Eigentlich sollte doch diesmal alles anders werden beim FC Bayern. Eigentlich wollte man sich doch endlich von den Ancelottis und Guardiolas lösen, die nur ein paar Jahre an der Isar verweilen und dann weiterziehen. Eigentlich wollte man doch ein junges Trainertalent aufbauen und mit ihm eine Ära prägen. Eigentlich wollte man doch an Julian Nagelsmann festhalten – auch wenn es mal stürmisch werden würde...
Alles leere Worte. Gerade stand Nagelsmann noch im Zillertal auf den Skiern, jetzt wird deutlich, dass er wohl auch auf einem wackeligen Stuhl gesessen hat. Vorbei das Abenteuer Jung-Trainer, Thomas Tuchel, übernehmen Sie!
Thomas Tuchel ist genau das, was die Bayern jetzt brauchen
Ob es sinnvoll ist, den Trainer schon jetzt zu entlassen, sei dahingestellt. Ebenso, ob es konsequent ist, strategisch klug oder nachhaltig. Mit Nagelsmann haben die Bayern einen erstklassigen Trainer gehen lassen und dafür einen Weltklasse-Trainer bekommen.
Es wäre falsch, Tuchel als "Glücksgriff" zu bezeichnen, dafür ist er zu erfolgreich gewesen. Und er wird seine Trophäensammlung auch in München weiter ausbauen. Tuchel ist fachlich (einer) der beste(n) Trainer in Europa. Er hat Fußball verwissenschaftlicht. Warum er gewinnt oder verliert, wieso Laufwege nicht funktionieren oder sein Pressing zum Ballbesitz führt: Er hat für alles, was auf dem Rasen passiert, eine Erklärung – und für Probleme auch meistens eine Lösung.
Seine bisherigen Stationen haben gezeigt, dass seine Art zu trainieren und zu spielen die eigene Mannschaft in den Wahnsinn treiben kann. Tuchel ist besessen von Taktik, Abläufen und Disziplin. Jedes Zahnrad muss in seinem Spiel ins andere greifen, sonst funktioniert das System nicht. Für den FC Bayern – und insbesondere seine Spieler – werden die kommenden Wochen und Monate brutal. Doch auch sie werden mit der Idee des Thomas Tuchel Erfolg haben. Wie seine Idee bisher immer erfolgreich war. "Leistung durch Disziplin. Disziplin durch Taktik" würde George Orwell vielleicht schreiben. Es ist genau das, was Bayern nach den blutleeren Auftritten in der Bundesliga braucht.
Fachlich einer der Besten, aber menschlich schwierig
Wo ist also der Haken an der Personalie Tuchel? Das ist sicherlich er selbst. Ob in Dortmund, in Paris oder bei Chelsea – alle, die mit Tuchel gearbeitet haben, nutzen für die Beziehung mit ihm das gleiche Wort: "schwierig".
Tuchel bewegt sich in seinem Schaffen offenbar immer zwischen Genie und Wahnsinn. Zwischen klarem Plan und Kontrollwahn. "Angeeckt" sei er mit den Offiziellen seiner vorherigen Arbeitgeber heißt es dann oft. Das sei auch der Grund, warum er nicht auf Dauer erfolgreich sein könne. Irgendwann überwerfe er sich mit Geschäftsführern, Vorständen oder Sportdirektoren.
Mein Kollege Max Seidenfaden ist der Meinung, Tuchel werde auch in München scheitern. Warum, lesen Sie hier:
Doch das braucht er bei Bayern derzeit nicht zu fürchten. Tuchel wird an der Säbener Straße schalten und walten können, wie er will. Diese wechselhafte Saison hat dazu geführt, dass der Tanker "FCB" zur Zeit planlos umherdümpelt. Oliver Kahn wirkt so, als suche er seine Rolle als Vorstandsvorsitzender noch immer und Hasan Salihamidžić wird nicht allein in der Lage sein, Tuchel zu bremsen, wenn es in eine Richtung gehen sollte, die den Bayern nicht gefällt.
Zu viele Baustellen, Pleiten und Konflikte: ein Rückblick auf Nagelsmanns Zeit bei den Bayern

Die Münchner haben sich den Wolf in den Schafstall geholt. Und in den kommenden Monaten wird der Wolf den Schafen das Laufen beibringen. Die Bayern werden wieder erfolgreich sein. Welchen Preis sie dafür zahlen müssen, werden sie sehen.