Die Minister sind benannt, der Koalitionsvertrag ist unterzeichnet – es kann losgehen mit dem Regieren für die neue Ampelkoalition. Was wollen SPD, Grüne und FDP für Verbraucher alles ändern? Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat das Regierungsprogramm Punkt für Punkt angeschaut und kommt unterm Strich zu einer positiven Bewertung: "In der Breite bietet der Koalitionsvertrag eine ganze Reihe von Maßnahmen und Vorhaben, die den Alltag der Menschen sicherer, einfacher und günstiger machen können."
Insgesamt haben die Verbraucherschützer im Koalitionsvertrag 96 Maßnahmen identifiziert, die das Leben von Verbraucherinnen und Verbrauchern maßgeblich beeinflussen werden. 57 dieser Punkte werden positiv gesehen, 30 seien für eine Bewertung noch zu unkonkret und 9 Maßnahmen bedeuteten eher eine Verschlechterung, so das Fazit.
Hier sind die wichtigsten Punkte im Überblick:
Verbraucherrechte
Zunächst einmal freuen sich die Verbraucherschützer, dass die Ampel-Regierung die finanziellen Mittel für zwei wesentliche Organisationen des Verbraucherschutzes erhöhen möchte: die Stiftung Warentest und den vzbv selbst. Positiv wird auch beurteilt, dass es durch Weiterentwicklung des Instruments der Musterfeststellungsklage leichter werden soll, Verbraucherrechte kollektiv vor Gericht durchzusetzen.
Verträge und Abofallen
Die Regierung hat angekündigt, den Schutz von Verbrauchern vor unseriösen Verträgen und Kostenfallen verbessern will. So soll ein Widerruf möglichst EU-weit durch einen elektronischen Button möglich werden. Bei Verträgen sollen die monatlichen Kosten transparenter dargestellt werden und Abos immer auch mit einer Mindestlaufzeit von höchstens einem Jahr angeboten werden. Zudem soll für Verträge, die Kunden am Telefon aufgequatscht werden, eine allgemeine Bestätigungslösung eingeführt werden.
All dies begrüßt der vzbv ausdrücklich – ob dadurch tatsächlich Kostenfallen vermieden werden, will er aber genau beobachten. Noch unentschlossen sind die Verbraucherschützer zudem, wie ernst es die Regierung mit der Bekämpfung von Abmahnmissbrauch und Missständen im Inkassowesen meint.
Energiepreise
Der CO2-Preis macht Energie teurer. Die Verbraucherschützer unterstützen daher angedachte Maßnahmen zur Unterstützung von ärmeren Haushalten, etwa über höheres Wohngeld und Heizkostenzuschüsse. Beim geplanten Ausbau der Erneuerbaren Energien begrüßt der vzbv finanzielle Entschädigung von Kommunen, die Flächen für Wind- und Solaranlagen zur Verfügung stellen. Er vermisst im Koalitionsvertrag allerdings Maßnahmen für kostengünstige Bürgerstromtarife, durch die ansässige Bürger direkt profitieren können.
Richtig findet der vzbv, dass private Haushalte ab 2023 keine EEG-Umlage auf den Strompreis mehr zahlen sollen und über die Zahlung eines neuen Klimageldes entlastet werden. Wann das Klimageld kommt und wie sozial es ausgestaltet sein wird, ist allerdings noch offen. Lücken sieht der vzbv zudem bei der geplanten Digitalisierung der Energienetze: Von verbraucherfreundlichen variablen Stromtarifen und der kostenneutralen Einführung intelligenter Stromzähler sei keine Rede.
Nachhaltiger Konsum
Verbraucher sollen laut Koalitionsvertrag künftig schon beim Kauf eines Produktes erkennen können, wie langlebig dieses ist. Auch ein "Recht auf Reparatur", eine Update-Pflicht und eine Gewährleistung, die sich an der Lebensdauer eines Produkts ausrichtet, sind vorgesehen. Diese Versprechen für nachhaltigeren Konsum begrüßt der vzbv ebenso wie die Ankündigung einer Kreislaufwirtschaftsstrategie und Maßnahmen zur Müllvermeidung wie ein neues Recycling-Label.
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Ernährung
Der Verbraucherzentralenverband begrüßt, dass schon ab 2022 ein gesetzliches Tierwohllabel kommen soll, das neben den Haltungsbedingungen auch Transport und Schlachtung umfasst. Auch die angekündigte Herkunftskennzeichnung stößt auf Zustimmung.
Bis 2023 soll es zudem eine Ernährungsstrategie geben, die vor allem die Gesundheit der Kinder in den Blick nimmt. Die Forderung des vzbv, Süßgetränke teurer und Obst, Gemüse sowie Hülsenfrüchte günstiger zu machen, wird im Text nicht aufgegriffen. Konkret versprochen wird ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel in Kindersendungen sowie ein flächendeckender Einsatz des Nutri-Scores, der auf den Zucker-, Fett- und Salzgehalt in Produkten hinweist.
Zu unkonkret sind dem vzbv hingegen die Formulierungen zum Umbau der Tierhaltung, verbesserten Tierschutzgesetzen und Senkung des Antibiotikaeinsatzes. Nicht weit genug gehen den Verbraucherschützern zudem die Bemühungen, gegen gesundheitsgefährdende Stoffe in Lebensmittelverpackungen vorzugehen, hier soll lediglich geforscht werden.
Reisen
Die neue Bundesregierung will Flugreisende – wie bei Pauschalreisen – gegen Insolvenz der Fluggesellschaft absichern. Bei der Bahn soll innerhalb des DB-Konzerns eine "gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte" entstehen. Der vzbv begrüßt das und hofft auf stärkeren und faireren Wettbewerb auf der Schiene zum Wohl der Kunden. Auch das Ziel, verschiedene Verkehrsmittel besser zu vernetzen und das Ganze mit wenigen Klicks buchbar zu machen, unterstützen die Verbraucherschützer.
Elektromobilität
Die Ampel-Koalition will Deutschland zum "Leitmarkt für Elektromobilität" machen und bis 2030 mindestens 15 Millionen E-Autos auf die Straßen bringen. Den Verbraucherschützern gefällt nicht nur das Versprechen eines massiven Ausbaus der Ladeinfrastruktur, sondern auch, dass explizit transparente Preise für Ladestrom sowie ein öffentlich einsehbarer Belegungsstatus der Ladepunkte als Ziel genannt wird.
Nachholbedarf sieht der vzbv bei der Entwicklung eines Gebrauchtwagenmarktes, auf dem sich auch Geringverdiener ein E-Auto leisten können. Die Forderung: Verbraucher bräuchten objektive und vergleichbare Angaben zum Zustand der Batterie, um den Kauf eines gebrauchten E-Autos attraktiv zu machen. Komplett kritisch sehen die Verbraucherverteter die Fortführung pauschaler Kaufprämien für Elektroautos unabhängig vom Einkommen. Dies forciere soziale Ungerechtigkeit.
Wohnen
Der Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßt die angekündigte Bauoffensive, insbesondere die versprochenen 100.000 öffentlich geförderten Wohnungen, die pro Jahr entstehen sollen (von 400.000 insgesamt). Beim Mieterschutz hätte sich der vzbv mehr Verbesserungen gewünscht. Die bestehende Mietpreisbremse soll lediglich verlängert aber nicht verschärft werden. Außerdem soll es mehr qualifizierte Mietspiegel geben und die maximal mögliche Mieterhöhung in angespannten Märkten auf elf Prozent (derzeit 15 Prozent) in drei Jahren begrenzt werden.
Finanzprodukte
Der vzbv begrüßt die angekündigte Stärkung der Finanzaufsicht Bafin. Diese solle Prospekte für Finanzprodukte strenger kontrollieren und unseriösen Angeboten den Marktzutritt verwehren, so die Forderung der Verbraucherschützer. Unterstützt wird auch der Plan, dass die Bafin eine Vergleichswebsite für Kontogebühren einrichtet. Das Kapitel zu grünen Anlageprodukten wird hingegen als unzureichend kritisiert, hier drohe die Gefahr von Greenwashing. Gewünscht hätten sich die Verbraucherschützer zudem ein Provisionsverbot für den Verkauf von Finanzprodukten, doch ein solches steht nicht im Regierungsprogramm.
Altersvorsorge
Dass die Ampel eine Reform der privaten Altersvorsorge anstrebt, halten die Verbraucherschützer für "wichtig und überfällig". Im Koalitionspapier heißt es dazu, dass die Einrichtung eines öffentlichen Fonds ebenso geprüft werde, wie die Anerkennung attraktiverer Alternativen zu Riesterprodukten. Der vzbv hätte sich allerdings schon etwas mehr gewünscht als lediglich Prüfaufträge. "Damit bleiben Verbraucher:innen im Unklaren, ob sie eine funktionierende private Altersvorsorge erwarten können." Die versprochene Stärkung der betrieblichen Altersversorgung, in der auch renditestärkere Anlagemöglichkeiten erlaubt werden sollen, lehnt der vzbv ab.
Gesundheit und Pflege
Im Gesundheitssektor begrüßen die Verbraucherschützer unter anderem die angekündigte Stärkung der häuslichen Pflege. Hier ist ein "Entlastungsbudget" und mehr Flexibilität für die Pflegenden angekündigt. Auch die Pläne zum Ausbau der Telemedizin als Teil der Regelversorgung werden positiv beurteilt. Kritisch wird hingegen die angekündigte Anhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung gesehen. Die Verbraucherschützer würden Mehrkosten lieber über Steuern finanzieren.