Machtspielchen, Männerzirkel, mangelndes Selbstvertrauen oder der Wunsch nach einer Familie: Es gibt viele Gründe, warum leistungsstarke Frauen im Beruf irgendwann auf eine Karriere verzichten. Weniger als zehn Prozent der Top-Manager in der deutschen Wirtschaft sind weiblich. Um diesen Anteil zu erhöhen, stellen einige Unternehmen ihren fähigsten Nachwuchskräften erfahrene Manager zur Seite. Sie sollen sie auf dem Weg nach oben bestärken.
Claudia Knies-May hatte ihre berufliche Entwicklung von Anfang an geplant. Nach dem Betriebswirtschaftsstudium arbeitete sie zunächst im Finanzbereich der Deutschen Telekom. Von dort wechselte sie gezielt in andere Bereiche, um ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern, zuletzt zur Telekom-Tochter T-Systems: "Ich habe immer versucht, ein möglichst großes Spektrum abzudecken, um für den nächsten Karriereschritt besser gerüstet zu sein. Das war bis dato der richtige Weg." Darin hat sie besonders auch ihr Mentor, Walter Galinat, bestärkt. Den leitenden Manager beim Chemie- und Pharma-Konzern Merck lernte Claudia Knies-May vor drei Jahren kennen, als sie an einem Cross-Mentoring-Programm im Frankfurter Raum teilnahm.
Was ist Cross-Mentoring?
Der Begriff des Mentors kommt aus dem Altgriechischen und steht für einen gebildeten, erfahrenen Menschen, der jüngeren Personen als verantwortungsbewusster Ratgeber zur Verfügung steht. Das Pendant zum Mentor ist der Mentee. Heute wird Mentoring vor allem für angehende oder junge Führungskräfte genutzt. Es soll ihnen den Freiraum für Diskussionen und Experimente öffnen, den der berufliche Alltag nur selten bietet. Kompetenzen sollen weiterentwickelt werden, der Nachwuchs soll dabei von den Erfahrungen der Mentoren profitieren. Beim Cross-Mentoring kommen Mentor und Mentee aus jeweils unterschiedlichen Unternehmen.
Regelmäßige Treffen zwischen Mentor und Mentee
Schon 1998 haben sich dort acht große Unternehmen zusammengetan, um im jährlichen Austausch miteinander weibliche Nachwuchskräfte mit Führungspersönlichkeiten zusammenzubringen. Mittlerweile bilden Merck, Deutsche Telekom, Commerzbank, Fraport, Daimler-Chrysler, Procter & Gamble, Bosch und die Deutsche Bank im sechsten Jahr ihre "Tandems" aus Mentorinnen oder Mentoren und weiblichen Mentees. Ein Jahr lang treffen sich Mentor und Mentee regelmäßig, um Herausforderungen und Konflikte zu besprechen, die bei der Arbeit auftreten. Begleitend dazu besuchen alle Mentees spezielle Fortbildungsseminare. Dreimal im Jahr kommen alle zu einem großen Treffen zusammen.
Das Ziel ist klar: Die Jüngeren sollen von der Erfahrung der Älteren profitieren. Claudia Knies-May hat sich einen männlichen Manager gewünscht, weil sie verstehen wollte, wie Männer denken - und um ein Vorbild zu haben, das es in eine hohe Position geschafft hat. "Ich hatte da sehr großes Glück. Wir waren uns auf den ersten Blick sympathisch." Sie wechselte damals zum ersten Mal in eine leitende Position. Für 50 Mitarbeiter zwischen 30 und 55 Jahren war die damals 33-Jährige ab sofort zuständig. Da gab es auch knifflige Situationen: "Bei mir im Team war ein Querulant, der auf Biegen und Brechen Karriere machen wollte. Nach meiner Einschätzung war er in seiner Entwicklung einfach noch nicht so weit. Ich war unsicher, wie ich damit umgehen sollte."
Ein Mentor aus einem anderen Unternehmen ist neutral
Solche Situationen hat sie dann mit ihrem Mentor besprochen. "In dem konkreten Fall gab er mir den Tipp, offen mit dem Mitarbeiter darüber zu sprechen und das hat auch ganz gut funktioniert." Claudia Knies-May und ihr Mentor konnten unbefangen miteinander reden. Auch das ist ein Vorteil des Cross-Mentorings, denn ein führender Manager aus einem anderen Unternehmen ist neutral, und die vereinbarte Diskretion ermöglicht es beiden, auch heikle Themen zu diskutieren. Dabei ist das Tandem keine Einbahnstraße. Bettina Wietzel-Skakowski von der Commerzbank hat als Mentorin an dem Programm teilgenommen, weil sie, wie sie sagt, früher gerne selbst so eine Möglichkeit gehabt hätte und weil sie neugierig war auf den Austausch mit ambitionierten Nachwuchskräften. Sie hat nicht nur das offene Gespräch mit ihrer Mentee geschätzt. Bereichernd waren auch die vielen Kontakte, die sich bei den Treffen aller teilnehmenden Mentees und Mentoren ergeben haben. Das dabei entstandene Netzwerk ist ihr über das "Tandem-Jahr" hinaus geblieben. Heute sind ihre ehemaligen "Schützlinge" und sie im beruflichen Erfahrungsaustausch gleichberechtigte "Sparrings-Partnerinnen".
Seit 15 Jahren schon gibt es auch bei der Commerzbank Programme für Chancengleichheit. Jutta Wolf ist hier für das Cross-Mentoring verantwortlich. Sie kann überdurchschnittliche Zahlen präsentieren: Etwas mehr als die Hälfte der Mitarbeiter im Unternehmen sind Frauen, bei den Mitarbeitern mit außertariflicher Bezahlung liegt der Frauenanteil bei immerhin 23,4 Prozent, eine beachtliche Entwicklung: Vor 20 Jahren waren es in außertariflich entlohnten Führungspositionen bei fast gleichem Frauenanteil gerade 3,6 Prozent. Eine Steigerung um beinahe 20 Prozent, das ist weit mehr als in Unternehmen, in denen Frauenförderung keine Rolle spielt. Und dennoch ist das für Jutta Wolf noch nicht genug. Auf den beiden höchsten Führungsebenen sind nur etwas über fünf Prozent Frauen anzutreffen. Auch steigen zu viele hoch qualifizierte Frauen aus dem Beruf aus, sobald sie eine Familie gründen. Mit Maßnahmen wie Cross-Mentoring will die Commerzbank Frauen gezielt fördern und ermutigen, beruflich am Ball zu bleiben. Auch bei der Telekom sprechen die Zahlen für solche Programme. Seit 1998 ist der Anteil weiblicher Führungskräfte bei dem Riesen der traditionell männerdominierten Telekommunikations- und IT-Branche von sechs auf 18 Prozent gestiegen, während im Gesamtunternehmen der Frauenanteil im selben Zeitraum leicht zurückgegangen ist von 33 Prozent auf 29 Prozent.
Das Mentoring-Programm
Jeder Programmzyklus ist auf ein Jahr festgelegt. In diesem Zeitraum sollen sich Mentor und Mentee - das Tandem - regelmäßig alle vier bis sechs Wochen treffen. Eine Zielvereinbarung zu Beginn und eine kontinuierliche Reflexion der Zusammenarbeit bestimmen den Erfolg des Mentorings. Gelegenheit zum Netzwerken bieten auch die Veranstaltungen: Die Auftaktveranstaltung dient dem Kennenlernen von Mentoren und Mentees. Nach sechs Monaten gibt es ein weiteres Treffen, um gewonnene Erfahrungen auszutauschen. Bei der Abschlussveranstaltung - nach zwölf Monaten - wird Bilanz gezogen.
Auf lange Sicht spielt das Cross-Mentoring eine wichtige Rolle
Längst haben Unternehmen unterschiedlicher Branchen erkannt, dass die demografische Entwicklung auf einen bedrohlichen Fachkräftemangel hinausläuft, wenn sie ihren Nachwuchs nicht auch mit familienfreundlichen Maßnahmen unterstützen. Dazu gehören auch Angebote, welche die berufliche Weiterentwicklung für Frauen attraktiv machen. Bei der Fraport AG versteht man deshalb das Cross-Mentoring als gezielte Personalförderung: "Diese Maßnahmen sind daher ganz bewusst im Bereich Führungskräfteentwicklung angesiedelt und nicht im Bereich Gleichstellung", erklärt Heidi Schäfer, Projektleiterin in der Führungskräfteentwicklung bei der Fraport AG.
Im Gegensatz zur Commerzbank sind bei Fraport zwar nur 18 Prozent aller Mitarbeiter Frauen, in Führungspositionen sind es dagegen aber mit 22,4 Prozent beinahe so viele wie bei der Bank. Zeigt hier das Cross-Mentoring Effekte? Heidi Schäfer schätzt, dass es ungefähr die Hälfte der ehemaligen "Schützlinge" weitergebracht hat. "All diese Maßnahmen sind eher langfristig zu sehen. Nach einem Jahr wird zwar keine Teilnehmerin sagen können, das Programm ist beendet, und ich bin jetzt eine Stufe weiter. Aber wenn Sie einen Werdegang noch zwei bis drei Jahre weiter verfolgen, stellt sich oft heraus, dass das Cross-Mentoring eine wichtige Rolle gespielt hat."
Impulse von außen
Dabei komme es beim Cross-Mentoring nicht nur auf den fachlichen Austausch an, denn berufliche Weiterentwicklung sei ohne Persönlichkeitsentwicklung kaum denkbar. „Wie gehe ich auf andere Menschen zu? Wie kann ich sie für die Mitarbeit gewinnen und motivieren? Wie verarbeite ich Widerstand und Kritik? Wie zeige ich Lob und Anerkennung und wie artikuliere ich meinen eigenen Anspruch darauf? Das sind sehr wichtige Fragen und Themen im Austausch von Mentee und Mentor“, so Heidi Schäfer. Claudia Knies-May von T-Systems kann das nur bestätigen: "Für mich war es sehr wichtig, Impulse von außen für die Selbstreflexion zu erhalten." Rückblickend, sagt sie, sei sie davon überzeugt, dass sie ihren jetzigen Job im Stab der Personalgeschäftsführung vor allem auch mit Hilfe der Frauenfördermaßnahmen der Telekom erreicht hat. Ihr Weg an die Spitze scheint jedenfalls noch lange nicht zu Ende zu sein.