Man stellt sich Kevin Kühnert vor, wie er in seiner Wohnung von der Enteignung von BMW träumt, während sein Mitbewohner in der Küche kräht, dass das Nutella alle ist. Das sind die sozialistischen Phantasien mit Bauchansatz von heute, unfertig und überheblich, aus den kleinen Wohlstandsnestern des Westens.
Bei jeder Aufregung gibt es inzwischen eine schnelle Aufregung über die Aufregung. So auch nach der geplanten Empörung auf Kühnerts Interview. Die Reaktion mancher Journalisten und Politiker: Kommt mal wieder runter. Man wird doch nochmal laut über Sozialismus und Enteignungen nachdenken dürfen. Ehemalige Juso-Chefs meldeten sich zu Wort und bekannten, selbst früher viele Dummheiten von sich gegeben zu haben, so als bringe das Amt des Juso-Chefs das halt mit sich.
Kevin Kühnert etwas ratlos
Nun habe ich das Interview gelesen (was zu viele, die sich aufregen, leider nicht tun) und muss fairerweise sagen, dass die "Zeit"-Kollegen den armen Juso-Chef da auch etwas reindrängen und reinquatschen: Sie bringen erstmalig und immer wieder BMW ins Spiel, nicht er. Das Problem ist deshalb auch weniger die absurde, aber erwartbare Forderung nach Kollektivierung – sondern die ratlose Wolkigkeit, mit der sie von Kevin Kühnert erhoben wird. Kühnert weiß, was er sagt und welche Wirkung er erzielt. Er hat im "Spiegel" nachgelegt“, dass er es "ernst meint". Aber er weiß nicht, wie man daraus intelligente Politik macht. Er hat noch nie gearbeitet, weiß aber genau, was die Arbeiter heute wollen.
Es ist ein Symptom dieser Wochen, dass Politiker im linken Spektrum solche Forderungen einfach mal raushauen. Mal schauen, wie es ankommt. So machte es der knuffige Robert Habeck, dem man das mit seiner zerzausten Kinderbuchautorenfrisur durchgehen lässt, so macht es nun Kevin Kühnert, dem Entrüstung, aber auch viel Beifall aus der SPD entgegenschlägt.
Wie groß ist der Zorn auf Reiche?
Was aber passiert da und warum? Warum reden wir 2019 verstärkt über Enteignungen? Da werden Grenzen ausgetestet und Stimmungen erfasst. So wie Rechtspopulisten immer wieder Stimmungen beim Thema Flüchtlinge und Ausländer testen und ihre schäbigen Knaller raushauen, formiert sich im linken Spektrum, noch lose und unorganisiert, eine kleine Bewegung: Sie will erspüren, wie groß der Zorn auf "Reiche und Spekulanten" wirklich ist – wie weit man unter Umständen gehen könnte. Und was überhaupt mehrheitsfähig ist. Die SPD steht bei 17, die Linke bei neun Prozent. Da muss man mal etwas ausprobieren, auch wenn die alte Regel gilt: Wahlen werden in Deutschland in der Mitte gewonnen.
Sollte man Kühnerts Gedanken also als abenteuerliche, aber doch übliche Juso-Folklore belächeln? Das wäre zu einfach. Es gibt für solche Positionen in Deutschland keine Mehrheit, aber die Stimmung kann kippen: Wenn die soziale Marktwirtschaft, die nun viele schleunigst preisen, nicht mehr für den berühmten "Wohlstand für alle" sorgt.
In Deutschland tut sie das in der Breite immer noch recht gut, einige Aufschwungsjahre sind in den Statistiken über Gleichheit noch gar nicht erfasst. Die Sozialstaatsquote ist hoch, die Staatskassen prall gefüllt. Aber: Auch hier gibt es das Gefühl, dass von dem Boom der vergangenen zehn Jahre nicht alle gleichermaßen profitiert haben.
Das Paradox des Kapitalismus
Was also tun? Und hier enttäuscht Kühnert auf ganzer Linie. Die Nöte von Menschen sind konkret, das sehen wir bei den Gelbwesten (Benzinpreise!), das sind sie auch hier: Da geht es um gute Schulen, gute Ärzte, Sicherheit, ÖPNV, ums Über-die-Runden-kommen, nicht um Eigentumsfragen an Produktionsmitteln.
Wenn der Kapitalismus in einer Krise ist, und dafür gibt es einige Symptome, so sehe ich keine einzige neue Idee auf der Linken: Vermögenssteuer, Reichensteuer, Enteignung, Kollektivierung. Das war’s. Warum dieser Kapitalismus in Asien Hunderte Millionen in die Mittelschicht hievte, während er im Westen nicht überall mehr die breiten Wohlstandsgewinne erwirtschaftet – über dieses Paradox mal eine kluge Analyse und einen Ausweg zu hören, das wäre spannend.
Und was macht Kevin? Spricht kurz nach BMW über das Recht auf Homeoffice, als Beispiel für ein "Sozialstaatsversprechen der 1970er-, 1980er-Jahre in upgedateter Form". Die Arbeiter, denen BMW dann gemeinsam gehört, können also auch von zu Hause arbeiten. Das klingt nicht vielversprechend.
Die Forderung nach einer Kollektivierung von BMW ist wie ein Hilfeschrei: Da ist nicht mehr, da kommt nicht mehr. Die Linke bleibt in den 60en und 70ern stecken. Die statische Vorstellungswelt eines Kevin Kühnert über Fabriken und was man mit ihnen anstellt, berührt sich hier mit der eines Donald Trump: Der eine will sie zurückholen, der andere enteignen – in einer Welt, die so nicht mehr existiert, die versunken ist, weil sie sich rasend verändert hat und immer noch verändert.
