Es ist ein riesiger Erfolg für diese deutsche Tischtennisnationalmannschaft. Man muss das noch einmal erwähnen, denn wer allein auf dieses Finale gegen den Gastgeber China blickt, könnte zum Ergebnis kommen, dass die Mannen um ihren Spitzenspieler Timo Boll das Reich der Mitte doch arg zerzaust verlassen werden. Mit Silber dekoriert werden sie stattdessen die Heimreise antreten, was schon vor dem Einzelfinale diese Olympischen Spiele zu einem lohnenden Ereignis werden lässt. Auch haben die Deutschen durchaus ordentlich gespielt im Peking University Gymnasium. Sie mussten in der wichtigsten Partie in der jüngeren Geschichte des deutschen Tischtennissports allerdings auch einsehen, dass bis auf Weiteres nur ein Land ein Abonnement auf große Titel hat.
Vom ersten Ballwechsel an dokumentierten Chinas Weltklasseathleten beim 3:0-Sieg, dass sie nicht gewillt waren, sich die Krone dieses Sports ausgerechnet im eigenen Land abnehmen zu lassen. Aufgezogen wie Duracell-Häschen kamen sie aus der Kabine. Das Volk tobte. Tischtennistitel sind in China eine nationale Angelegenheit, muss man wissen. Niederlagen in einem Finale kommen bei Volk und Partei deshalb gar nicht gut an. Als ginge es um ihr Leben, kämpften und rackerten die ohnehin mit den besten Spielern dieses Planeten gesegneten Chinesen denn auch vom ersten Punkt an. Die Deutschen wollten einfach nur gewinnen. Es sollte nicht der einzige Unterschied sein.
17-mal hatte Deutschland vor diesem 18. Vergleich
bereits vergeblich versucht, jene chinesische Tischtennismauer zu überwinden, welche der Welt seit Jahren den Griff nach Goldmedaillen verwehrt. Geklappt hat es nie, und so sprach nicht allzu viel dafür, dass man ausgerechnet die Nummer ein, zwei und vier der Weltrangliste bei deren Heimauftritt würde stürzen können. So kaprizierte sich alle Hoffnung der Gäste auf das als nicht besonders stabil geltende Nervenkostüm der Asiaten. Keine Goldmedaille wiegt für das chinesische Selbstverständnis schwerer als jene im Tischtennis, einem Sport, so populär, dass dem Deutschen Boll in China größere Aufmerksamkeit geschenkt wird als in der Heimat.
Zu viel Last für die angeblich so labile chinesische Psyche? Eher schien es die nötige Anspannung zu liefern, um zur Höchstform aufzulaufen. Bereits im ersten Einzel stampfte Hao Wang den bedauernswerten Dimitrij Owtscharow mit solcher Vehemenz nieder, dass einem angst und bange werden konnte. 11:4, 11:8, 11:7 lauteten die nackten Zahlen. Sie dokumentierten nicht die Intensität, mit der Wang seinen Gegner bearbeitete. Ein jeder Punkt wurde mit wildem Kriegsgeheul begleitet. Schnell sollten diese Deutschen lernen, dass der Gigant im eigenen Revier kurzen Prozess zu machen gedachte. Owtscharow war sichtlich beeindruckt. Ein echter Kampf fand nie statt.
Als Boll danach an die Platte trat,
die einzige Kraft, welche die Chinesen wirklich fürchteten, verfügte sein Kontrahent Lin Ma bereits mit der 1:0-Führung im Rücken über die nötige Sicherheit, um voller Selbstvertrauen sein Offensivspiel durchzubringen. Boll hielt das Spiel dennoch zumindest über zwei Sätze offen. Nach einem 8:11 im ersten Satz fanden die druckvollen Treibschläge immer öfter den Weg ins Ziel. Ma Lin schien kurzzeitig zu wanken, immer wieder nestelte er an Haaren und Hemd herum, während Boll drauf und dran war, sich wirklich frei zu spielen.
Der dritte Satz beendete alle Hoffnungen. 4:11 hieß es nach wenigen Minuten. Kein Mittel fand der Deutsche gegen die raffinierten Aufschläge. Bot sich doch einmal die Chance zum Angriff, verzog er überhastet. Als auch Satz Nummer vier mit 7:11 futsch war, durfte man in den wilden Jubel der Menge hinein beobachten, was es heißt, für China bei diesen Spielen ins Rennen zu gehen. Der erleichterte Ma Lin stürzte glücklich nach dem Matchball auf seinen Trainer zu, wollte ihn umarmen, allein außer einem ungelenken Klaps kam da nicht viel Zuneigung zurück. Bloß weiter funktionieren.
Und wie sie dann auch im Doppel weiter funktionierten.
Zwar nahmen Boll und sein Partner Christian Süss Wang/Wang den ersten Satz noch mit 13:11 ab, doch der Glaube an die Wende war längst gewichen. Wang/Wang holten sich danach sicher die Sätze zwei, drei und vier mit 11:5, 11:8, 11:7. Als es vollbracht war, wurde deutlich, unter welch großen Druck diese Chinese gestanden hatten. Sekundenlang standen sie eng umschlungen neben der Platte, vereint in ihrer Erleichterung. Tränen flossen. Der nationale Auftrag war erfüllt. Als sie danach auf die höchste Stufe des Siegerpodestes traten, war das Lachen bereits wieder einem vorsichtigen Lächeln gewichen. Die Deutschen grinsten dagegen befreit und glücklich. Sie hatten Silber gewonnen. Sieger waren sie dennoch.