Lyn steht mitten im Raum, auf dem Boden neben ihr liegt ein grüner Zettel. Er symbolisiert den Punkt, an dem sie heute im Leben steht. Drei Meter hinter ihr liegt ein roter Zettel - ihre Geburt. Vor ihr ein gelber, das Abitur, das die 18-Jährige im nächsten Frühjahr schaffen will. Vor allem die Mathe-Prüfung bereitet ihr Sorgen. Und etwas weiter dahinter die Marke für ihre Zukunft in fünf Jahren: ein rosa Zettel. Gemeinsam mit der Seminarleiterin analysiert die Schülerin im Rückblick ihre Stärken. Wie sie in dem Austauschjahr in den USA selbstbewusster wurde und nach der Rückkehr dank ihrer Offenheit wieder neue Freunde fand. "Schätze finden" heißt diese Übung.
Wettbewerb
Ab in die Werkstatt
Wie Schüler beim Planspiel mitmachen können
Wer wie Kambis und Christian bereits als Schüler Einblicke in die Wirtschaft gewinnen will, der sollte bei der StartUp-Werkstatt einsteigen, dem größten Existenzgründer-Planspiel für Schüler zwischen 16 und 21 Jahren in Deutschland. Gespielt wird über das Internet. Bis zum 31. Januar 2005 können sich die Schüler unter www.startup-werkstatt.de bewerben. Bei dem Wettbewerb, den der stern, die Sparkassen, das ZDF und die Unternehmensberatung McKinsey organi- sieren, gründen die Schüler in Teams von drei bis sechs Mitgliedern ein fiktives Unternehmen. Von Ende Januar bis Mitte Mai müssen sie dazu neun Aufgaben lösen. Schritt für Schritt entwickeln sie ein Konzept für ihr Unternehmen: von der Geschäftsidee über die Marktanalyse, die Erstellung einer eigenen Homepage bis hin zum Businessplan. Dabei sammeln die Jungunternehmer bei jeder Aufgabe Punkte. Die zehn besten Teams werden im Juni 2005 bei der Siegerehrung ausgezeichnet. Auf sie warten Geldpreise in Höhe von insgesamt 6000 Euro. Die ersten fünf reisen außerdem im September ins so genannte Future Camp. Drei Tage lang können sie an einem speziell für Schüler entwickelten Persönlichkeitstraining teilnehmen. Fast 20 000 Schüler waren seit dem Start der StartUp-Werkstatt vor fünf Jahren dabei. An 800 Schulen wird der Wettbewerb bereits in den Unterricht integriert. In Baden-Württemberg können sich Schüler die Teilnahme sogar als "besondere Lernleistung" im Abitur anrechnen lassen. Kooperationspartner sind das Bundeswirtschaftsministerium und die Versicherungen der Sparkassen. Die StartUp-Werkstatt wird vom Medienunternehmen Bertelsmann gefördert und von vielen Kultusministerien unterstützt.
Sieben Schüler im Alter von 17 bis 19 Jahren sind an einem Samstag um neun Uhr morgens in die Frankfurter Uni gekommen. Sie wollen einen Tag lang lernen, wie man sich Ziele setzt und sich selbst motiviert, um sie zu erreichen, eine der so genannten Soft Skills. "Soziale Kompetenz wird im Beruf immer wichtiger", sagt Berufsberater Jürgen Hesse. "Neben den harten Fähigkeiten wie Mathe, Lesen und Schreiben kommt es zunehmend auf die weichen Faktoren an: Wie man zum Beispiel etwas kommuniziert oder ein Ergebnis präsentiert." Hesse hält es daher für sinnvoll, wenn junge Menschen nicht bis zum Berufsanfang darauf warten, diese Fähigkeiten zu trainieren.
Organisiert wird das Seminar
von der Firma "Es4b", die Abkürzung steht für "Educating Students for Business". Dahinter stecken Christian Weller und Kambis Zahedi Anaraki. Die Idee, Seminare für Schüler anzubieten, hatten die heute 20-Jährigen, als sie selbst noch zur Schule gingen. Vor zwei Jahren nahmen sie an der StartUp-Werkstatt teil, dem Existenzgründer-Planspiel vom stern, den Sparkassen, McKinsey und dem ZDF. Allein in diesem Jahr waren mehr als tausend Teams in ganz Deutschland dabei. Interessierte Schüler zwischen 16 und 21 Jahren können sich ab sofort für die Spielrunde 2005 anmelden (siehe Kasten Seite 173).
"Während einer Freistunde haben wir ein Plakat mit dem Aufruf für die StartUp-Werkstatt gesehen", erinnert sich Christian. In einer Sparkassenfiliale bekamen sie die Informationsbroschüren für die Teilnahme. Eine Idee, was für eine Art von Unternehmen sie gründen wollten, hatten sie da zwar noch nicht. Aber zusammen mit vier weiteren Schulfreunden beschlossen sie: "Da machen wir mit."
Das erste Treffen in einem chinesischen Restaurant verlief stürmisch: Von einem Online-Büro bis zu einer Autovermietung speziell für junge Leute, die gerade ihren Führerschein bekommen haben, diskutierten die sechs jungen Unternehmer alle möglichen Ideen - und verwarfen sie wieder. Bis einer vorschlug, Seminare für Schüler anzubieten. "Wir hatten alle Praktika gemacht und gemerkt, wie wichtig soziale Kompetenz ist und wie wenig man die in der Schule lernt", erinnert sich Christian. "Außerdem liefen gerade die ersten Debatten über Pisa und das schlechte Abschneiden deutscher Schüler." Anstatt darauf zu warten, dass sich die Schule ändert, sollten die Jugendlichen lieber selbst etwas tun, fanden sie.
Schritt für Schritt
haben die sechs Jungs die neun Aufgaben des Wettbewerbs bewältigt: von der Unternehmensidee über die Marktanalyse und die Erstellung einer eigenen Internetseite bis hin zum Businessplan. Als Trainer standen ihnen ein Experte von einer Versicherung und ihre Lehrerin zur Seite. Diese "Business-Partner" haben sie sich selbst gesucht. "Das Spiel ist super organisiert, eine Aufgabe baut auf die nächste auf, und nebenbei lernt man unternehmerisches Denken", sagt Kambis. Rückte ein Abgabetermin näher, arbeiteten die Schüler auch schon mal bis tief in die Nacht. "Es hat unseren Ehrgeiz geweckt, weil wir wussten, am Ende gibt es eine Bewertung für die Besten", sagt Christian. Unter die ersten zehn schafften sie es zwar nicht, aber bundesweit kamen sie immerhin auf Platz 53.
Kambis und Christian hat ihre Geschäftsidee auch nach dem Ende des Wettbewerbs nicht mehr losgelassen. Parallel zu den Vorbereitungen aufs Abitur organisierten sie im Februar ihr erstes Semi-nar - mit Erfolg. Inzwischen gehen beide an die Uni: Kambis studiert Betriebswirtschaft, Christian will sein Diplom als Wirtschaftsingenieur machen. Nebenbei veranstalten sie Seminare für Rhetorik, Kommunikation und Zielfindung.
Viel Freizeit bleibt da nicht. "Wann ich das letzte Mal am Wochenende richtig aus war, weiß ich gar nicht mehr", sagt Kambis. Ihre Eltern machen sich schon Sorgen, wenn sie sehen, dass die Augenringe ihrer Söhne immer dunkler werden. Das Studium gehe vor, mahnen sie. Aber natürlich sind sie auch stolz auf ihre Jungs.
Reich geworden sind die beiden Jungunternehmer allerdings noch nicht. Die Kosten sind momentan höher als ihre Einnahmen. Denn die teilnehmenden Schüler zahlen nur 65 Euro pro Seminar, und nicht immer finden sich die gewünschten 15 Interessierten. Deshalb geht zurzeit ihr Erspartes drauf. Aber ans Aufgeben denken sie überhaupt nicht. "Den deutschen Schülern wird vorgeworfen, sie seien unmotiviert und wollten sich immer nur berieseln lassen. Aber Schüler, die an unseren Seminaren teilnehmen, sind begeistert. Da können wir unser Angebot doch nicht wieder vom Markt nehmen", sagt Kambis. Christian und er suchen Sponsoren, die sie beim Druck von Broschüren unterstützen oder ihnen, wie die Unternehmensberatung McKinsey, kostenlos Räume für Seminare zur Verfügung stellen.
Maria Lang,
die Leiterin des Zielfindungs-Seminars, bekommt nur ein Fünftel ihres üblichen Honorars. "In Deutschland wird immer gequengelt, dass die Unternehmer zu wenig tun. Hier gibt es eine sinnvolle Gelegenheit, und die Idee überzeugt mich", sagt die Geschäftsführerin einer Werbeagentur.