WM-Countdown Ein Herz für Knechte

Ronaldinhos Kunst entfacht kein Feuer. Und königlicher Fußball macht nicht glücklich. Meint, ganz unmodern, Autorin Simone Buchholz.

Manchmal werde ich gefragt, wie ich denn die Weltmeisterschaft so rumzukriegen gedenke. Die Leute gehen davon aus, dass ich mich nicht für Fußball interessiere, nur weil ich mir gerne Regionalligaspiele anschaue. Weil diese Rumpelei ja mit Fuß, mit Ball und mit Fußball bekanntlich nichts zu tun hat. Und seit dem vorletzten Mittwoch gelten die Zustände in der Regionalliga auch noch als unzumutbar für Bundesligaspieler. Seit die Leidenschaft der Perfektion den Schneid abgekauft hat. Seit die Mannschaft von Weiber Bremen am Millerntor doch tatsächlich einem Wetter ausgesetzt war.

Entschuldigung, ich wollte nicht spotten. Ich habe nur die ewige Hänselei satt und die mitleidigen Fragen: warum ich denn immer noch zu so einem Verliererklub wie dem FC St. Pauli halte, das wird doch eh nichts mehr mit denen. Ob ich mitgekriegt habe, wie schön der HSV in letzter Zeit spielt. Und wann endlich unser Stadion zusammenkracht. All das kann ich nicht mehr hören, und ich empfinde es als längst fällige Genugtuung, was da gerade im DFB-Pokal passiert: Dass unsere Jungs der Schnöseligkeit zeigen, wo am Millerntor der Hammer hängt, und zwar schön rustikal, wie es sich für Sankt Pauli gehört. Das tut mir sehr leid für alle, die sich dabei wehgetan haben, aber bevor daraus weiterhin ein Riesendrama gemacht wird:

1. Fußball ist kein Häkelkurs.
2. Es gibt viel gefährlichere Sachen, die die Leute für viel weniger Geld tun, die Streif in Kitzbühel runterbrettern zum Beispiel.
3. Ich gehe ins Stadion, um einen Kampf zu sehen. Wenn mir nach Anmut und Eleganz ist, gehe ich ins Ballett.

Ja, und dann kommt da diese WM. Dieses Fußballfest, dessen Spiele nicht in Stadien, sondern in Arenen ausgetragen werden. Auf Plätzen, die nicht für den Kampf, sondern für die Kamera gebaut wurden, für die Tricks von Ronaldinho. Ich bewundere Ronaldinho und seine Teppichbodenkunst, sein feines Auge, seinen Witz, seine Fantasie, seine Ballintelligenz. Ich werde mir das schon anschauen, im Fernsehen. Aber es wird mir nicht zu Herzen gehen. Es wird kein Feuer in mir entfachen.

Ich bin mit Eintracht Frankfurt

aufgewachsen. Im Waldstadion. Ich finde das Wort "Rasenheizung" nicht besonders aufregend, das Wort "Blutgrätsche" hingegen sehr. Im modernen High-Tech-Kick wird eine Rasenheizung vorausgesetzt und eine Blutgrätsche verachtet. Die Leute haben wohl Recht, wenn sie vermuten, dass ich mit der WM überhaupt nichts anfangen kann, dass mich das langweilen wird. Ich werde diese Frage ab jetzt nicht mehr als Beleidigung, sondern als Ritterschlag empfinden. Ich werde erhobenen Hauptes antworten, dass mich der königliche Fußball nicht glücklich macht, dass mein Herz für die Knechte schlägt, die versuchen, sich von unten hochzuackern, mit allem, was sie haben, auch wenn das nicht viel ist, da muss man eben auf eine andere Art trickreich sein.

Ich werde unmodern sein und mich bis zum Ende der Saison bedingungslos der dritten Liga zu Füßen werfen. Ich werde nicht nur im April gegen die Bayern, sondern auch schon am Freitag wieder am Millerntor in der Südkurve stehen, wenn meine Mannschaft Kickers Emden empfängt. Vielleicht wird es matschig sein oder eisig, vielleicht wird es Schneeregen geben und einen roten Ball. Ganz sicher wird es in unserem Stadion ziehen wie Hechtsuppe. Vermutlich wird es kein schönes Spiel werden. Aber es wird leidenschaftlich sein, wild, heftig, unberechenbar und eventuell schmerzhaft.

Im Fußball ist es wie in der Liebe: Wenn es von Herzen kommt, ist alles erlaubt. Es darf und muss auch mal wehtun. Sonst bedeutet es nichts. Und die Zeit während der WM werde ich damit verbringen, mich auf die Tour de France zu freuen. Auf eine beglaubigte Hölle.

Simone Buchholz ist Journalistin und Buchautorin ("Der Trick ist zu atmen")

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