Anzeige
Anzeige

Wohnungsmangel und Mietsteigerung Teures Großstadtpflaster

In Deutschlands Großstädten wird günstiger Wohnraum knapp. In den letzten Jahren sind die Mieten drastisch gestiegen. Das macht die Wohnungssuche fast aussichtslos. Und eine Wende ist nicht in Sicht.
Von Peter Neitzsch

Für eine gemeinsame Wohnung wollen Silvia F. und ihr Freund 1200 Euro ausgeben. Zwei Zimmer sollen es sein, innerhalb des zweiten Münchener Rings - etwas näher am Zentrum als bisher. Die beiden 27-Jährigen verdienen gut, dennoch bekommen sie nur Absagen. Meist heißt es dann: Wir haben uns für jemand anderen entschieden. "Am liebsten wäre es den Vermietern, jeder von uns beiden würde 2500 Euro Netto verdienen", sagt Silvia, die als Sales Managerin arbeitet. Und sie sagt auch: "Es ist einfacher, in München einen Job zu finden als eine Wohnung."

Geschichten wie die von Silvia kennt jeder, der in München, Hamburg oder Frankfurt lebt. Im ohnehin schon teuren München haben die Neumieten in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt noch mal um 12,3 Prozent zugelegt. Kaltmieten bis zu 28 Euro pro Quadratmeter sind in Topwohnlagen keine Seltenheit.

Die bayerische Landeshauptstadt bleibt Deutschlands teuerstes Pflaster. Aber auch in anderen Städten herrschen zunehmend Münchener Verhältnisse. Während der Gesetzgeber Mietsteigerungen bei Bestandsmieten genau regelt, haben die Eigentümer bei einem Mieterwechsel freie Hand. Und bei den Neuverträgen sind die Mieten in den Großstädten innerhalb von fünf Jahren regelrecht explodiert: In Köln lag der Anstieg bei durchschnittlich 6,3 Prozent, in Frankfurt am Main bei 12,6 Prozent, Berlin musste 16,4 Prozent verkraften. Das ist das Ergebnis des "Wohnindex Deutschland" der Analysefirma F + B, der am Montag veröffentlicht wurde.

In Hamburg fehlen 30.000 bis 50.000 Wohnungen

Am heftigsten ist der Mietanstieg in Hamburg ausgefallen, dort haben sich die Mieten für Neuverträge um 21,6 Prozent verteuert. Ulrike Stüdemann von F + B nennt mehrere Gründe für den Anstieg: "Eine gute Entwicklung der Konjunktur schlägt immer auf die Mieten durch." Vermieter würden erwarten, dass sie mehr verlangen können. Seit Mitte 2010 habe es deshalb bei Neumieten einen großen Preisschub gegeben. "Gleichzeitig haben wir seit Jahren eine geringe Neubauquote. Das erhöht den Druck auf den Wohnungsmarkt." 30.000 bis 50.000 Wohnungen fehlen Schätzungen zufolge allein in Hamburg.

"Wir merken ganz deutlich, dass die Preise angezogen haben", sagt auch der Hamburger Wohnungsmakler Peter Dreller, der seit mehr als 20 Jahren in der Hansestadt im Immobiliengeschäft arbeitet. Die Folge: Wer eine Wohnung sucht, geht immer mehr Kompromisse ein, um die begehrte Bleibe zu ergattern. "Manchmal wundere ich mich schon, wie anspruchslos die Mieter sind", sagt Dreller. Selbst bei extrem teuren Wohnungen würden oft, große Zugeständnisse an die Qualität gemacht. Auch würden sich Menschen immer häufiger eine Wohnung teilen. Die Zeiten, als nur Studenten in WGs wohnten, sind vorbei.

Um sich im Konkurrenzkampf um Wohnraum durchzusetzen, gehen viele vor wie bei der Jobsuche: "Mittlerweile kommt jeder zweite mit einer Bewerbungsmappe", sagt Dreller. Da wird bei der Wohnungsbesichtigung eben mal der Lebenslauf mit Foto, Gehaltsnachweis, Schufa-Auskunft und Motivationsschreiben überreicht. Dreller: "Ich finde enorm, was die Leute alles bereitwillig von sich preisgeben. Dabei ist das gar nicht nötig."

Preisexplosion im Szenekiez

Von Wohnungsnot mag Dreller dennoch nicht sprechen: "In Hamburg gibt es einen Engpass in speziellen Bereichen", sagt der Makler. Bei kleineren Wohnungen in den beliebten Vierteln würden Kollegen dann die berüchtigten Massenbesichtigungen durchführen. "Für eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Winterhude habe ich im Durchschnitt 60 Bewerber." Bei der gleichen Wohnung im Hamburger Schanzenviertel seien es 120 Interessenten.

Was für Hamburg die Schanze, das Karolinenviertel oder St. Pauli ist - ein Szenekiez - das ist in Berlin Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg oder Mitte. Die Mietsteigerungen in den In-Vierteln fallen dementsprechend noch sehr viel drastischer aus: "In Berlin bewegen sich die Zuwachsraten je nach Kiez zwischen fünf und 30 Prozent", sagt Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund. Im Münchener Westend sei es mitunter zu Mietsteigerungen von mehr als 50 Prozent gekommen. "Es gibt immer die 3000-Euro-Wohnung, die leicht anzumieten ist", so Ropertz. "Das Problem in Ballungszentren ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden."

"Viele mit niedrigem Einkommen haben ein richtiges Problem", bestätigt Dreller. Die angestammte Bevölkerung zieht weg, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten kann. Im Hamburger In-Bezirk Ottensen hat sich so der Ausländeranteil in den vergangenen 20 Jahren mehr als halbiert. "Damit jeder nach Ottensen ziehen kann, der das will, müssten dort zehn Hochhäuser gebaut werden", schätzt Dreller. "Nur dann will da keiner mehr hin."

Auf der nächsten Seite: die Gründe der Wohnungskrise

Verfehlte Baupolitik und mangelnde Städteplanung

Immer teurere Mieten sind ein Problem der Großstädte. "Die Mietpreisentwicklung richtet sich nach der Bevölkerungsentwicklung", sagt Ropertz vom Mieterbund. "Die Menschen sind aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg und dem Ruhrgebiet weggezogen - dorthin, wo es Arbeit gibt." Und dort fehlen jetzt Wohnungen. "Diese Entwicklung zeichnet sich seit Jahren ab", so Ropertz. "Aber seit Jahren wurde nicht gebaut." Im Gegenteil: Die Förderung des Städtebaus durch den Bund wurde massiv zurückgefahren - von 600 Millionen Euro auf nur noch 455 Millionen Euro im Jahr 2011. Eine weitere Kürzungsrunde um 45 Millionen wird gerade diskutiert.

"Man hat in der Vergangenheit einigen Märchen Glauben geschenkt", sagt Ropertz. Vor ein paar Jahren habe es geheißen: Es gebe keine Wohnungsnot, der Mietmarkt sei ausgeglichen. "Das hat nie gestimmt, das wird jetzt deutlich."

Dem Mieterbund zufolge sind zur Bewältigung der Wohnungskrise drei Dinge nötig:

1.

Zusätzliche Wohnungen sollten gebaut werden insbesondere sozialer Wohnungsbau

2.

Öffentliche Wohnungsbestände sollten nicht weiter verkauft werden

3.

Bei Neuverträgen sollte sich die Miete an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientieren

Eine solche Deckelung gibt es im Prinzip zwar schon: Wenn Neuverträge mehr als 20 Prozent über der Vergleichsmiete liegen, wird das laut Wirtschaftsstrafgesetzbuch als Mietwucher gewertet. Gebracht hat das allerdings wenig. Das Gesetz greift nur bei einer angespannten Marktsituation. Um sein Recht einzuklagen, muss der Mieter also nachweisen, dass er keine günstigere Wohnung finden konnte. In einer Stadt wie Berlin ist das quasi unmöglich - so existiert der Paragraf nur auf dem Papier. In der Praxis konnten drastisch höhere Neumieten so nicht verhindert werden.

"Wohnungsbau alleine reicht nicht"

Auch Bestandsschutzgesetze, die beispielsweise in Hamburg in manchen Stadtteilen Luxussanierungen verbieten, sind laut Ropertz höchstens eine Zwischenlösung, um steigende Mieten zu verhindern. "Das ist nur geeignet, den Deckel eine Weile auf dem Topf zu halten. Irgendwann geht das dann erst recht in die Luft." Sinnvoller sei eine Durchmischung von Vierteln - beispielsweise mittels einer Quote für Sozialwohnungen.

Der Hamburger Makler Peter Dreller sagt: "Die Stadt muss dafür sorgen, dass sich auch bisher vernachlässigte Stadtviertel entwickeln." Damit ein Viertel attraktiv werde, sei beispielsweise eine gute Anbindung an die Verkehrsinfrastruktur nötig. "Mit Wohnungsbau alleine kommt man nicht weiter", sagt Dreller. "Es geht um die Lebensqualität eines Viertels. Wenn die stimmt, dann ziehen die Leute da auch hin."

Wie Sie trotzdem eine günstige Wohnung finden: neun Tipps zur Wohnungssuche.

Was Sie pro Quadratmeter in welcher Stadt zahlen müssen, steht im Mietatlas von stern.de.

Von Peter Neitzsch

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel