New England Patriots Der Stuhl des Imperators wackelt: Bill Belichicks Spiel in Deutschland könnte sein letztes sein

Mürrischer Blick und im Kapuzenpullover: So kennt man NFL-Trainerlegende Bill Belichick an der Seitenlinie
Mürrischer Blick und im Kapuzenpullover: So kennt man NFL-Trainerlegende Bill Belichick an der Seitenlinie
© Adrian Kraus / DPA
Bill Belichick gilt als Trainerlegende in der NFL. Seit 23 Jahren steht er bei den New England Patriots an der Seitenlinie – gewann dabei sechs Mal den Super Bowl. Doch ausgerechnet das erste Spiel der Patriots in Deutschland könnte das letzte für Belichick sein.

Was war das? Ein Lächeln? Von Bill Belichick? Bei der Pressekonferenz der New England Patriots im Frankfurter Deutsche Bank Park rieben sich die Reporter verwundert die Augen. Ein Sechser im Lotto ist wahrscheinlicher, als den 71-Jährigen lächeln zu sehen. Bill Belichick, Trainer des Teams aus Massachusetts, aufgrund seines meist sehr mürrischen Gesichtsausdrucks in den US-Zeitungen als "Imperator" in Anlehnung an "Star Wars" bezeichnet, zeigt sich in Deutschland von einer ganz anderen Seite. "Ich habe Sie noch nie so viel Lachen sehen wie in Deutschland. Wie fühlen Sie sich hier?", wollte ein Reporter auf der Pressekonferenz wissen. Belichick lachte und lobte die Gastgeber. "Ich liebe es hier, ich war schon ein paar Mal in Deutschland. Land und Leute sind großartig, danke für die Gastfreundschaft", antwortete Belichick, gewohnt schmallippig und gewohnt gekleidet in einem Kapuzenpullover.

Viel zu Lachen aber gibt es für den Trainer der Patriots derzeit nicht. Mit nur zwei Siegen aus neun Partien steht sein Team weit unten in der Tabelle, der Zug Richtung Playoffs ist längst abgefahren. Eine ähnlich schlechte Bilanz hatten die Patriots nur in Belichicks erster Saison. Im Jahr 2000 war das. Damals scheiterte Deutschland kläglich bei der Fußball-EM in Belgien und den Niederlanden. Bill Clinton war Präsident der Vereinigten Staaten. Und die Patriots gewann nur fünf ihrer 16 Saisonspiele.

Und er kann doch lächeln: Bill Belichick bei der Pressekonferenz in Frankfurt.
Und er kann doch lächeln: Bill Belichick bei der Pressekonferenz in Frankfurt.
© Uwe Anspach / DPA

Die Patriots enttäuschen in der NFL

Das Team bleibt erneut hinter den Erwartungen zurück, nur zwei Mal in den vergangenen fünf Jahren erreichten die Patriots überhaupt die Playoffs, um dort bereits in der ersten Runde zu scheitern. Das wohl dominanteste Football-Team des 21. Jahrhunderts, das unter Belichick sechs Mal den Super Bowl gewann, ist aktuell ein Scherbenhaufen – und Belichick gerät immer mehr unter Druck. "Der Weg der Patriots ist am Ende. Die Spieler sind nicht mehr bereit, sich der Autorität ihres Cheftrainers zu unterwerfen", rechnete Sportjournalist Mike Florio im "NBC Pro Football Talk" mit Belichick ab. In "The Athletic" fragte Mike Sando, ob der Weg zurück zum Erfolg überhaupt noch mit Belichick gelingen könnte.

Belichick ist bei US-Sportjournalisten aufgrund seines Verhaltens nicht sonderlich beliebt. Nach der Niederlage gegen Washington am vergangenen Wochenende beantwortete er Fragen sehr einsilbig – ähnlich verhält er sich aber auch bei Siegen seines Teams. "Einer der Gründe, warum Belichick so unkooperativ gegenüber Medien ist, ist, dass er die Wirkung von Popularität als störend und zersetzend empfindet", schreibt Kolumnistin Sally Jenkins in der "Washington Post". Belichick sei ein anti-elitärer, der lieber mit undankbaren, überforderten und unterbezahlten zuverlässigen Spielern als mit Superstars gewinne. "Das liegt daran, dass er immer verstanden hat, dass es im Football viel mehr Abhängigkeiten gibt als den Wurfarm eines Quarterbacks oder die Ansagen des Trainers über ein Headset."

Aber der 71-Jährige hat weiterhin vereinzelte Rückendeckung. "Bill ist für mich der beste Trainer, der je gecoacht hat", sagt Sebastian Vollmer im Gespräch mit dem stern. Der 39-Jährige spielte neun Jahre unter Belichick für die Patriots, gewann als bislang einziger Deutscher den Super Bowl (2014 und 2016). Es sei Belichick gewesen, der die Teams zum Titel geführt hat. "Auf dem Papier waren die Teams nicht immer die besseren, aber sie waren gut trainiert", so Vollmer.  

Der Schlüssel zum Erfolg war für Belichick dabei immer die Disziplin. Zwischen 2011 und 2018 kassierte sein Team in Playoff-Spielen 25 Prozent weniger Strafen als die anderen Teams. "Das Wichtigste im Spiel sind die ungezwungenen Fehler. Sobald man Dinge wie Strafen, Turnover und mentale Fehler eliminiert hat, kann man einfach rausgehen und einen Spielzug so ausführen, wie man ihn ausführen soll. Solange man das nicht kann, hat man kaum eine Chance zu gewinnen", erklärte Belichick einmal im Gespräch mit der "Washington Post". 

Bill Belichick setzt auf Disziplin

Um für Disziplin im Team zu sorgen, griff Belichick auch durchaus mal zu härteren Mitteln. "Wir hatten einmal ein Training und er hat uns vorgewarnt, dass ein Schneesturm naht und wir früh genug losfahren sollen, um beim Treffen um 8 Uhr zu sein. Alle waren dann pünktlich da, bis auf fünf Spieler. Die wären ein paar Minuten zu spät gekommen, Bill hat aber die Tür abgeschlossen", erinnert sich Vollmer. Die Strenge bei Belichick hätte Hand und Fuß gehabt, auch weil ein Team mit Spielern und Betreuern rund 100 bis 150 Leute umfasse. "Wenn es da keine Ordnung und Disziplin gibt, ist das wie im Kindergarten und man bekommt nichts auf die Reihe. Die Patriots sind da aber ganz vorne dabei, was die Erwartungen an die Spieler betrifft: wie pünktlich oder überpünktlich man ist, was man allein macht, wie man die Vorbereitung absolviert, wie lange man im Stadion bleibt und viel mehr. Das ist mit Sicherheit eine Old-School-Wertschätzung von einem Bill Belichick, der das von seinen Spielern erwartet."

Die Zukunft der Patriots steht am Scheideweg, auch, weil die Stars fehlen. "Wenn man schaut, wen man in den letzten fünf Jahren verloren hat, waren das absolute Ausnahmespieler, unter anderem Tom Brady und Rob Gronkowski als zukünftige NFL Hall-of-Famer und viele andere Spieler, die in der Patriots Hall of Fame sein werden. Wenn man sich das jetzige Team anguckt, wer das schaffen könnte, dann wird die Liste kürzer", sagt Vollmer. Doch für den Kader ist auch Belichick verantwortlich, der gerade auf der wichtigen Position des Quarterbacks nicht sonderlich glücklich wirkende Entscheidungen traf. Nach dem Abgang von Brady 2019 verpflichtete er den ehemaligen MVP Cam Newton, dem in der kompletten Saison nur acht erworfene Touchdowns gelangen. Nachwuchshoffnung Mac Jones, der auf Newton folgte, legte zwar einen vielversprechenden Start hin, führte die Patriots in seinem ersten Jahr 2021 letztmals in die Playoffs. Doch seitdem lässt auch Jones nach, in der vergangenen und aktuellen Saison sinken seine Werte immer weiter.

Mittlerweile wackelt auch der Stuhl des "Imperators" bedrohlich. Der "Boston Globe" berichtete kürzlich darüber, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass sich die Patriots noch in der laufenden Saison von Belichick trennen. "Die nächsten beiden Spiele (gegen Washington und Indianapolis, Anm. der Red.) vor der freien Woche sind extrem wichtig, vor allem das Spiel in Deutschland. Das ist praktisch der Super Bowl für die Familie Kraft", schreibt Redakteur Ben Volin. Seine Kontakte in die Organisation hätten ihm zudem angedeutet, dass es nicht zu 100 Prozent sicher sei, dass Belichick die Saison an der Seitenlinie beenden darf. 

Trennung schon nach dem Deutschland-Spiel?

Teameigner Robert Kraft baute auch am Samstag nochmal Druck auf die Mannschaft auf. Der Multimilliardär tauchte am Samstag unerwartet im Patriots-Haus in der Frankfurter Innenstadt auf. "Ich habe der Mannschaft heute Morgen gesagt, dass ich deutsche Fans getroffen habe und ihnen versichert habe, dass jeder Spielzug am Sonntag von Bedeutung ist. Ich habe den Spielern gesagt, dass ein Sieg am Sonntag entscheidend ist und ich hoffe, dass sich das auf dem Feld niederschlägt", so Kraft. Wie es nach einer Niederlage in Frankfurt weitergehen könnte, dazu äußerte sich Kraft nicht. Es könnte, auch durch das anstehende spielfreie Wochenende, aber zu einem Trainerwechsel kommen – US-Medien berichten, dass die Krafts bereits eine Lösung in der Hinterhand haben. Das Lächeln von Bill Belichick könnte dann ganz schnell verschwinden.

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