Finanzkrise "Eine Insolvenz wäre hochgefährlich"

Die Bundesregierung gibt Staatsgarantien für fast 600 Milliarden Euro Spareinlagen. Trotzdem stürzen Dax und Dow Jones ab. Finanzmarktexpertin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt, was Anleger fürchten müssen.

Frau Schäfer, Bundeskanzlerin Angela Merkel will für 568 Milliarden Euro Spareinlagen staatlich bürgen. Gibt es Anlass zur Sorge?

Nun - eigentlich nicht. Die Spareinlagen sind ohnehin über die gesetzlichen und von Bankenverbänden garantierten Einlagensicherungssysteme gesichert. Falls deren Deckungsmasse nicht ausreicht, würde die Bundesregierung einspringen. Sie reagiert damit auf die Angst, dass diese Systeme an ihre Grenzen stoßen, wenn mehrere Banken gleichzeitig in Schwierigkeiten geraten sollten. Der zweite Beweggrund für diese Garantie ist die gewachsene Sorge bei den Sparern. Die Leute sollen ruhig schlafen können und dem Markt vertrauen. Das ist extrem wichtig für den deutschen Finanzmarkt. Deswegen war es eine gute Aussage zum richtigen Zeitpunkt.

Wie groß war oder ist denn das Risiko?

Es kann in diesen Zeiten nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Überreaktionen stattfinden. Das Paket soll diesen Überreaktionen von vornherein vorbeugen und Vertrauen schaffen.

Die Hypo Real Estate (HRE) ist keine klassische Endkundenbank wie die Deutsche Bank oder die Sparkasse. Wer wäre von einem Zusammenbruch der HRE betroffen gewesen?

Bei einem Zusammenbruch wären zunächst keine Sparer betroffen gewesen. Aber Banken, die ihrerseits Sparer haben, könnten betroffen sein. Denn die Verflechtungen der Hypo Real Estate in den Bankensektor hinein sind hoch.

Die Hypo Real Estate soll nach Medienangaben eine große Menge Pfandbriefe verwalten. Wären dort Endkunden betroffen?

Nein - also die Anleger, die in Pfandbriefe investieren sind große institutionelle Investoren, wie zum Beispiel Versicherungsunternehmen. Das Problem ist ein ganz anderes: Pfandbriefe sind normalerweise sehr sicher. Denn es haftet nicht nur die Bank, die sie ausgibt. Pfandbriefe ermöglichen den Käufern bei der Insolvenz der ausgebenden Bank einen Zugriff auch auf den Kreditnehmer, häufig Kommunen. Bei einer drohenden oder tatsächlichen Insolvenz der HRE ist der Zugriff zeitweise erstmal gestört. Zwar ist die Sicherheit da, aber bis man die Gelder irgendwann zurückbekommt, herrscht relativ lange Unsicherheit. Und Unsicherheit ist das, was in der jetzigen Zeit niemand brauchen kann.

Zur Person

PD Dr. Dorothea Schäfer ist Koordinatorin der Forschungsgruppe Finanzmärkte und Finanzinstitutionen am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

Könnte es sein, dass der Staat sich mit der Rettung der HRE vor plötzlichen Rückforderungen der Pfandbriefhalter schützen will?

Üblicherweise ist es bei einem Pfandbrief so, dass der Anleger nicht in der Mitte der Investitionsperiode sein Geld zurück haben will. Nichtsdestotrotz würde der Zusammenbruch eines Verkäufers von Pfandbriefen mit einem so großen Marktanteil erhebliche Auswirkungen haben. Das würde das Neugeschäft extrem stören. Der Staat und seine Kommunen brauchen täglich neues Geld. Daher muss gewährleistet sein, dass es Institutionen gibt, die Kredite an Kommunen geben können und die ihrerseits selbst in der Lage sind, sich zu refinanzieren. Diese Refinanzierungsmöglichkeit würde durch die Insolvenz einer so bedeutenden Bank gestört werden. Alles was in der jetzigen Situation die Refinanzierungsmöglichkeiten stört, ist hochbrisant und hochgefährlich.

Wie ist das Problem der Hypo Real Estate Bank entstanden?

Das Problem war wohl, dass die Banktochter Depfa langfristige Kredite vergab und diese großteils über kurzfristige Kredite finanzierte. Darüber verdiente die Depfa auch ihre Margen. Denn kurzfristige Kredite sind deutlich günstiger als langfristige. Doch durch die jetzige Finanzkrise ist der Markt für kurzfristige Kredite weitgehend ausgetrocknet. Da spielen nur noch die Zentralbanken eine Rolle. Daher kann die Depfa ihre Milliarden an kurzfristigen Krediten nicht refinanzieren.

Woher bekam die Depfa bisher ihre kurzfristigen Kredite?

Solche Kredite gab es bisher in einem zwischen Banken institutionalisierten Markt namens "Interbankenmarkt" - oft auch Geldmarkt genannt. Seit der Finanzkrise herrscht jedoch Misstrauen zwischen den Banken und der Markt ist eingebrochen.

Immer wieder sind von Experten und Politikern beruhigende Aussagen zu hören. Deutschland sei nicht in Gefahr. Wie sind sie zu bewerten?

Niemand kann sagen, wann die Finanzkrise vorbei ist. Und sie ist es mit Sicherheit auch noch nicht. Die jetzigen Entwicklungen sind ja zum Beispiel dadurch entstanden, dass der Interbankenmarkt ausgetrocknet wurde. Gleichzeitig sind aber viele Akteure in hohem Maße kurzfristig verschuldet. Je weniger der Interbankenmarkt funktioniert, desto gravierender werden die Probleme. Hier ist noch für eine geraume Zeit extreme Wachsamkeit geboten. Und das zweite ist: Eine Finanzkrise ist immer dann besonders gravierend, wenn sie einen realen Hintergrund hat. Der reale Hintergrund ist das Platzen der Immobilienblase in den USA und die hohen Ausfallzahlen bei den Hypothekenkrediten. Die Immobilienpreise fallen noch immer und gleichzeitig nehmen die Kreditausfälle zu. Wie lange das noch so weiter geht, wissen wir nicht.

Was passiert, wenn eine Bank Insolvenz anmeldet? Welche Abhängigkeiten existieren zwischen den Banken?

Banken haben sich in der Vergangenheit untereinander kurz- und langfristige Kredite gegeben. Wenn da ein Player ausfällt, heißt das, dass die anderen Banken ihre Kredite nicht mehr zurückbekommen. Und diejenigen, die diesen anderen Banken Geld gegeben haben, bekommen auch Ihre Kredite nicht zurück oder bekommen Angst, es nicht zurück zu kriegen. Das heißt, jeder baut jetzt Geldbestände auf, um im Fall des Falles gewappnet zu sein. Cash aufzubauen und nicht zu investieren und Kredite zu geben, bedeutet letztendlich auch, dass das Geschäftsmodell gefährdet ist und Einnahmen wegbrechen. Dadurch wären letztlich alle Banken gefährdet und die gesamte Mechanik gerät ins Wanken. Im Moment ist dieses Szenario in Deutschland noch nicht sichtbar, aber man muss extrem wachsam sein, damit im Notfall sofort eingegriffen werden kann.

Gibt es Mechanismen, um das in Zukunft zu vermeiden?

Man muss sicherstellen, dass Investitionen nicht in irgendwelchen Kreditportfolios ausgelagert und dann noch fünfmal verbrieft werden. Auch Auslagerungen in Zweckgesellschaften, die der Bankenaufsicht nicht bekannt sind und die über kurzfristige Kredite finanziert werden, darf es nicht mehr geben. Da muss die Aufsicht ganz genau hinschauen. Außerdem müssen die Banken ihre Eigenkapitalquote erhöhen. Damit sie in der Lage sind auch große Abschreibungen vorzunehmen, ohne gleich Gefahr zu laufen, unter die Mindesteigenkapitalquote zu fallen. Die Aufsicht muss insgesamt gestärkt werden und es sollte eine europäische Finanzmarktaufsicht geben.

Die asiatischen Märkte und die deutschen Aktienmärkte stürzen ein - ist das alles Panik?

Das sind jetzt sicher Panikreaktionen. Die Unsicherheit ist nach wie vor nicht aus den Märkten genommen. Die dramatischen Bewegungen an den Märkten werden sich wieder beruhigen, wenn man die Details über die Regierungsmaßnahmen weiß. Doch zurzeit ist unklar, wie die Rettungspläne institutionell umgesetzt werden sollen. Dies und viele andere Unsicherheiten - etwa ob noch weitere Abschreibungen in den USA und Deutschland stattfinden - sind Gift für die Aktienmärkte.

Interview: Sebastian Jabbusch