RADSPORT Die Favoriten wollen keine sein

Vor dem Beginn der Tour de France üben sich die Radprofis Armstrong und Ullrich in falscher Bescheidenheit. Angst vor der Bürde des Top-Favoriten?

48 Stunden vor Tour-Beginn warf der gertenschlanke Topfavorit Lance Armstrong zusätzlichen Ballast ab. »Ich bin nicht der Meinung, dass ich haushoher Favorit bin. Ullrich, Beloki oder Casagrande können auch gewinnen«, sagte der zweifache Tour-de-France-Sieger, der den ersten Schlagabtausch mit dem Olympiasieger aus Merdingen im etwas heruntergekommenen Kursaal von Dünkirchen eröffnete. Dabei redete er geschickt wie ein Diplomat und ließ rhetorische Qualitäten aufblitzen. »Ich hatte damit gerechnet, dass Ullrich deutscher Meister wird. Das ist eine gute Motivation für ihn. Er sieht gut aus - er ist in Form«, lobte Armstrong seinen Herausforderer, machte aber deutlich, dass der Weg nach Paris und zum Gelben Trikot nur über ihn führt: »Ich bin mit dem stärksten Team hier, mit dem ich je bei einer Tour war.«

Beinahe Kampfgewicht

Drei Stunden nach dem großen Meister aus Texas war Jan Ullrich an der Reihe, nachdem der medizinische Check ergeben hatte, dass er mit 75 Kilogramm nur geringfügig über seinem idealen Kampfgewicht liegt. »Im Vorjahr hatte er zwei, drei Kilo zu viel. Das hat ihn in den Pyrenäen viel Energie gekostet. Daraus hat Jan gelernt«, meinte Ullrichs ehemaliger Teamchef und direkter Vorgänger als Toursieger, Bjarne Riis. »Natürlich, Armstrong ist der Favorit, aber Jan kann es schaffen«, sagte der Däne, der beim Texaner bei dessen Sieg bei der Tour de Suisse noch »Schwächen am Berg« ausgemacht habe.

Ullrich: »Lance ist in Form, sein Team stimmt«

Ullrich erklärte, er habe vor dem Abflug nach Frankreich in der Uni-Klinik Freiburg einen »sehr guten Abschluss-Test« absolviert.

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Das Gelbe Trikot schon nach dem Prolog am Samstag zu tragen, wäre »taktisch unklug, weil dann die ganze Mannschaft schon früh auf den ersten Etappen viel arbeiten« müsste, trotzdem wolle er auf den ersten 8.200 Metern »das Maximale« geben und »so wenig wie möglich Zeit verlieren«.

Die fünf Etappen in den Alpen und Pyrenäen würden die Tour entscheiden, aber auch die erste Woche sei nicht zu unterschätzen. »Da passieren die meisten Stürze«, sagte Ullrich und gab die Komplimente zurück: »Lance ist in Form, sein Team stimmt. Deshalb habe ich sehr hart gearbeitet und bin zufrieden mit dem Ergebnis.«

Armstrongs Spezialisten

Für Armstrong ist das 32 km lange Bergzeitfahren von Grenoble nach Chamrousse am 18. Juli die Schlüsselstelle: »Das ist der interessanteste Tag«. Überhaupt hat sich Armstrong besonders mit der Verpflichtung des Vuelta-Siegers Roberto Heras (Spanien) für die Hochgebirgs-Touren aus gutem Grund gerüstet. »Am Berg waren wir im vergangenen Jahr verletzlich. So etwas wie am Aubisque, als ich isoliert war, darf nie mehr passieren. Heras ist ein brillanter Kletterer«, sagte Armstrong, dem Ullrich bei Telekom in dieser Beziehung wahrscheinlich nichts Gleichwertiges entgegen zu setzten hat. Diese Rolle ist auch dem vom US Postal-Team gekommenen Kevin Livingston (Armstrong: »Ich vermisse ihn als Freund und Helfer«) nicht zuzutrauen.

Zu früh in Form

Locker und gelöst konnte Armstrong, der 1997 ein Hoden-Krebsleiden besiegte und danach zwei Mal die Tour gewann, auch über eigene sportliche Schwächen sprechen. »Es ist wahr, dass ich in der Schweiz meine Form gefunden habe - vielleicht zu früh.« Das war Armstrongs Schlusssatz nicht ohne Koketterie - danach bahnten ihm drei mächtige Bodyguards den Weg durch den Wald von Mikrofonen, Kameras und Hunderten von Reportern. Ullrich verlies den kleinen Kursaal am Strand von Dünkirchen zusammen mit Erik Zabel drei Stunden später fast unbehelligt.

Von Andreas Zellmer, dpa

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