Michael Ballack Versager oder Opfer?

Manche Fußballer scheitern an realen Aufgaben, andere an falschen Ansprüchen: Über die WM-Bilanz von Michael Ballack scheiden sich wieder einmal die Geister.

Nach dem deutschen WM-Aus streiten Fans und Experten über die Rolle Michael Ballacks während des Turniers. Der 29-jährige Kapitän hat nun nach 2002 sein zweites WM-Finale verpasst und damit möglicherweise seine letzte Chance, den ersehnten Titel einzuheimsen.

Kein Tor, wenig Durchschlagskarft

Für Kritiker des Ex-Bayern- und Neu-Londoner liegen die Fakten auf dem Tisch. Nach einer durchwachsenen WM-Vorbereitung mit mehreren kleinen Verletzungen kam der Mittelfeldspieler aus ihrer Sicht nie richtig in Tritt. Gegen Ende des Viertelfinals gegen Argentinien und auch in seinem 70. Länderspiel gegen Italien zeigte der deutsche Kapitän im Gegensatz zu den meisten Mannschaftskollegen deutliche Ermüdungserscheinungen. Ebenfalls auf der Negativ-Bilanz: Der laut Statistik mit 31 Treffern torgefährlichste deutsche Spieler erzielte bisher kein WM-Tor: Oft versuchte er es mit Fernschüssen; seine viel gerühmte Kopfballstärke konnte er nur sehr selten unter Beweis stellen. Auch ließ Ballack in entscheidenden Szenen die erhoffte Nervenstärke vermissen: Gegen Italien schoss er gegen Ende einen Freistoß von der Strafraumgrenze deutlich über die Latte. Zudem unterliefen dem begnadeten Techniker ungewöhnlich viele Stockfehler.

Dem halten seine vielen Fans entgegen, der gebürtige Görlitzer werde mit überzogenen und quasi unerfüllbaren Ansprüchen konfrontiert. Die Erwartung an ihn - sowohl zuletzt bei den Bayern als auch jetzt in der Nationalmannschaft - sei, dass er als Spielmacher und Schaltzentrale im Mittelfeld glänze, dass von ihm die entscheidenden, raffinierten und unerwarteten Zuspiele kämen, die die Stürmer dann in Tore vollendeten, oder dass er die wichtigen Treffer gleich selbst erziele.

Neue taktische Rolle

Diese hohe Erwartungshaltung hat Ballack tatsächlich nur selten erfüllt - im Verein wie auch während der WM. Er war zwar sehr präsent auf dem Platz und wurde im Mittelfeld auch immer als Anspielstation gesucht. Aber er verkörperte - im Vergleich etwa zu einem Zinédine Zidane beim Spiel Brasilien gegen-Frankreich - eher die biedere Variante des Spielmachers, der zwar häufig am Ball ist, aber dann den sicheren Pass über zehn Meter an die Außenpositionen bevorzugt, statt mit einer überraschenden und damit auch riskanten Aktion die gegnerische Hintermannschaft auszuhebeln. Während der WM ist das dem 29-Jährigen eigentlich nur einmal genial gelungen: Im Vorrundenspiel gegen Ecuador lupfte er kurz vor dem Halbzeitpfiff den Ball aus dem Fußgelenk auf Miroslav Klose, der keine Mühe hatte, zum 2:0 einzuschießen. Die hohen Erwartungen an Ballzauberei und Torgefährlichkeit sind vielleicht auch deshalb etwas ungerecht, weil Ballack während der Weltmeisterschaft in eine andere taktische Rolle schlüpfen musste. Bundestrainer Jürgen Klinsmann dachte ihm neben Torsten Frings eine eher defensive Rolle vor der Abwehrkette zu. Dies hatte zur Folge, dass der Kapitän wenn überhaupt nur aus der Distanz aufs Tor schoss. In der Defensivarbeit zeigte er jedoch jene Stärken, die ihn neben seiner Ballfertigkeit ebenfalls auszeichnen: Ballack kann unermüdlich rackern und kämpfen, sich in der eigenen Hälfte um Bälle bemühen, auf diese Weise Angriffe einleiten und vor allem als Antreiber die jüngeren Spieler mitreißen.

AP
Torsten Holtz und Froben Homburger/AP

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