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Haftstrafe für Tennislegende Boris Becker hat immer geglaubt, er könne die Regeln selbst machen. Rückblick auf ein ignorantes Leben

Boris Becker als Trainer für Novak Djokovic 2014
Da bestimmte er noch das Spiel: Boris Becker als Trainer für Novak Djokovic 2014
© Julian Smith / DPA
Für Boris Becker gab es immer nur eines, das wichtig war: Boris Becker. Und der glaubte, dass mit den Regeln des Tennis auch ein ganzes Leben zu bestreiten ist. Diese Ignoranz des Spielers Becker hat ihn nun hinter Gitter gebracht. Von einem, der nicht dazu lernen wollte.

Die Welt die Boris Becker einst beherrschte und regierte, war 668,86 Quadratmeter groß. Ein Tennisplatz oder – wie in Wimbledon – "mein Wohnzimmer", wie Becker oft sagte. Diese Welt beherrschte er jahrelang in legendären Spielen und sagenhaften Finals mit Hechtsprüngen und mit über 200 Stundenkilometer schnellen Aufschlägen, allein. "Ich" wie es 2001 auf dem Titel eines großen Nachrichtenmagazins stand.

Diese Welt verließ er mit seinem letzten Profi-Match 1999, um außerhalb der 668,86 Quadratmetern etwas zu führen, was man Leben nennt. Nun, 23 Jahre später endet dieses Becker-Leben in einer Zelle, die, so erzählen es die, die die Umstände kennen, vielleicht sechs oder acht Quadratmeter groß sein wird. Für zweieinhalb Jahre, bei guter Führung für 15 Monate.

Das bedeutet Gefangenschaft

15 Monate, das bedeutet Weihnachten, Ostern, sein Geburtstag, der Geburtstag seiner Mutter, die Geburtstage seiner Kinder, das Turnier in Wimbledon, die US-Open, der Espresso in seiner Bar in London… Das bedeutet Gefangenschaft. Und es bedeutet auch, dass die eigentlich kurze Liste deutscher Sport-Helden hinter Gittern um einen Namen länger wird. Bubi Scholz, Graciano Rocchigiani, Uli Hoeneß, Boris Becker. Muss man sich auch erstmal dran gewöhnen. Dabei hätte es damals, 1999, alles anders werden können.

Denn ausgerüstet für ein Leben nach dem Tennis war er, jedenfalls nach außen. Er war weltweit bekannt, beliebt, ein Held. Und er war mit geschätzten 50 Millionen Dollar Vermögen ein Mann, der hätte klug investieren können. In Projekte, in Sport-Firmen, in Tennis-Schulen was auch immer, sein Name war eine Marke, die strahlte. Tennis-Spieler sind saubere Sportler, Doping oder Schmiergeld-Affären sind aus dem Tennis so gut wie nicht bekannt.

Und Boris Becker hatte auch alle Freiheiten, sich für das Leben nach dem Tennis beraten zu lassen, denn wie soll sich einer, der Bälle über Netze schlug seit er 17 war, sich im Leben der Geschäfte, der Bilanzen, der Verträge auskennen? In den Wochen vor dem Londoner Gericht gestand er selbst ein, noch zu seinen Spielerzeiten keine Verträge oder Kontoauszüge gelesen zu haben, das hätten immer andere für ihn gemacht.

Das war ein seltenes Geständnis, denn das Business-Leben Beckers führte er anders und stellte es anders da. Breitbeinig, first class, Mercedes-Autohaus-Besitzer, Tennis-Schläger-Erfinder, Internet-Pionier, was nicht alles, aber fast alles erfolglos. Es war ein Leben mit nur einer einzigen Überschrift: "Ich". Und dieses Ich, und das kann man heute sagen, hatte die 668,86 Quadratmeter Tennisplatz im Kopf nie verlassen. Becker war immer der Meinung, dass die wenigen Regeln eines Tennis-Matches ausreichen, auch in der Wirklichkeit ein Sieger zu sein und wenn es um den Alltag um ihn herum ging, er die Regeln selber machen könnte.

Das mit dem Ass funktionierte nicht mehr

Wenn man mit ihm sprach und versuchte, die komplizierten Klippen und Winkel seines, wenn man es so nennen kann, Business zu ergründen oder nach den Ursachen seiner millionenschweren Pleite fragte, konnte er immer mit einer Mischung aus Hybris und Gleichgültigkeit herabschauen und es mit "machen Sie sich keine Sorgen, ein Boris Becker hat das im Griff" vom Tisch wischen. Und fragte man weiter, kam manchmal, "das werde ich ich Ihnen nicht verraten, das ist mein geistiges Eigentum." Heute weiß man, dass dieses Eigentum nicht sehr groß war und sich oft auf den Satz beschränkte, den Becker vor vielen Jahren einmal über seine Geschäftstaktik sagte: "Man schlägt sich ein paar Returns um die Ohren, und im richtigen Moment setzt man ein Ass."

Nur, das mit dem Ass funktionierte nicht mehr, wie man in den Tagen vor dem Londoner Gericht erleben konnte. Wie schlecht es um seine rechtliche Lage stand – und dass er das auch wusste – spürte man, wenn man so will, an seinem fehlenden Aufschlagsspiel. Denn auf einmal war da nicht mehr der "Ich"-Becker, sondern der Unschuldige, von allen anderen schlecht beratene; der Unwissende, dem keiner gesagt hatte, welche Immobilien ihm eigentlich gehörten. Das stimmte in mindestens vier Punkten der Anklage aber eben nicht, und die Richterin durchschaute es als das, was es war. Ein Spiel, aber eben ohne Aufschlag, sondern mit, ja, nicht mea culpa Returns.

Es erzählt viel über die Ignoranz des Spielers Becker, zu glauben, er würde das Londoner Verfahren schon irgendwie überstehen. Denn bitte, so sein Glaube, was habe er denn schon verbrochen? Ja gut, hier und da ein paar Summen Geld vergessen zu nennen, aber doch nicht im bösen Willen. Und er, der so viel für den guten Ruf Deutschlands in der Welt gemacht habe, könne auch nicht überblicken wo sein "weltweites" Vermögen genau sei. Es sei die böse Presse, die seinen Ruf so zerstört habe und außerdem, es waren immer andere, die sich an ihm bedient hätten.

Boris Becker hat nicht Reiche um Geld erleichtert, um es Armen zu geben

Es ist dieselbe Ignoranz, die man auch bei anderen in der Prominentenklasse antrifft, wenn zum Beispiel Thomas Gottschalk sagt: "Boris hat keine verarmten Omas abgezockt. Sondern im schlimmsten Falle sind ein paar reiche Geldgeber etwas ärmer geworden, die sich mit dem Ruhm des Tennisidols schmücken wollten, und das war offensichtlich eine Fehlinvestition. Mein Mitleid mit denen hält sich in Grenzen."

Tennis-Legende Boris Becker

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Diese Robin-Hood-hafte Sichtweise stimmt natürlich nicht, denn Becker hat nicht Reiche um Geld erleichtert, um es Armen zu geben, sondern sich Geld geliehen, um die Löcher seines sehr teuren Lebensstils und seiner extrem fehlerhaften Geschäfte zu stopfen. Er hat Rechnungen an Firmen nicht bezahlt, die davon ihre Angestellten entlohnen müssen, er hat Gärtner seines Mallorca Großmanns-Baus auf ihren Forderungen sitzen gelassen undundund. Die Liste, wenn man sie kennt, ist beschämend lang.

Diese Spielregeln gelten für jeden Klempner, jede Verkäuferin. Jeden Becker

Und er hat das Vertrauen eines englischen Insolvenzrechtes missbraucht, das ihm die Chance gab, nach einem Jahr aus allem heraus zu sein, unter der Bedingung, das gesamte Vermögen, jeden Penny, auf den Tisch zu legen. Spielregeln eben, wohlmeinende dazu, die für jeden gelten. Für jeden Klempner, jede Verkäuferin und jeden Becker.

Die Staatsanwältin in London sprach von einem "schlechten Charakter" bei Boris Becker. Das ist hart und auch vielleicht nicht richtig. Besser wäre: ein unfertiger Charakter, einer, der nie sein "ich" zu einem "wir" oder "ihr" verlassen hat.

Und noch etwas, man erinnert sich: Ein Boris hätte gewarnt sein müssen. Schon 2002 verurteilte ihn ein Münchener Gericht wegen Steuerhinterziehung zu 500.000 Euro Strafe und einer Gefängnisstrafe auf Bewährung. Drei Millionen Euro Steuern zahlte er freiwillig nach. Das Geld musste er sich schon damals bei jemandem leihen. So fing das an und führte nun über unzählige finanzielle Abenteuer zum Urteil von London. Musste dahin führen, denn Becker hat in seinem Kopf den Tennisplatz nie verlassen.

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