Am Ende wurde er von seinem Mannschaftskollegen geherzt und gedrückt. Die Freude kannte keine Grenzen mehr, die Tränen flossen und auch Trainer Richard Prause war überwältigt. Wieder einmal war es Timo Boll, der in der Pekinger Universität die Nerven behielt und zum Helden wurde. Boll hatte den Japaner Seiya Kishikawa in der alles entscheidenden fünften Partie hauchdünn mit 3:2-Sätzen bezwungen und eine wahre Nervenschlacht erfolgreich beendet. Nun war Party angesagt. Christian Süß, der nervenstarke Youngster Dimitrij Ovtscharov und Coach Prause stürmten auf Boll zu. Unfassbar, gerade hatte die deutsche Tischtennis-Auswahl das Finale bei Olympia erreicht.
Was die deutsche Mannschaft auf dem roten Hallenboden an Schlägen, Abwehraktionen und spektakulären Schnittbällen auf die Platte zauberte, war beeindruckend. Der 19-jährige Ovtscharov; der endgültig wieder erstarkte Boll und auch der tapfer kämpfende Süß hatten ihrer Sportart an diesem Tag einen großen Gefallen getan.
Was hatte man sich beim Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) nicht alles überlegt, um seinen in der breiten Öffentlichkeit immer noch als Pingpong verschrienen Sport für die Medien attraktiver zu machen. Da wurden permanent Spielsysteme und Zählweisen geändert, alles Mögliche wurde getan, um Tischtennis endlich einen größeren Stellenwert zu verleihen. Aber mit nichts erreicht man bei den Medien mehr als mit Erfolg. Insofern haben Boll und seine Kollegen bei diesen Olympischen Spielen jetzt schon alles richtig gemacht.
Auf den Punkt topfit
Ohne große Mühen hatten sie das Halbfinale erreicht. Singapur, Kanada, Kroatien - alle wurden in der Vorrunde sicher bezwungen. Nun stehen die deutschen Herren nach dem Zittersieg über die Japaner im Finale, und vor allem für einen geht damit ein großer Traum in Erfüllung. Für Timo Boll, in China Nationalheld und mit Abstand bekanntester europäischer Spieler, muss dieser Erfolg wie eine Erlösung sein. Im Jahr 2003 noch Weltranglisten-Erster hatte er speziell in den letzten Monaten mit vielen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Immer wieder kam ihm seine gereizte Patellasehne in die Quere, nie war er in der Lage, über einen längeren Zeitraum in einem vernünftigen Umfang zu trainieren.
Aber Boll ist auf den Punkt topfit und hat allen seinen chinesischen Fans bewiesen, dass sie ihn zu Recht verehren. Wurde er bereits beim Einmarsch der Mannschaften mit großem Applaus und sichtbarem Respekt empfangen, dürfte nach diesem Erfolg sein Ansehen noch einmal gestiegen sein. Minutenlang versteckte Boll nach seinem entscheidenden Sieg seine Emotionen unter einem Handtuch, während die Menge ihn frenetisch bejubelte. Ein großer Tag für das deutsche Tischtennis mit seinem Aushängeschild Timo Boll.
Boll wie erlöst
Im anschließenden Gespräch wirkte Boll dann auch wie erlöst. Er wusste, dass sich in den letzten beinahe drei Stunden die knallharte Trainingsschinderei der vergangenen Monate für ihn ausgezahlt hat: "Wir haben wirklich am absoluten Limit gespielt. Ich habe meine beiden Spiele gewonnen, die wirklich sehr hart waren. Insbesondere für meine Nerven." Und schob gleich noch hinterher: "Jetzt bin ich nur noch glücklich." Und Trainer Prause ergänzte: "Wir haben heute ein Spiel von extrem hohen Niveau gesehen. Alle Spieler haben hier absolute Top-Leistungen abgeliefert, das war schon ungewöhnlich für einen Mannschaftswettkampf. Deswegen sind wir natürlich umso glücklicher, dass er für uns heute gereicht hat." Im Endspiel warten nun die als fast unschlagbar geltenden Chinesen, die am Abend gegen die Südkoreaner keine Probleme bekommen dürften. Die Branchenprimusse sind bei ihrem Heimturnier bislang absolut souverän durch das Turnier marschiert und haben keine Schwäche gezeigt. Hatten deren Spitzenspieler wie Wang Hao, Ma Lin oder Wang Liqin früher des Öfteren Probleme, dem Erwartungsdruck ihrer Landsleute gerecht zu werden, so spielen sie hier bei Olympia auf konstant hohem Niveau. Bei allen bisherigen Partien haben sie ihr spielerisches Konzept nie verloren und auch in schwierigen Spiel-Situationen die Nerven behalten.
Eine ganz schwere Aufgabe also für Boll & Co. - aber auch die Möglichkeit, dem Tischtennis-Himmel noch ein Stückchen näher zu kommen.