Während die ganze Medienbranche von der Krise geschüttelt wird, erfüllen sich zwei Kreative einen Lebenstraum: Sie bringen ein neues Style- und Designmagazin auf den Markt. Mutig, leichtsinnig - oder alles kalkuliert? stern.de wollte es genauer wissen und fragte einen der Macher nach den Erfahrungen einer Existenzgründung in der heutigen Zeit.
Hinter der Edel-Zeitschrift "sleek - the magazine for visual pleasure" stecken die Herausgeber Lothar Eckstein und Anita Mrusek, die ihr Projekt aus eigenen Mitteln finanzieren und damit nicht nur ein großes Risiko eingehen sondern, auch eine gehörige Portion Mut beweisen.
Bevor Anita Mrusek den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, war sie acht Jahre als Art Directorin von Zeitschriften tätig und hat unter anderem die Gesichter von Elle, Maxi und Modern Living mitgeprägt. Lothar Eckstein, zuletzt Vorstand von Interactive Media, einer Tochter des Axel Springer Verlages, war unter anderem Gründungsgeschäftsführer von Amazon Deutschland sowie mehr als sechs Jahre bei verschiedenen TV-Sendern der Kirch-Gruppe tätig.
Der Webauftritt des Design-Magazins "sleek"
"sleek" (englisch für geschmeidig, glatt, schnittig) ist in einer Startauflage von 20.000 Exemplaren seit Dezember 2002 auf dem Markt. Als Vorbild haben sich die Macher Titel wie das britische Magazin "Tank" oder die amerikanische Zeitschrift "Big" ausgeschaut. Der Unterschied: "sleek" verzichtet auf jeglichen redaktionellen Beitrag und setzt ganz auf die Ausdruckskraft von Hochglanz-Fotografien. Für diese Qualität stehen internationale Teams aus namhaften und stilprägenden Fotografen, Stylisten, Designern und Illustratoren. Die nächste Ausgabe wird Anfang April erscheinen.
stern.de: Die Medienbranche steckt in der Krise, und Sie gründen ein Lifestyle-Magazin?
Lothar Eckstein: Für uns ist das Projekt ein Lebenstraum. Und uns war klar, ein Projekt wie "sleek" kann man nicht als Angestellte umsetzen.
Warum?
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein großer Verlag an so ein Projekt herantraut, ist einfach zu klein, das Risiko zu groß. "sleek" kann man nur machen, wenn man bereit ist, eigenes Geld zu riskieren.
Haben Sie keine staatlichen Hilfen in Anspruch genommen?
Nein. Wir haben uns am Anfang im Internet über die verschiedensten Möglichkeiten – vom Arbeitsamt bis zu Förderbanken – informiert. Die Existenzgründerprogramme waren aber schlichtweg zu komplex, und die Voraussetzungen für Förderprogramme erschienen uns zu kompliziert.
Was genau war kompliziert?
Zum Beispiel das Antrags- und Abfindungsprozedere, wir sind nur zu zweit und hätten uns entweder ein halbes Jahr lang damit beschäftigen können, an Subventionen zu gelangen. Oder wir hätten versuchen können, ein Heft zu machen. Außerdem hatten wir bei anderen Existentgründern miterlebt, wie schwer es war, an Startkapital zu kommen. Das schreckte uns ab.
Und ein schlichter Kredit bei der Bank?
In der heutigen Zeit gewähren Banken sehr zaghaft Kredite. Und schon gar nicht bei dieser Art von Projekt. Wir finanzieren "sleek" von dem, was wir beide in den letzten 15 Jahren verdient haben.
Was hat die erste Ausgabe von "sleek" gekostet?
Einen fünfstelligen Betrag!
Wie finanziert sich das Projekt?
Bei Produkten wie "sleek" mit einer relativ geringen Auflage läuft alles über Anzeigen. Wir mussten unsere Anzeigenkunden direkt ansprechen und akquirieren.
Wer hat Ihnen bei der Umsetzung geholfen?
Damit wir nicht isoliert starten, hat uns unser Unternehmensberater von Anfang an begleitet. Dann haben wir noch die Hilfe von einem Gesellschaftsrechtler, einem Notar und einem Steuerberater in Anspruch genommen.
Wie konnten Ihnen Notar und Unternehmensberater helfen?
Unser Steuerberater hat uns zu der Gründung einer GmbH&Co.KG geraten, da bei Magazinen fast immer mit einer langen Durststrecke zu rechnen ist. Und eine GmbH&Co.KG bringt steuerliche Vorteile. Der Gesellschaftsrechtler und der Notar haben die juristische Seite für die Gründung der GmbH&CoKG abgedeckt. Und der Unternehmensberater hat die Strukturen für die Partnerschaft zwischen Anita Mrusek und mir geschaffen: "Fifty-fifty", ein Jointventure.
Nachdem die rechtliche Seite geklärt war: Wie sind Sie an das Projekt herangegangen?
Wenig nachgedacht und einfach gemacht! Man kann dieses Projekt, insbesondere bei der Marktlage und den Risiken, nur verwirklichen, wenn man nach dem Prinzip lebt: "Wenig nachdenken, einfach machen".
Wie entstand das Konzept für "sleek"?
Wir wollten beide Geschichten mit Bildern erzählen. Denn im Zeitschriften- und Anzeigenmarkt werden die Texte immer kürzer. Und es gibt kein Medium, das schneller kommuniziert als ein Bild. Das ist sicherlich gewagt und geht einen Schritt weiter als andere Magazine, gerade im internationalen Vergleich. Wir glauben aber an unser Konzept, und die ersten Verkaufszahlen scheinen uns da nicht ganz Unrecht zu geben.
Woher hatten Sie die Erfahrung für ein derartiges Projekt?
Anita Mrusek war vorher bei "Modern Living" als Artdirektorin beschäftigt, und ich bin durch den Verkauf der Springer-Tochter "Interactive Media" an "T-Online" aus dem Unternehmen ausgestiegen. Uns sind die Kostenstrukturen solcher Projekte nicht unbekannt. Und mit der Zeit haben wir immer mehr Angebote von Druckern, Druckvorstufen, Vertrieben usw. eingeholt und konnten unseren Businessplan immer realistischer gestalten.
Wie lange hat es gedauert, die erste Ausgabe von "sleek" auf den Markt zu bringen?
Von der Ausarbeitung des Konzepts bis zur ersten Ausgabe im Dezember 2002 hat es ein halbes Jahr gedauert. Wir haben "sleek" in einem Zeitraum entwickelt und umgesetzt, in dem große Verlage eine Marktforschung durchziehen. Recht schnell und ganz alleine - und darauf sind wir auch ein wenig stolz.
Ein strammer Zeitplan. Wer hat Ihnen bei dabei geholfen?
Außer uns beiden haben noch zwei Freunde mitgemacht. Zum einen hat man uns auf der redaktionellen Seite geholfen. Zum anderen brauchten wir Unterstützung im Bereich Anzeigen und Vertrieb. Das Projekt konnte auch nur in einer so kleinen Besetzung funktionieren, weil der Markt heutzutage die Möglichkeit bietet, Aufgabenbereiche auszulagern: Buchhaltung, Heftvertrieb, Druck, Lithographie. Anita Mrusek und ich sind sozusagen der rote Faden durch das ganze Projekt.
Wer hat Ihnen gesagt, was zu tun ist?
Bei uns war es "learning by doing". Wenn mich etwas negativ überrascht hat, dann der plötzliche Zeitaufwand für die kleinsten Dinge, wie etwa Postgang, Briefumschläge kaufen, den Computer zur Reparatur bringen, den ISDN-Anschluss reparieren, für eine funktionierende Buchhaltung sorgen usw. Tausende von Kleinigkeiten. Die Gefahr liegt im "Tode der tausend kleinen Schritte".
Wie hat Ihr Umfeld reagiert?
Wir beide hängen sowohl finanziell als auch emotional sehr an unserem Projekt und investieren alle Zeit der Welt. Und ohne die tatkräftige Unterstützung des Freundeskreises wäre es nicht gegangen. Wir haben zum Beispiel einen sehr guten Deal mit unserer Internet-Agentur "Divine" abschließen können, weil wir dort Leute kannten. Fotografen haben überhaupt nur mitgemacht, weil Anita Mrusek sie kannte. Ohne Netzwerke wäre es gar nicht gegangen. Darüber muss man keine Sekunde nachdenken. Es ist so: Family and friends!
Laut Statistik werden mit einer Existenzgründung vier neue Jobs geschaffen. Beschäftigen Sie Personal?
Unsere einzige Angestellte nutzt ein Programm des Arbeitsamtes. Sie bekommt Arbeitslosengeld und darf einer Nebenbeschäftigung nachgehen, solange ihr Verdienst den maximalen Betrag von 165 Euro monatlich nicht überschreitet. Ansonsten versuchen wir, vorerst Festanstellungen zu vermeiden und nur mit freien Mitarbeitern zu arbeiten. Das ist modern, aber leider auch aus der Not geboren. Für uns ist es zum jetzigen Zeitpunkt zu riskant, Leute einzustellen. Ich habe zudem bei Axel Springer sehr schlechte Erfahrungen mit Arbeitnehmerschutzrechten gemacht, so dass ich mir vorgenommen habe, alles zu vermeiden, um Leute fest anzustellen - was eigentlich erschreckend ist.
Wo sehen Sie die Vor- und Nachteile einer Selbstständigkeit?
Die Vorteile liegen einfach darin, dass wir wirklich genau das umsetzen können, was wir wollen. Wir gestalten das Magazin, ohne zuviel Rücksicht nehmen zu müssen. Da facto haben wir jetzt ein höheres Maß an Selbstbestimmung, als wir es in unseren Jobs je hatten. Das ist sehr befriedigend. Und zum anderen ist es auch ein großer emotionaler Unterschied, ob man für anderer Leute "Babys" arbeitet oder für das eigene. Die Nachteile reichen von Existenzängsten bis zu den Verwaltungslasten. Während man bei einer Festanstellung jemanden anruft, wenn der PC nicht funktioniert, müssen wir jetzt alles alleine regeln. Auch die extrem deprimierenden Erfahrungen mit dem Finanzamt am Anfang waren niederschmetternd. Außerdem verdienen wir im Augenblick gar nichts, wir leben nur von der Substanz. Damit ist natürlich auch eine Umstellung des Lebensstils verbunden - Luxus ist nicht mehr! Wir mussten unsere Prioritäten vollkommen neu ordnen.
Wenn Sie die Chance hätten, noch einmal neu anzufangen, was würden Sie anders machen?
Eher Strukturen schaffen - Ablaufprozesse früher und genauer festlegen. Nicht einfach loslegen, sondern Ziele genauer definieren und eine konkrete Strategie verfolgen – und zwar in allen Bereichen. Mich verblüffte anfangs zum Beispiel das komplexe System aus steuerlichen Abgaben, Finanzamt und Administration in Deutschland. In den Managerjobs, in denen ich bislang gearbeitet habe, musste ich etwa 30 Prozent Verwaltungsaufgaben erledigen. Jetzt habe ich bis zu 60 Prozent meiner Zeit in die Administration stecken müssen: Formulare ausfüllen, Überweisungen und Rechnungen erledigen, Finanzamt, Handelskammer und Gewerbeamt "in Schach halten" – der Aufwand hat mich sehr überrascht. Aber wir würden immer wieder anfangen - die Erfahrung lohnt sich!
Interview: Nicole Bockstaller