenschen daher, es fällt schwer, Klinsmann nicht ein bisschen zu mögen, wenn man sich mit ihm unterhält. Aber nun, nach fast zwei Jahren des Beobachtens, keimt ein furchtbarer Gedanke: Was, wenn es der starke Mann einfach nicht kann? Und das selbst nicht einsieht?

Er muss auf dem Papier zwingend gewesen sein, der Masterplan, den Klinsmann Philosophie nennt: ein total neues Leistungsdenken schaffen im DFB, an allen Schrauben drehen, Trainerstab auswechseln, Krafttraining, Tests einführen, blablabla, kurz: eine neue Kultur schaffen. Nur war dabei wohl nicht vorgesehen, dass sich die Jungen in zwei Jahren nicht entwickeln. Dass die wenigen Begabten wackeln. Dass das Team auf die ständige Überforderung nicht mit Leistungssprüngen reagieren könnte. Sondern mit Zusammenbruch. Dies geschah in Florenz. Es zu leugnen duftet nach Honecker. Sie machen so weiter, haben die Trainer nach dem Spiel gesagt, immer nach vorne. Eine Philosophie? Ein Dogma.

Diese Mannschaft ist ein höchst wabbeliges Konstrukt. Natürlich kann sie zu Hause, wenn das Momentum passt, einiges erreichen, mit Mut, Glück und Lust, sagen wir: selbst das Finale. Ist ja Fußball. Aber diesem Team eine Spielweise aufzwingen, die es nicht leisten kann: Das ist nicht nur fahrlässig, es ist Hybris. Es ist Hybris, so offensiv gegen Italien zu spielen. Sie wollten sie überraschen. Sie wurden selbst überrascht. Von I-TA-LI-EN. Von den bekanntermaßen ausgebufftesten Profis des Universums.

Im DFB stöhnen

inzwischen selbst Wohlgesinnte, Klinsmann höre auf nichts und niemanden, zumindest auf keinen, der etwas vom Fußball versteht. Das Beunruhigende aber ist, und jetzt wird's brenzlig: Klinsmann redet, 'tschuldigung: kommuniziert, auch nicht mit denen, die seine Philosophie mit der schnöden Realität versöhnen sollen. Mit den Nationalspielern. Das heißt, reden tut er schon. Nur hört er nicht zu. Die Hand voll Älteren im Team sagen: Es geht nicht nur mit Jungen, wir brauchen mehr Erfahrung auf dem Platz. Aber selbst Stammspieler zucken mit den Achseln, wenn man sie fragt, ob sie glauben, ihre Meinung finde Gehör.

Der Bundestrainer betont, er sei noch ein Lernender. Er schickt, beraten von Co-Trainer Joachim Löw, seine Mannen mit einer Grundordnung in die Schlacht von Firenze, die Napoleon für Waterloo verworfen hätte, und schaut sich das Spektakel regungslos an, er ändert eine schreckliche Hälfte lang nichts. Nichts. "Taktisch waren wir eine Klasse schlechter", das sagte etwa Kapitän Ballack, der bei Bayern nicht dafür bekannt ist, übertölpelt zu werden. Entweder sahen die Trainer die Probleme nicht. Oder sie sahen sie und reagierten nicht. Beides: schlimm.

Längst ist Klinsmanns Glaubwürdigkeit infrage gestellt. Wer im Klub nicht spiele, habe keine Chance, sagte er allzu oft. Das Gegenteil ist inzwischen der Fall, die Nationalelf soll Bankdrücker aufpäppeln. In den ersten 15 Minuten hebelte Verteidiger Huth gegen Italien gleich viermal die Abseitsfalle aus, das muss man erst mal schaffen. Es ist natürlich nicht seine Schuld. Er ist jung, darf beim FC Chelsea nur selten spielen. Aber warum wird so ein Lehrling ohne Lehrstunden immer wieder aufgestellt? Und wieso sollte er es im WM-Achtelfinale, weiter wagen wir nicht mehr zu denken, besser machen?

Es sei ja nur ein einziges Spiel gewesen, alles halb so wild, hieß es, was natürlich nicht stimmt, schon das Match in Holland hätte italienisch enden können. Einer der Routiniers sagte in Florenz sehr leise: "Hoffentlich hat die Mannschaft jetzt gesehen, dass sie noch nicht da ist, wo sie hin will. Dass sie es einfach noch nicht kann. Vielleicht musste das die Mannschaft noch begreifen." Er sagte nicht: die Trainer. Das traute er sich nicht. Mit der Abstrafung von Christian Wörns hat Klinsmann ein eindeutiges Signal gesetzt: Wer meckert, fliegt raus.

Klinsmann schaute kühl drein am Tag danach, es sollte cool wirken, aber wer seinen Weg vom Beginn an begleitet hat, sah: Er ist angegriffen. Trotzdem - oder: gerade deswegen? - machte er sich nach der Pleite wieder flugs auf nach Kalifornien. Welcher Firmenchef fährt in Urlaub, wenn der Betrieb vor dem Bankrott steht? Wie sollen die Spieler den Irrsinn aushalten, wenn ihr Boss dafür 10 000 Kilometer Abstand braucht?

Das scheint er nicht zu begreifen: Es ist unsere WM. Unser Traum. Es ist nicht sein Projekt, sein privates Studienobjekt, sein Wasweißich. Es sind unsere Jungs. Man muss sie schützen, mit einer Taktik, die es ihnen leicht macht. Sie sind vielleicht nicht sehr gut. Aber sie sind allemal besser als das.

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Rüdiger Barth

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