Arbeitsmarkt Warum die Deutschen noch arbeiten dürfen

  • von Axel Hildebrand
In den USA haben Firmen in der Krise massenhaft Mitarbeiter entlassen. In Deutschland ist die Situation am Arbeitsmarkt dagegen noch überraschend positiv. Warum eigentlich?

Ja, die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen. Im kommenden Jahr steht wohl eine Entlassungswelle an, weil die Auftragsbücher trotz steigender Nachfrage noch immer viel leerer sind als vor einem Jahr. "Das Thema Arbeitslosigkeit wird uns bis weit ins kommende Jahr begleiten", sagte Thomas Jäger von der DZ Bank. "Im Jahresschnitt 2010 erwarten wir gut vier Millionen Arbeitslose."

Bislang ist es am Arbeitsmarkt aber erstaunlich ruhig geblieben. Im Oktober hatte der Herbstaufschwung dafür gesorgt, dass die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vormonat um 118.000 auf 3,22 Millionen gesunken ist. Im Vorjahresvergleich ergibt sich ein Anstieg um 232.000.

In den USA ist das anders. Seit Dezember 2007, dem Beginn der Rezession, haben dort im Saldo 7,6 Millionen Menschen ihre Stelle verloren. Die Unternehmen hierzulande reagieren anders. Sie entlassen kaum, halten soweit wie möglich ihre Belegschaft. Bisher sei es auf dem Arbeitsmarkt besser gelaufen, als manche befürchtet hätten, sagt auch Finanzminister Peer Steinbrück. Warum ist das so? Wir haben die fünf wichtigsten Gründe zusammengetragen.

1. Die Regierung hilft

Die deutsche Regierung hilft massiv, um die Härten der Wirtschaftskrise für die Beschäftigten abzufedern. 1,4 Millionen Männer und Frauen arbeiteten im Juni kurz. Aktuellere Zahlen sind bislang nicht verfügbar.

Für die Unternehmen ist das aber eine teure Angelegenheit: Im ersten Quartal zogen die Kosten je Arbeitsstunde mit 5,8 Prozent so stark an wie noch nie. Der millionenfache Einsatz von Kurzarbeit belastet die Betriebe Arbeitsmarktforschern zufolge in diesem Jahr voraussichtlich mit rund fünf Milliarden Euro.

Damit die Unternehmen dieses Arbeitsmarktinstrument besser nutzen können, übernimmt die Bundesagentur für Arbeit (BA) ab dem siebten Monat einen Teil der Sozialbeiträge. Es geht um die Beiträge auf den Teil des Nettolohns, der durch Kurzarbeit ausfällt.

Was für die Beschäftigten eine Wohltat ist - sie behalten ihre Jobs - belastet alle anderen. Bezahlt wird dies durch die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung.

Aber die Kurzarbeit ist nicht die einzige Hilfe der Regierung. Zudem hilft der Staat mit dem Kombilohn und Eingliederungszuschüssen.

Das grundsätzliche Problem bei solchen Hilfen: Wenn auf die Nachfrage nach einem Gut, zum Beispiel eines Autos, sinkt, müssten die Unternehmen ihre Belegschaft irgendwann zwangsläufig verringern. Machen Sie das nicht jetzt, weil der Staat ihnen so stark unter die Arme greift, zögern sie die eigentlich notwendigen Entlassungen nur unnötig hinaus.

2. Kurzarbeit ist in Deutschland besonders wirksam

Die derzeitige Krise ist speziell. Sie trifft nicht alle gleich, sondern besonders das verarbeitende Gewerbe, also etwa den Maschinen- oder Automobilbau. Diese Branchen sind besonders vom Export abhängig, weshalb sie durch den Zusammenbruch der Weltwirtschaft besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. "Die Krise trifft hochtechnisierte Unternehmen", sagt Holger Bonin, Bereichsleiter Arbeitsmarkt beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung zu stern.de. Diese haben besonders hochqualifizierte Mitarbeiter. Die wollen die Unternehmen möglichst halten, denn in der letzten Krise 2001 haben sie gemerkt, wie teuer und aufwendig es ist, sie wieder einzustellen.

Es klingt vielleicht zynisch: Aber träfe die Krise die Frisöre, würden die Unternehmen sie im Zweifel eher rauswerfen, als lange zu halten. "Einfache Dienstleistungen gibt es genügend am Markt. Dadurch wird die Kurzarbeit in diesen Branchen unattraktiver", meint Bonin.

3. Unternehmen haben eine andere Kultur

In den USA schmeißen die Unternehmen schneller Angestellte raus - und stellen auf der anderen Seite aber auch schneller wieder ein. "'Hire and Fire' ist ein verbreitetes Phänomen", erklärt Bonin.

Dazu kommt: Die Arbeitsgesetze machen es in Deutschland schwerer, Arbeitnehmer zu entlassen. "Bei uns ist der Kündigungsschutz grundsätzlich rigide", sagt der Arbeitsmarktexperte.

Weil die Firmen wissen, dass sie ihre Leute nicht so schnell loswerden, suchen sie sich jene aus, die besonders wertvoll für sie sind: durch firmenspezifisches Wissen und eine höhere Qualifikation. Dafür, so Bonin, sei die deutsche Arbeitsproduktivität auch höher.

4. In den USA wird anders gearbeitet

Obwohl ihm das Image anlastet, ist der Arbeitsmarkt in den USA nicht immer flexibler. Arbeitszeitkonten etwa, durch die Arbeitnehmer in Deutschland Schwankungen in der Belastung ausgleichen können, gibt es jenseits des Atlantiks deutlich weniger. Vereinzelt werden die Unternehmen sogar bestraft, wenn sie ihre Angestellten länger arbeiten lassen - durch Überstundenzuschläge. "Eher werden die Arbeitnehmer entlassen, als dass die Stunden angepasst werden", sagt Bonin.

5. Die starken deutschen Gewerkschaften

In den USA gibt es in einzelnen Branchen starke Gewerkschaften - etwa für Lehrer oder im Automobilsektor. Im Durchschnitt sind die Arbeitnehmervertreter in Deutschland aber mächtiger. Sie sorgen dafür, dass die Löhne hochgehalten werden.

"In der Konsequenz schaffen die deutschen Firmen hochproduktive und hochqualifizierte Arbeitsplätze", erklärt Bonin weiter. In den USA sind die Arbeitnehmer im Schnitt unproduktiver - und werden schneller entlassen.

Die Entlassungswelle hat für die Firmen zumindest kurzfristig Vorteile. Die Produktivität ist in den USA im zweiten Quartal sprunghaft in die Höhe angestiegen. In Deutschland produziert dagegen die gleiche Zahl an Beschäftigten weniger Waren.

Dadurch sind die Gewinne einigermaßen stabil. "Amerikanische Unternehmen haben zur Kostensenkung und zur Verschlankung der Abläufe ihre Belegschaft erheblich verringert. Das hat dazu beigetragen, die Gewinnmargen trotz der schweren Rezession verhältnismäßig stabil zu halten", sagte Harm Bandholz von der Unicredit-Gruppe in New York der "FAZ".

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