Die Binsenweisheit, dass Bauernsöhnen nach der Geburt ein Stein auf den Bauch gelegt wird, damit sie lebenslanges Jammern lernen, kann nicht stimmen. Zumindest nicht, wenn es um die Osterweiterung der Europäischen Union geht. Kurz vor der Aufnahme von zehn osteuropäischen Ländern in die EU zeigen sich deutsche Landwirte gelassen - und das trotz der umstrittenen EU-Agrarreform.
Keine effektiven Auswirkungen
"Ich sehe das ganz locker", sagt etwa Ernst-August Winkelmann, der im westfälischen Rahden Spargel und Erbeeren anbaut, zur Erweiterung. Ähnlich die Erwartung von Norbert Meyer, Schweinehalter in Vechta, Niedersachsen: "Das wird den Markt vielleicht kurz psychologisch durcheinander bringen, aber nicht effektiv."
Ein Drittel mehr Getreide als bisher und jeweils ein Viertel mehr Milch und Fleisch wird die EU offiziellen Schätzungen zufolge nach der Erweiterung produzieren. Die Ackerfläche wird 45 Prozent größer sein, der Markt mit 450 Millionen Einwohnern einer der größten der Welt. Martina Brockmeyer von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig geht davon aus, dass 35 Prozent der EU-Direktzahlungen 2006 an die neuen Mitglieds-Staaten gehen werden.
Nicht mehr am Markt vorbeiproduzieren
"Wir brauchen keine Angst vorm Wettbewerb zu haben", meint dennoch Günther-Martin Beine von der Landwirtschaftskammer in Hannover, die 32.000 Höfe im deutschen Agrarland Nr. 1 vertritt, "die Polen brauchen mindestens zehn Jahre, um unseren Standard in Qualität und Quantität zu erreichen." Sorgen macht ihm aber die geplante Agrarreform der EU. Die Bauern sollen in wenigen Jahren nur noch ertragsunabhängige Prämien von der EU erhalten. Am Markt vorbei produzieren können sie dann nicht mehr. Sie müssen stärker darauf achten, was sich wirklich verkaufen lässt - und das am besten, bevor die Osteuropäer aufgeholt haben.
Franz-Josef Holzenkamp will dann gewappnet sein. Angesichts sinkender Zuschüsse und wachsender Märkte hat sich der Landwirt im Weser-Ems-Land mit anderen Bauern zusammengetan. Mit dem einen teilt er sich die Maschinen. "Vom Pflug bis zum Mähdrescher - wir kaufen alles gemeinsam", sagt Holzenkamp. Mit den anderen unterhält er eine Produktionsgemeinschaft für Schweine: Ein Hof kümmert sich allein um die Sauenhaltung; dort kommen die Ferkel zur Welt. In vier anderen Betrieben werden die Jungtiere dann aufgezogen und gemästet. Diese Höfe haben die Sauenhaltung abgeschafft. "So reduzieren wir die Erzeugungskosten." Holzenkamp sieht die Erweiterung als Chance: "Wir hoffen, dass wir unsere Produkte bald auch im Osten absetzen können." Noch seien die Beitrittsländer aber zu arm, die Kaufkraft fehle.
Polen stark beim Roggenanbau
Horst Mansel hat das größte Beitrittsland vor seiner Haustür: Polen. Er ist Landwirt im brandenburgischen Beeskow, 30 Kilometer südlich von Frankfurt/Oder. "Die haben Millionen von Betrieben mit einem bis drei Hektar", hat Mansel in Polen beobachtet, "das ist keine Konkurrenz." Über die Milchbauern jenseits der Grenze sagt er: "Deren Milch würde keine Molkerei in Deutschland abnehmen." Dafür seien die deutschen Richtlinien zu streng. Aber Polen ist stark im Roggenanbau - Brandenburg auch. "Da wird es Probleme geben", meint Mansel. Der Nachbar könne schnell aufholen - falls Geld in seine Betriebe flösse. Mansel schließt nicht aus, dass einige seiner Kollegen nach der Erweiterung ihr Glück in Westpolen versuchen und dort Höfe kaufen.
26.000 Legehennen hält Henner Schönecke in der Nähe von Hamburg. Er befürchtet zwar, dass die neuen Mitglieder bei Eiern bald eine große Konkurrenz sein werden. "Da haben wir keine Chance, als den Markt abzugeben." Als regionaler Anbieter werde er aber seine starke Stellung im Raum Hamburg nicht verlieren. Im Gegenteil: Er kann sich sogar vorstellen, bald in Osteuropa Geflügelfleisch zu kaufen und in Hamburg anzubieten.
Die neuen Konkurrenten sind die alten
Auch Gerald Thalheim, Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, selbst Landwirt mit einem Familienbetrieb in Sachsen, sieht keinen Grund zur Sorge. "Für die deutschen Bauern sind die Hauptkonkurrenten künftig die alten, also Dänen, Holländer, Spanier." Die Böden in den meisten Beitrittsländern seien nicht sehr gut. Einzig beim Schweinefleisch könne es ernst zu nehmende Konkurrenz geben. "Im Grunde ist eine Entwicklung wie in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung zu erwarten", meint Thalheim. Deutsche Lebensmittel-Einzelhändler seien schon jetzt gut in Osteuropa vertreten.