Italien Gino Bartali: Der Tour-de-France-Sieger, der auf dem Rad hunderte Juden vor dem KZ rettete

Gino Bartali
Gino Bartali bei der Tour de France 1948, die er gewann. Noch bedeutender als seine sportlichen Erfolge waren seine Verdienste im Widerstand gegen die Nazis
© Belga / Imago Images
Gino Bartali trat während des Zweiten Weltkriegs unermüdlich in die Pedale: Als Training getarnt, schmuggelte der italienische Radfahrer gefälschte Dokumente für Juden durchs Land. Zu Lebzeiten sprach er kaum darüber.

Spricht man in Italien über die nationalen Ikonen des Radsports, fallen Namen wie Marco Pantani, Fausto Coppi – oder Gino Bartali. Letzterer gewann 1938 und 1948 die Tour de France, dreimal triumphierte er beim Giro d'Italia. Seine wichtigsten Kilometer absolvierte er aber nicht bei den großen Rundfahrten, seine größte Leistung war kein Etappensieg oder Gelbes Trikot. Denn während des Zweiten Weltkriegs rettete Bartali auf dem Rad hunderten italienischen Juden das Leben.

1943, nach dem Ende der Herrschaft Mussolinis, hat die Wehrmacht große Teile Italiens besetzt. Die Juden, die zuvor schon jahrelang unter dem faschistischen Diktator drangsaliert wurden, werden nunmehr von den Nazis in Konzentrationslager deportiert, so wie in vielen anderen Ländern auch. Die Widerstandsgruppe DELASEM versucht, so viele Menschen wie möglich vor diesem Schicksal zu bewahren. Und dafür benötigt sie unter anderem die Hilfe von Gino Bartali.

Gino Bartali fährt immer wieder zwischen Florenz und Assisi hin und her

Der Radfahrer, 29 Jahre alt, ist ein tief religiöser Mensch – und zu diesem Zeitpunkt durch seine sportlichen Erfolge bereits bekannt im Land. Deshalb tritt der Erzbischof von Florenz mit einer Bitte an ihn heran: Bartali soll helfen, Dokumente von Florenz in das Franziskanerkloster von Assisi zu schmuggeln. Darunter gefälschte Pässe und Passfotos, die Juden, die in Assisi versteckt wurden, die Flucht ermöglichen sollen. Bartali scheint für diese Mission der perfekte Kandidat: Als Radfahrer kann er regelmäßig die 180 Kilometer lange Strecke zurücklegen, ohne sich verdächtig zu machen. Doch sollte er erwischt werden, könnte das seinen Tod bedeuten.

Bartali lässt sich auf das Wagnis ein. Eingerollt versteckt er die Pässe und Fotos in seinem Sattelrohr – und beginnt zu radeln, angetrieben von seinem moralischen Kompass: "Als gläubiger Katholik hat Opa keine Sekunde lang gezögert, Menschen in Not zu helfen", erzählte seine älteste Enkelin dem "Spiegel". Immer wieder legt er die Strecke zurück. Damit geht er ein großes Risiko ein, einmal wird ein Kontrollposten misstrauisch und will sein Rad auseinanderschrauben – Bartali kann es ihm ausreden, indem er darauf verweist, welch ein sensibles Gebilde so ein Rennrad sei und wie lange es dauere, es wieder für ihn passend zusammenzubauen. Mehreren Schusswechseln entgeht Bartali auf seinen Fahrten nur knapp.

Jüdische Familie im Keller versteckt

Bartali beschränkt sich allerdings nicht nur auf seine Rolle als Kurier über tausende Kilometer, er versteckte auch eine jüdische Familie im Keller des Hauses, in dem er mit seiner Familie lebt. "Er hat uns versteckt, obwohl er wusste, dass die Deutschen alle töten würden, die Juden versteckten", sagt Giorgio Goldenberg, Sohn der jüdischen Familie, in einem Dokumentarfilm über Bartali. "Er hat nicht nur sein Leben riskiert, sondern auch das seiner Familie." 

Bartalis Familie allerdings weiß wenig über seine Aktivitäten im Widerstand. Seine Frau lässt er nur das Nötigste wissen – auch zu ihrem eigenen Schutz. Und auch nach dem Krieg spricht der Radprofi nur äußerst ungern über die Rolle, die er bei der Rettung von Juden spielte. "Gutes tut man und spricht nicht darüber", schärft er seinen Kindern und Enkeln ein. Stattdessen sorgt er wieder als Radfahrer für Furore: Obwohl er während seiner besten Jahre wegen des Krieges keine Rennen absolvieren konnte, gewinnt er 1948 noch einmal die Tour de France. Legendär ist seine sportliche Rivalität mit Fausto Coppi. Sein Vater habe wegen seiner sportlichen Erfolge im Gedächtnis bleiben wollen und sich nicht als Held betrachtet, sagt sein Sohn Andrea Bartali. Helden seien jene, die "in ihrer Seele, ihrem Herzen, ihrem Geist, ihrem Inneren wegen ihrer Liebsten gelitten haben".

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Erst nach seinem Tod – Bartali stirbt 2000 an einem Herzinfarkt – wird mehr und mehr deutlich, dass er viel mehr war als ein erfolgreicher Radfahrer. Im Nachlass eines anderen Mitglieds von DELASEM finden sich detaillierte Aufzeichnungen über seine Kurierfahrten. Es wird geschätzt, dass er damit bis zu 800 Juden vor der Deportation gerettet habe. 2013 wird Bartali in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt. Ihm selbst hätte diese Auszeichnung wahrscheinlich eher widerstrebt.

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