Millionen Reisende müssen sich nach einer plötzlichen Eskalation im Tarifstreit bei der Bahn von Montag an auf unbefristete Streiks gefasst machen. Die Lokführergewerkschaft GDL kündigte einen erneuten Arbeitskampf an, um die Unterschrift des Konzerns unter den ausgehandelten Tarifvertrag mit elf Prozent Einkommensplus zu erzwingen. Von Montag, 0.00 Uhr, an stünden im Fernverkehr, Güterverkehr und bei S-Bahnen "die Räder still", sagte der GDL-Vorsitzende Manfred Schell. Bahnchef Hartmut Mehdorn sprach von "Irrsinn" und warf der GDL vor, ein Verkehrschaos zu riskieren. Die Bundesregierung forderte beide Tarifparteien zu unverzüglichen Gesprächen auf, um den Streik doch noch abzuwenden.
Schell sagte, der Bahn-Vorstand habe es in der Hand, ob und wie lange gestreikt werde. Sollte der Tarifabschluss vom 30. Januar noch unterschrieben werden, finde der Arbeitskampf nicht statt. Für neue Verhandlungen würde der Streik aber nicht mehr unterbrochen. Einen übergreifenden Grundlagenvertrag, den die Bahn zur Bedingung macht, werde die GDL nicht akzeptieren. Diese Chance habe der Konzern verspielt. "Wenn man so provoziert wird vom Arbeitgeber, kann es nur noch eine Antwort geben", sagte Schell. In dem seit fast einem Jahr laufenden Konflikt hatte die GDL zuletzt im November gestreikt.
Bahn will Hochschaukeln der Gewerkschaften verhindern
Die Bahn bekräftigte, dass der Entgelttarifvertrag der GDL sich ins gesamte Tarifgefüge des Konzerns eingliedern müsse. Daher könne er nicht ohne einen Grundlagenvertrag unterzeichnet werden. Darin will die Bahn zum Beispiel bis zum Jahr 2015 festschreiben, welche ihrer drei Gewerkschaften für welche Mitarbeiter Verhandlungsmacht hat. So soll ein gegenseitiges "Hochschaukeln" zwischen der GDL sowie den anderen Gewerkschaften Transnet und GDBA vermieden werden. Diesem Zusammenhang zwischen Entgelt- und Grundlagenvertrag habe die GDL am 30. Januar selbst zugestimmt und müsse sich daran halten, sagte Bahn- Personalvorstand Margret Suckale. "Die GDL wollte eine schöne eigene Lokomotive, die hat sie auch bekommen." Dazu gehörten aber zwei Waggons, die nicht einfach abgehängt werden dürften - die Konflikt- und Widerspruchsfreiheit zu den sonstigen Tarifregeln.
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte, er erwarte von allen Beteiligten, "unverzüglich" wieder Gespräche aufzunehmen. Er betonte zugleich: "Es war immer klar, dass die Vereinbarungen zur grundsätzlichen Zusammenarbeit Teil der Tarifeinigung sein würden." Niemand hätte Verständnis für einen Streik, obwohl alle Bestandteile eines Entgelttarifvertrags bereits vereinbart seien. Der immense volkswirtschaftliche Schaden eines Streiks könne nicht riskiert werden, weil es Differenzen zu Fragen der Eigenständigkeit und zum gewerkschaftlichen Miteinander gebe. Verhandlungen zwischen Bahn und GDL über einen Grundlagenvertrag waren am Montag abgebrochen worden.
Glos fürchtet Folgen für die Konjunktur
Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) mahnte eine endgültige Einigung an. "Ein neuerlicher Bahnstreik würde für die Konjunktur in Deutschland zu einer weiteren Belastungsprobe werden", sagte er dem "Handelsblatt" (Mittwoch). "Sollten ab Montag die Züge wieder stillstehen, würden wohl die wenigsten Fahrgäste und Pendler dafür noch Verständnis aufbringen können."