Schon vor vier Jahren, nachdem du zum ersten Mal olympisches Gold gewonnen hattest, fragten dich die Leute beim Einkaufen im Supermarkt nach Autogrammen. Hast du Angst, in Vancouver wieder zu gewinnen?
Ich bin langsam in den Ruhm reingewachsen. Deshalb ertrage ich das überhaupt. Ich hatte schon als Kind Sponsorenverträge, wusste also halbwegs, wie man damit umgeht, wenn einen Wildfremde auf der Straße anspre-chen. Als ich von den Spielen in Turin nach Hause kam, klatschte der ganze Flughafen. Der ganze Flughafen! Was machst du da? Ich verstehe, warum junge Celebrities verrückt werden. Abstürzen. Auf Drogen ihren Verstand verlieren. Wenn du mit solchen Situationen keine Erfahrung hast, und von einem Moment auf den anderen kennen dich alle - das ist sicher schwierig.
Vermisst du deine Jugend?
Ich würde das, was ich bisher erlebt habe, für nichts in der Welt gegen eine normale Highschooljugend tauschen wollen. Es ist ein Geschenk, dass ich vom Skateboardfahren und Snowboarden leben kann. Außerdem liebe ich Reisen. Als ich in meinem Home-Schooling-Programm alte japanische Geschichte durchgenommen habe, war ich gerade in Japan auf einem Wettkampf. Wir haben an den freien Tagen Tempel besucht, das macht auf jeden Fall mehr Spaß, als Bilder oder Bücher anzugucken.
Als du angefangen hast, professionell zu snowboarden, war der Sport noch nicht so ein Hochleistungsbetrieb wie heute. Sogar in der Nacht vor bedeutenden Wettkämpfen wurde gesoffen bis zum Umfallen. Wie bist du als Zwölfjähriger damit umgegangen?
Alkohol und Drogen waren überall. Als ich zehn war, war ich im Haus eines meiner damaligen Helden eingeladen. Der trank und feierte die ganze Nacht. Das war einfach zu viel für mich. Ich war nicht beeindruckt, wollte das nicht ausprobieren, ich fand das dumm, bin lieber früh schlafen gegangen und habe am nächsten Tag beim Wettkampf alle geschlagen. Ich war damals sehr ehrgeizig.
Du hast einfach nicht mitgefeiert?
Ich habe nicht getrunken, bis ich neunzehn war. Rund um meinen 21. Geburtstag war es anstrengend, weil alle dachten, wow, jetzt kann man mit Shaun endlich trinken. Aber wenn du das machst, entfernst du dich von deinem Sport. Beides geht nicht. Immerhin war ich es gewöhnt, dass ich einen Contest gewonnen habe, aber den Preis nicht entgegennehmen konnte, weil ich zu jung war, um zur Preisverleihung in die Bar zu gehen.
Kurz nach deinem Sieg in Turin hast du gesagt: Das Reisen sorgt dafür, dass ich keine Freundin habe. Und der Ruhm ist schuld, dass mir Freunde fehlen. Ist es immer noch so schlimm?
Es ist schwer, auf der Tour wirkliche Freundschaften zu schließen. Glücklicherweise haben sich mittlerweile die richtigen Leute ihren Platz verdient, schlechte Menschen werden normalerweise schnell aussortiert. Es ist wie immer im Leben: Man kreist um Leute, die man um sich haben will. Ich mag es wirklich nicht, wenn nur ich im Mittelpunkt stehe und alle Augen auf mich gerichtet sind. Ich will Spaß haben und das Leben genießen, und so sind auch die meisten meiner Freunde.
Und wie gehst du mit all den Mädchen um, die Sex mit dem einzigen Superstar der Snowboardszene haben möchten?
Moment. Sex? Wo hat hier jemand Sex? Sagen wir es so: Nach einer Weile sehnst du dich wirklich nach einer Freundin. Das Ganze ist es einfach nicht wert - wenn du siehst, wie dumm einige dieser Mädchen sind. Einmal haben wir in unserem Hotelzimmer eine Art Hindernislauf für Groupies veranstaltet, weil wir sie anders einfach nicht losgeworden sind. Manchmal hält man es wirklich nicht aus.
Deine Eltern sind jahrelang gemeinsam mit dir von Wettkampf zu Wettkampf gereist, dein Bruder managt dich noch heute. Wie ist das, wenn in einer Familie plötzlich einer im Rampenlicht steht?
Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Trotzdem wurde das Verhältnis zwischenzeitlich etwas seltsam. Ich gewann einen Wettbewerb und verdiente an einem Tag mehr als meine Eltern in einem Jahr. Da entschieden sie, dass ich investieren musste.
Investieren?
Ich war gerade sechzehn, hatte wirklich eine Menge Geld und wusste nicht, was ich damit anstellen soll. Bevor ich einen Sportwagen kaufen konnte, sagten sie: Kauf ein Haus, schnell. In Kalifornien ist das schrecklich. Du musst vor der Tür übernachten, jeden Tag in einer Schlange stehen, wenn du ein Haus haben willst. Ich musste gerade zu einem Wettkampf nach Japan, also hat mein Vater das für mich gemacht. Ich wollte das Eckhaus, aber er hat mich falsch verstanden und das größere Haus in der Mitte gekauft. Ich konnte es nicht glauben. Die Familie, die dann das Eckhaus ergattert hat, war so glücklich! Wir haben das Haus dann wieder verkauft und ein ähnliches Haus wie das Eckhaus eine Straße weiter bekommen.
Und dann seid Ihr zusammen in dein neues Haus gezogen.
Mein Vater konnte mich von einem Tag auf den anderen nicht mehr so einfach anbrüllen und in mein Zimmer schicken. Es waren ja alles meine Zimmer.
Würde er dich fragen, ob du ihm ein neues Auto kaufst?
Niemals. Meine Eltern ließen mich auch als Kind nicht viel von meinem Geld ausgeben. Ich war zufrieden mit meinem Skateboard. Ich bin bis heute kein besonders begeisterter Konsument.
Gab es in deinem Leben je Schwierigkeiten?
Wenn man so jung in einer Sportart erfolgreich ist, ist das nicht unbedingt einfach. Ich bin aus reiner Freude an der Sache ziemlich viel snowboarden gegangen. Und auf einmal musste ich nicht mehr besser werden, ich gewann immer wieder mit dem gleichen Lauf. Ich war einfach viel besser als alle Gleichaltrigen. Irgendwann kam ich an den Berg, zu einem Amateurwettkampf, und die anderen feuerten einander an: Du kannst ihn schlagen! Ich wollte eigentlich nur neue Freunde kennen lernen. Aber allen ging es nur darum, mich zu schlagen. Ich weiß noch, wie ich zu meiner Mutter sagte: Das ist kein Spaß, das nervt. Ich war ungefähr zwölf.
Und dann?
Wurde ich Profi.
Du würdest womöglich den Ansporn vermissen, den du hattest, bevor du die Olympischen Spiele und die X-Games gewonnen hattest. Auch das hast du kurz nach deiner Goldmedaille von Turin gesagt. Vier Jahre später spricht nun die ganze Snowboardwelt nur noch über den "Double Cork", eine doppelte Überkopfdrehung um mehrere Achsen, mit der du all deine Konkurrenten in der Halfpipe überrascht hast. Du konntest dich also doch noch mal motivieren!
Ja, scheinbar.
Was war das Schwierigste daran, die Tricks zu lernen?
Das Schwierigste ist eher, die Tricks unter Wettkampfbedingungen zu springen. Ich habe in einem abgelegenen Tal in Colorado extra eine riesige Halfpipe bauen lassen - mit großflächigen Landezonen, die mit Schaumstoffwürfeln gefüllt waren. Es ging dann erstaun-lich schnell, die "Double Corks" einzustudieren - weil ich sie in einem sicheren Umfeld trainieren konnte. Die doppelte Überkopfdrehung durchziehen, einfach weiter zu rotieren und den Zeitpunkt zu erkennen, wann man die Rotationen stoppt, das waren die größten Herausforderungen.
Anfang des Jahres hat sich dein größter Konkurrent Kevin Pearce bei einem missglückten Versuch, einen "Double Cork" zu springen, schwere Kopf- und Hirnverletzungen zugezogen. Die modernen Superpipes ermöglichen Sprunghöhen von mehr als dreizehn Metern über dem Flachstück in der Mitte der Pipe. Hast du es zu weit getrieben?
Letzte Woche habe ich den schwierigsten Halfpipelauf meines Lebens hinter mich gebracht. In einem Jahr haben wir das Spektrum von dreifachen Drehungen um die Körperlängsachse zu eben diesen mehrfach gedrehten, doppelten Überkopfsprüngen erweitert, die man auch noch unendlich variieren kann. Das macht die Sache wirklich aufregend. Einer dieser Sprünge wird nicht genügen, du brauchst mindestens drei, um den Olympischen Wettstreit zu gewinnen.
Wenn man als Außenstehender auf die Welt des Wintersports blickt, hat man das Gefühl, dass der große Snowboardtrend eher vorbei ist.
Ich glaube ganz im Ernst, dass dies das Jahr des Halfpipe-Snowboardens ist. So viele Athleten fahren gerade so gut, dass es wirklich etwas Besonderes ist, Teil dieser historischen Phase zu sein.
Angenommen, du holst noch einmal die Goldmedaille: Was gibt es noch für einen Anreiz, weiter Snowboard zu fahren?
Das Tolle am Snowboarden: Es gibt kein Ende, keine Ziellinie. Der ganze Sport basiert darauf, dass man etwas Neues macht, erfinderisch ist.
Innerhalb der Szene gilt es als klassische Karriere, ein paar Jahre lang Wettkämpfe zu fahren. Sobald man sich einen Namen gemacht hat, arbeitet man in aufwendigen Filmprojekten mit und lässt sich dafür bezahlen, mit dem Helikopter auf die wildesten Berge der Welt geflogen zu werden. Warum quälst du dich noch durch die eisige Halfpipe?
Ich hatte nie ein genaues Datum vor Augen, wann ich mich dem Backcountry-Fahren widmen möchte. Ich mache einfach, was ich mache, und lasse den Berg zu mir kommen. Es kann gut sein, dass ich irgendwann mit den Wettkämpfen durch bin und nur noch Tiefschnee fahren gehe. Aber im Moment macht es mir immer noch Spaß, neue Grenzen in Pipe und Funpark auszuloten.
Der Schriftsteller Ernest Hemingway erschoss sich mit 61. Hast du manchmal Angst, dass du schon so viel erlebt hast, dass eigentlich nichts mehr kommen kann?
Ich werde irgendwann sicher nicht mehr professionell snowboarden. Aber ich werde den Sport immer lieben. Wer weiß, vielleicht lebe ich in zehn Jahren unter Klammeraffen in den japanischen Alpen.
Shaun White ...
... ist der Superstar der Snowbardszene. Der 23-Jährige gewann bereits mit dreizehn gegen erwachsene Konkurrenten und unterschrieb seinen ersten Millionenvertrag. Schon bei den Spielen 2006 in Turin holte er Gold, der Sieg in Vancouver war also sein zweiter Streich. Zudem gewann White, der ob seiner immer waghalsigeren Sprünge nicht unumstritten in der Szene ist, unter anderem acht Mal die Winter-X-Games.