Nachrichtendiät Besser leben mit selektiver Ignoranz

Von Wolfgang Röhl
Eine konsequente "Nachrichtendiät" soll glücklicher machen
Eine konsequente "Nachrichtendiät" soll glücklicher machen
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Ob Fernsehen, Zeitung oder Internet: Viele der täglichen Nachrichten regen auf und mindern die Lebensqualität. In einem Buch propagiert der Autor Timothy Ferriss die "4-Stunden-Woche" und erklärt, wie man mit "selektiver Ignoranz" zu mehr Zeit und Geld kommt.

"Es gibt viele Dinge, die ein kluger Mann nicht wissen will", befand einst der Philosoph und Schriftsteller Ralph Waldo Emerson. Auf ihn beruft sich Timothy Ferriss. Er hat 126 Jahre nach Emersons Tod einen Ratgeber verfasst, wie man durch "selektive Ignoranz" zu mehr Zeit, Geld und Lebensqualität kommt (Timothy Ferriss: Die 4-Stunden-Woche, Econ Verlag). Großartige Idee! Der Amerikaner gesteht nonchalant, was ihn in Ol‘ Europe unweigerlich auf die Shitlist setzen würde: "Ich schaue mir nie Nachrichten an und habe in den letzten fünf Jahren nur ein einziges Mal eine Zeitung gekauft, auf dem Londoner Flughafen Stansted, und das auch nur, weil ich damit Rabatt auf eine Diät-Pepsi bekam."

Ferriss beschreibt, wie er seinen Arbeitsalltag radikal entrümpelt hat, ohne deshalb weniger zu verdienen. Vor allem eine konsequente "Nachrichtendiät" und die stark reduzierte Nutzung von E-Mail und Internet habe ihn glücklicher, gelassener und erfolgreicher gemacht: "Ebenso wie der moderne Mensch zu viele Kalorien, noch dazu ohne Nährwert, konsumiert, nimmt er zu viele Daten auf. Die meisten Informationen sind negativ, schlucken viel Zeit, haben nichts mit Ihren Zielen zu tun und unterliegen nicht Ihrem Einfluss." Er empfiehlt eine Schnupperwoche Medienfasten. Habe ich ausprobiert.

Das Buch

Timothy Ferriss: Die 4-Stunden-Woche. Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Leben; Econ Verlag
€ 16,90 [D], € 17,40 [A], sFr 29,90
ISBN-10: 3430200512
ISBN-13: 9783430200516

Mittwoch. Finger weg vom Radio! Schluss mit der allmorgendlichen Faktenmüll-Verklappung. Ich kann ja singen, was sie im NDR-Inforadio in Endlosschleife bringen werden. Bombenanschlag hier, Erdbeben dort, und in der Inneren Mongolei ist ein Reissack umgefallen. Vertreter zankender Tarifparteien plustern sich auf wie australische Killerkröten. "Das Angebot der Arbeitgeber ist nicht von dieser Welt..." Strunzdoofe Rituale, jeder weiß ja, was am Ende ungefähr rauskommen wird. Was soll mir das? Ferner die Chose mit der Linkspartei. Rauf und runter das Thema, noch der letzte Hinterbänkler darf dazu ein Ei legen. Genügt es nicht, das Gedöns am Wochenende kurz im Internet zu überfliegen? Das meiste hat sich dann ohnehin von selbst erledigt. "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß", nennt Ferriss das. Lieber ein Hörbuch einlegen auf der Fahrt ins Büro. Geburtstagsgeschenk, lag lange rum. "Die Insel der Stimmen" von Robert Louis Stevenson. Mythische Südseegeschichte, sehr spannend.

Man hört den Wind, wie er ums Haus fegt

Abends ein komisches Gefühl. Wie es jemand kriegt, der in eine Kneipe geht, und es gibt kein Bier. Um acht Uhr - Gong! - ist "Tagesschau"-Zeit. War mein ganzes Leben lang so. Aber heute wird die gewohnte Nachrichtendusche abgestellt. Sowieso bloß öder Verlautbarungsjournalismus, ich weiß. Trotzdem. Es fehlt was. Rufe einen lang nicht gesehenen Freund an, um den Phantomschmerz zu überspielen. Wir verabreden uns. Hat sich schon gelohnt, das Fasten.

Donnerstag. Kein Blick in den stern. Den "Spiegel" gar nicht erst aus dem Büro mitgenommen. Auf dessen Titel war was mit Mutter und Kind, genau nicht mein Ding. Habe beschlossen, erst nächsten Mittwoch in die E-Mails zu gucken. Einmal pro Woche genügt, schreibt Ferriss. Stimmt eigentlich. Wer dringend was von mir will, wird mich anrufen, oder? Und die Mails der Konzernleitung lese ich sowieso nie. Die Offerten für Penisverlängerungen (warum kriege ausgerechnet ich alle Naslang eine?) kann ich dann alle auf einmal löschen. Trotzdem seltsam, dieser kalte Entzug. Da verfügt man über eine der genialen Erfindungen des IT-Zeitalters und nutzt sie nicht. Oder geht es ohne auch ganz gut? Telefoniere in der Zeit, in der ich sonst E-Mails schreibe, mit drei Personen aus der Touristikbranche. Erfahre dabei mehr, als wenn ich ein halbes Jahr intensiv die Fachblätter lese. Künftig mehr telefonieren, heißt die Lektion. Und mal wo hinfahren, Gesicht zeigen. Immer noch das Beste.

Kein Nachrichtenschnee von letzter Woche

Freitag. Normalerweise konsumiere ich abends couchpotatohaft Schrottkrimis wie "Ein Fall für zwei" und nerve meine Frau dann mit Beschwerden über die Volltrottel, die so was produzieren (beim ZDF) und anschauen (ich selber). Heute dagegen ist Leseabend! Was hat es mit Moby Dick wirklich auf sich? Ist das nun ein Weltbuch, wie manche behaupten, oder nur ein besserer Abenteuerschinken? Zufällig besitze ich eine Bertelsmann-Ausgabe aus dem Jahr 1957, vom Flohmarkt. Komme bis Seite 137 an diesem Abend. Kein Zweifel, Herman Melville war ein Großer. Und sein Kapitän Ahab eine Figur für die Ewigkeit. (Ganz still ist es im Kaminzimmer, ohne das ewige Schreien und Ballern aus der Glotze. Man hört den Wind, wie er ums Haus fegt. Wunderbar.)

Sonnabend. Wie sagt Ferriss? "Überprüfen Sie, ob eine Nachricht etwas mit Ihrem Leben zu tun hat." Was hat meins mit dem so genannten Steuerskandal zu tun? Was mit dem Richtungsstreit in der SPD? Selbst mein Lokalblatt kann sich darüber gar nicht einkriegen. Ich schmeiße den überregionalen Mantel weg und studiere den Heimatteil. In Otterndorf bauen sie die Ortsumgehung, endlich! Und auf der Route in mein Büro stehen zwei neue stationäre Radarfallen. Die können auch in Gegenrichtung blitzen. DAS nenne ich Nachrichten!

"Kunst der Nichtvollendung"

Sonntag. Habe "FAS" und "WamS" gestrichen. Nachrichtenschnee von letzter Woche, plus Feuilleton-Geschwurbel und Lifestyle-Geplapper. Dafür Fernsehen! Eine Stunde pro Tag sei lässlich, meint Ferriss. Keine Nachrichten, natürlich. Was dann? Der Tatort, eine Wiederholung. Bei Anne Will wird mit Getöse der handelsübliche Frauen/Kinder/Krippe-Quark breitgetreten, Gäste unter anderen: Renate Schmidt und Claudia Roth. Noch grauenhafter als früher bei Christiansen! Gustloff? Sehe grundsätzlich keine Histo-Soaps. Gezappt und bei Arte angedockt, wo gerade eine Schrift läuft: "Das folgende Programm enthält Szenen, die das sittliche Empfinden mancher Zuschauer verletzen könnten." Gekauft.

Montag. Rückfall! Am Autoradio versehentlich aufs Deutschlandradio gedrückt. Ein C-Politiker, der mal in irgendeinem "Kompetenzteam" saß und den kein Schwein mehr kennt, brabbelt ungebremst über die SPD. "...muss sich mit den Linken inhaltlich auseinandersetzen... Sozialdemokraten sind für soziale Gerechtigkeit..." Wundert‘s wen, dass immer weniger Leute wählen? Dass immer weniger die Nachrichten sehen? Ferriss: "Befreien Sie sich von Ihrer Medienabhängigkeit nach der Pflastermethode: mit einem Ruck. Sonst kommen Sie nie los."

Abends schiebe ich "Heavens Gate" in den Recorder. Berühmtes Western-Epos mit Kris Kristofferson und Isabelle Huppert. Nach einer halben Stunde weiß ich, warum der Film damals an der Kasse gefloppt ist. Er kommt einfach nicht in die Gänge. Aus! Man soll die "Kunst der Nichtvollendung" pflegen, rät Ferriss: "Wenn Sie einen Artikel lesen, der Käse ist, dann legen Sie ihn beiseite und nehmen ihn nicht wieder in die Hand." Nehme mir stattdessen endlich mal meine BfA-Unterlagen vor. O weh! Da ist viel nachzumelden. Wird Zeit kosten. Kann aber gut Geld bringen, später.

"Gehen Sie auf Entzug!"

Dienstag, frühmorgens. Auf stern.de die Lage überflogen. Momentan haben die SPD-Linken Oberwasser. Spannend, nicht? Die Bahn und die Lokführer zoffen sich mal wieder. Wie seit gefühlt 10 Jahren. Und in Venezuela rasselt der Irre mit dem Säbel. Mein Kopf, mein Kopf. Jetzt bloß nichts anklicken! Nur schnell mal eine Minute online zu gehen, das sei völlig unmöglich, sagt Ferries: "Gehen Sie auf Entzug!" Ich schalte den Rechner ab. Bis morgen. Morgen ist die Woche Medienfasten vorbei. Morgen gibt's wieder Stoff. Ach, wir sind allzumal News-Junkies. Und die werden niemals clean, nicht wirklich.

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