Radsport "Il Kaiser" startet in den Frühling

Vier Mal gewann Deutschlands Weltklassesprinter den Auftakt der Frühjahrsklassiker. Erik Zabel wird in Italien als "Mister San Remo" verehrt. Am Samstag steht sein Start bei Mailand - San Remo unter ganz besonderen Vorzeichen.

"Morgens nach dem Start im meist noch nebligen Mailand fährt man 130 bis 140 Kilometer durch die graue Poebene. Dann geht es den Turchino-Pass hinauf, der oft ein bisschen Wolken verhangen ist. Oben fährt man in das schwarze Loch eines Tunnels - und wenn man wieder herauskommt, schaut man auf die Riviera runter ins azurblaue Meer." Erik Zabels Augen strahlen, wenn er von seinem Lieblingsrennen erzählt. "Von dort aus geht es los mit der Blumen-Riviera und man sieht alle Farben, die der Frühling bereithält. Bei diesem Rennen spürt man, dass der Frühling beflügelt. Es ist ein ganz besonderes Rennen."

Hört man Erik Zabel schwärmen, kann man in etwa erahnen, was ihm dieser berühmte italienische Klassiker bedeutet. Schon 99 Jahre alt ist die Geschichte des Rennens mit dem Beinamen "La Primavera", was übersetzt so viel heißt wie "Fahrt in den Frühling" - und der Deutsche hat die Historie im vergangenen Jahrzehnt entscheidend mitgeprägt. Vier Mal gewann der Sprinter das Rennen - seinen ersten Triumph auf der Via Roma 1997 nennt er immer noch den schönsten Sieg seiner Karriere. Und das will etwas heißen, denn der gebürtige Ostberliner sammelte während seiner langen Laufbahn 192 Rennsiege, gewann sechs Mal das Grüne Trikot bei der Tour de France, und schloss das Jahr 2000 als Weltranglistenerster ab.

Aus Euphorie wurde Leere

1997 war der Erfolg eines Sprinters, der nach fast 300 Kilometern und fünf schwierigen Anstiegen noch die Kraft hatte, den Massensprint zu gewinnen, eine Sensation. Schon im darauf folgenden Jahr 1998 wiederholte er das Kunststück und dann noch mal in den Jahren 2000 und 2001. Das brachte ihm sowohl in Deutschland als auch im Ausland einige Ehrentitel ein: "Mister San Remo" wird er seitdem genannt. Die große italienische Sport-Tageszeitung "Gazzetta dello Sport" titelte "Zabel Signor Sanremo" und erhob ihn mit der Anrede "Il Kaiser" in den Adelsstand des Radsports. Auch die radsportverrückten Franzosen fanden mit "Zabel, roi de la Riviera" einen aristokratischen Namen für ihn.

Auf der Via Roma musste der damalige Kapitän vom Team Telekom 2004 bei seinem Lieblingsrennen aber auch die bitterste Niederlage seiner Karriere hinnehmen: Zu früh reißt er im Massensprint als vermeintlicher Sieger die Arme zum Jubeln hoch - und während er sich freut, zieht sein Gegner Oscar Freire an ihm vorbei, als Erster über die Ziellinie. Von der großen Siegerpose zum Depp der Nation. "Es ging alles so schnell", erzählt Zabel später. "Ich glaube, zehn Meter hinter der Ziellinie hatte ich realisiert, was passiert war. Es dauerte nicht mal eine Sekunde, bis mir klar war: Ich hab das Ding verjubelt. Aus meiner Euphorie wurde plötzlich eine gewisse Leere."

Doch an diese Schmach denkt heute keiner mehr. Zabel wird im Radsportland Italien wie ein Held verehrt. "Denn die Klassiker", so Zabel. "haben in Italien eine ganz besondere Bedeutung." Seit Jahren gibt es im traditionellen Radsportland keinen Kandidaten mehr, der das größte Rennen der Saison, die Tour de France, gewinnen kann. Bei den Eintagesrennen aber sind die Italiener stark, und wer da die Lokalmatadore hinter sich lässt, der wird ebenfalls als ganz Großer verehrt. Zabel genießt seine Rolle schon mit der Ankunft beim Vorbereitungsrennen Tirreno - Adriatico, das am Dienstag zu Ende ging. "Zu diesem Zeitpunkt ist ja ganz Italien schon im Radsportfieber", erklärt Zabel. Das endgültige Kribbeln beginnt aber zwei Tage vor dem Start. "Das ist dieser Moment, wenn ich nach Mailand komme. Ab diesem Zeitpunkt ist alles ein Ritual", sagt Zabel, der - seit 1993 Radprofi - zum 14. Mal am Start steht. "Sowohl im Hotel, als auch am Start ist es eine ganz besondere Atmosphäre für mich." Er erzählt von dem schönen Gefühl, wenn ihm die Italiener auf die Schulter klopfen und ihre Anerkennung ihm gegenüber spüren lassen.

Dieses Jahr "nur" Edelhelfer von Petacchi?

Was das längste Eintagerennen der Saison angeht, ist Erik Zabel also ein alter Hase, der jeden Meter dieser Strecke bis ins Detail kennt - und doch ist der Start in diesem Jahr ein ganz Besonderer. Zum ersten Mal tritt er nicht im magentafarbenen Trikot an. Seit Anfang des Jahres trägt er Blau und in seinem neuen Team Milram gehört er zusammen mit dem besten italienischen Sprinter Alessandro Petacchi zur Doppelspitze seiner Mannschaft. Bislang war er bei diesem Rennen der uneingeschränkte Kapitän.

Nun muss "Mister San Remo" dieses Amt mit seinem Teamkollegen teilen, der seit Saisonbeginn bereits einige Siege sammelte, während Zabel leer ausging. Offiziell heißt es, die Stärke der Mannschaft bestehe darin, dass sie bis kurz vor dem Ziel offen lassen können, für wen der Sprint zum Sieg vorbereitet werde. Allerdings wird spekuliert, dass der 35-Jährige "Il Kaiser" das Zepter an seinen jüngeren Teamkollegen abgibt und in seinem Lieblingsrennen dem italienischen Lokalmatador Petacchi als Edelhelfer zum zweiten Sieg auf der Via Roma verhilft.

Von Annette Jacobs

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