Seit kurz vor ein Uhr deutscher Zeit in der Montagnacht sind die XXX. Olympischen Spiele Geschichte. Vorbei ist damit auch die sportliche Vollversorgung von ARD und ZDF, die während der Wettkampftage bis zu 16 Stunden täglich aus London berichteten. Die Berichterstattung von Olympia war hochemotionales Fernsehen voller Tränen und Leidenschaft, garniert mit spektakulären Bildern. Doch nicht alles gelang den Sendern in London. stern.de präsentiert Gewinner und Verlierer der Olympischen Fernsehspiele.
Verlierer: die Live-Übertragung
Bei der Fußball-EM empörten sich ARD und ZDF über die Bildmanipulationen der Uefa-Regie – bei Olympia machen es die beiden Sender selbst nicht besser. Die als Live-Übertragung verkaufte Konserve von Ereignissen wurde zum echten Aufreger. Da sehen die Zuschauer beispielsweise Tischtennisspieler Timo Boll in einem Duell mit seinem Angstgegner Adrian Crisan aus Rumänien – und reiben sich später verwundert die Augen, wenn sich das Match nach einer langen Schalte zum Turnen und einem eingeschobenen "Olympia kompakt" angeblich erst im dritten Satz befinden soll. In Wirklichkeit war Boll da längst ausgeschieden.
Das wirkt grotesk in Zeiten von Echtzeitkommunikation via Internet, grenzt sogar an Desinformation. Eine konsequente Ein- oder eben Ausblendung von "Live"-Hinweisen findet ARD-Teamchef Walter Johannsen aber eher "verwirrend für Zuschauer" angesichts der Dichte von Entscheidungen etwa bei der Leichtathletik. Immerhin: Nach der öffentlichen Kritik haben Moderatoren und Reporter deutlich häufiger auf Aufzeichnungen hingewiesen.
Gewinner: die Livestreams
Sie waren die wahren Stars im Angebot von ARD und ZDF: Die Livestreams in den Online-Mediatheken mit bis zu 60 Stunden Sportübertragung täglich. Die Sender überraschte die hohe Nachfrage anfangs völlig, vor allem beim ZDF ruckelten die Bilder anfangs ganz gewaltig. Allein die ARD kam auf 27,4 Millionen Abrufe, insgesamt nutzen die Streams nach ZDF-Angaben rund sieben Millionen User.
Verlierer: Michael Antwerpes
Der Mann mit der Nerd-Brille machte bei Olympia keine glückliche Figur: Michael Antwerpes, Sportchef des SWR, wirkte mit seinen schweren Anzügen und den extrabreiten Krawatten immer etwas zu gelackt für sein bemüht lässiges "Joo, da sind wir wieder." Lehnte sich gerne an den News-Tresen von Shooting-Star Alexander Bommes (s.u.) an, war aber von dessen Lockerheit so weit entfernt wie die deutschen Beckenschwimmer von einer Goldmedaille. Gefürchet auch seine Überleitungen: "Bei der deutschen Athletin fließen Freudentränen – noch mehr, nämlich Wasser, fließt die Kajakstrecke hinab."
Gewinner: Alexander Bommes
Für alle, die ihn noch nicht aus dem NDR "Sportclub" oder als Moderator des "Hamburg Journals" kennen, ist er die Fernsehentdeckung der Spiele: Alexander Bommes, der Mann, der bei der ARD mit verschmitztem Lächeln die Olympia-Nachrichten vorliest. Der 36-jährige Kieler macht seinen Job angenehm unaufgregt und lässt sich dabei noch nicht einmal von Michael Antwerpes aus der Ruhe zu bringen (s.o.). In der stern.de-Moderatoren-Abstimmung mit über 50.000 abgegebenen Stimmen (Stand: 13.8.) liegt Bommes deutlich auf Platz eins.
Verlierer: Carsten Sostmeier
"Seit 2008 wird zurückgeritten", trötete Reporter Carsten Sostmeier nach dem Goldritt von Vielseitigkeitsreiter Michael Jung über den Sender. Der ARD-Pferdeexperte war noch immer zornig über den "Goldraub von Athen", als den deutschen Reitern 2004 die Goldmedaille wegen einer Lappalie aberkannt worden war. Nun muss man sicher nicht sofort die Nazi-Keule schwingen, wenn einer im Fernsehen mal wieder "Autobahn" sagt. Aber ein Zitat auszugraben, mit dem Adolf Hitler 1939 den Angriffskrieg gegen Polen rechtfertigen wollte, ist selbstreden das Allerletzte. Sostmeiers kleinlaute Entschuldigung folgte dann auch postwendend.
Gewinner: Peter Leissl
Eines der schöneren Olympia-Zitate dagegen stammt von Peter Leissl: "Warten wir erst einmal das Ergebnis der Dopingprobe" ab, entfuhr es dem ZDF-Reporter spontan, irgendwo zwischen süffisant und angewidert, als ausgerechnet der überführte Dopingsünder und Dauerverdächtige Alexander Winokurow zum Ende seiner Karriere mit 38 Jahren als Sieger beim olympischen Straßenrennen über die Ziellinie fuhr.
Gewinner: Wolf-Dietrich Poschmann
Man muss mal eine Lanze brechen für diesen TV-Dinosaurier, schließlich ist er oft genug kritisiert worden: Wolf-Dietrich Poschmann. Zwar tituliert der 61-jährige auch weiterhin sämtliche afrikanischen Läuferinnen "Gazelle" und plappert streckenweise drauflos wie ein unkontrolliert umher spritzender Gartenschlauch - jedoch kann man dem ehemaligem Langstreckenläufiger Sachkenntnis bei der Leichtathletik nicht absprechen. Poschmann begeistert sich für das, was er da kommentiert - und versteht es dann auch, selbst bei wenig bekannten Athleten beim Zuschauer Gänsehautstimmung zu erzeugen.
Verlierer: Franziska van Almsick
Franziska van Almsick nimmt sich selbst relativ ernst. Sonst würde sie vermutlich nicht das Gros ihrer Sätze als Expertin am Beckenrand mit den Worten beginnen: "Ich als Expertin ..." Meist folgt dann ein Trommelfeuer später Einsichten, gipfelnd im Kampfschrei aller Nostalgiker: "Früher (mit mir) war alles besser!" Ihre Kritik an Dauerfeindin Britta Steffen nach deren scheinbar saloppen Umgang mit ihrer Niederlage war sicher nicht ganz unberechtigt - und dennoch gewagt für jemanden, der niemals Olympia-Gold holte und das eigene Abtauchen in Athen 2004 mit dem Satz entschuldigte: "Ich habe kein Wassergefühl und bin seit Tagen auf der Suche danach."
Gewinner: die Zuschauer
Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender haben in London einen guten Job gemacht - ein TV-Desaster wie es das ZDF während der EM am Fußballstrand von Usedom erlebte, ist jedenfalls ausgeblieben. Das Zuschauerinteresse war groß: Das Erste erreichte mit seinem "Olympia Live" im Durchschnitt über drei Millionen Zuschauern und einen Marktanteil von fast 24 Prozent. Am vergangenen Freitag schalteten bei Leichtathletik-Wettbewerben fast zehn Millionen Zuschauer ein. Diesen Gesamteindruck ließen sich ARD und ZDF in einer selbst in Auftrag gegebenen Umfrage bestätigen: Danach fanden 73 Prozent der Zuschauer die Berichterstattung "gut" oder "sehr gut".
Verlierer: die Gebührenzahler
Ganz so mitteilungsfreudig wie bei den Erfolgsmeldungen sind die Sender hinsichtlich der Kosten nicht. Allein die Summen für die Unterbringung der 480 Berichterstatter dürften angesichts der Londoner Mietpreise immens ausfallen. Nach stern.de--Informationen wurde beim (in der ARD federführenden) NDR im Vorfeld ernsthaft darüber diskutiert, eigens ein Haus als Mitarbeiterquartier vor Ort zu errichten. Zwar betont man von Senderseite die Kostenersparnis durch die "hervorragende und intensive" Zusammenarbeit mit dem ZDF Kosten - doch warum genau brauchen wir eigentlich noch zwei komplette Teams, die von Olympia berichten?