Die deutsche Wirtschaft kommt um die umstrittene Ausbildungsplatzabgabe aller Voraussicht nach nicht herum. Nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und das SPD-Präsidium einen entsprechenden Vorstoß gebilligt haben, will die SPD-Fraktion am Dienstag einen Gesetzentwurf zu einer Lehrstellenabgabe beschließen. Fraktionschef Franz Müntefering betonte am Montag, das Gesetz bedürfe nicht der Zustimmung des Bundesrates. Kritik an den Plänen kam aus der Wirtschaft und von Arbeitsmarkt-Experten. Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) ist gegen eine Abgabe.
Laut Müntefering hat es die Wirtschaft im nächsten Jahr durch Bereitstellung eines ausreichenden Lehrstellenangebots selbst in der Hand, ob eine Abgabe erhoben wird. Nach dem Gesetzesvorstoß sollen Betriebe ohne Lehrlinge bei einem unzureichenden bundesweiten Angebot eine Abgabe in einen zentralen Fonds entrichten. Mit dem Geld sollen zusätzliche Lehrstellen finanziert oder Betriebe mit vorbildlicher Ausbildungsleistung entlastet werden.
75.000 betriebliche Ausbildungsplätze abgebaut
Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) widersprach Clements Einschätzungen zur Situation auf dem Lehrstellenmarkt. Angesichts des immer größer werdenden Mangels sei es konsequent, jetzt gesetzliche Maßnahmen vorzubereiten, sagte sie der "Frankfurter Rundschau" (Dienstag). Die Wirtschaft habe binnen zwei Jahren rund 75.000 betrieblichen Ausbildungsplätzen abgebaut. Angesichts dieser Entwicklung werde es für die Wirtschaft sehr schwer, das Ruder noch herumzureißen.
Kritik aus der Wirtschaft
Kritik an einer Ausbildungsplatzabgabe kam vor allem aus der Wirtschaft. Sowohl der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) als auch der Bau-Hauptverband lehnten eine Abgabe ab. Unterstützt werden sie dabei vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. "Die Vorstellungen der SPD sind unausgegoren. Sollten sie Gesetz werden, steuern wir auf eine Situation zu, in der nicht mehr, sondern noch weniger ausgebildet wird", sagte der Arbeitsmarktexperte des Instituts, Martin Werding, dem Berliner "Tagesspiegel" (Dienstag). Auch das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn und das Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen haben dem Bericht zufolge Bedenken gegen eine Abgabe.
Ebenfalls kritisch äußerte sich Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Rohwer (SPD). Eine solche Abgabe werde die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt nicht lösen. Gleichzeitig würden Betriebe bestraft, die Ausbildungsplätze anböten, aber keine oder keine geeigneten Bewerber bekämen, sagte er den "Lübecker Nachrichten"