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Krieg und Energiepreise Warum "Frieren für den Frieden" jetzt der falsche Slogan ist

Eine Frau hält ein Foto mit einem Putin-Bild hoch, auf dem ein roter Handabdruck zu sehen ist
Protest gegen Putin
© Luka Dakskobler / DPA
Können wir Putins Krieg stoppen, wenn wir alle die Heizung etwas herunterdrehen? Warum politische Apelle zum "Frieren für den Frieden" jetzt fehl am Platze sind – und was stattdessen beim Thema Energiepreise passieren muss.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Bürger im Frühstücksfernsehen wegen des Krieges zum Energiesparen aufgerufen. Ex-Bundespräsident Joachim Gauck sagte am Mittwochabend bei "Maischberger": "Wir können auch einmal frieren für die Freiheit." Und Wirtschaftsminister Robert Habeck empfahl vor einigen Tagen: "Wer Putin schaden will, spart Energie."

Die Botschaft der Politik ans Volk: Jeder kann einen Beitrag leisten, um die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu verringern. Um Putins brutales Regime unter Druck zu setzen und sich mit den tapferen Ukrainern zu solidarisieren. Denn beeindruckend viele Menschen in Deutschland sind solidarisch und wollen gerne etwas tun im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Das zeigt sich an den Demonstrationen und an der Bereitschaft, zu spenden (hier geht es zum Spendenformular der Stiftung stern). Aber ist es wirklich eine kluge Idee, die Leute zum Frieren für Frieden und Freiheit aufzurufen? 

Natürlich ist Energiesparen, wo immer es geht, eine gute Sache. Das gilt allein schon aus Klimaschutzgründen. Und in Zeiten, in denen Energie zur politischen Waffe aggressiver autokratischer Herrscher wird umso mehr. Es ist auch mehr als reiner Symbolismus. Wenn wir kollektiv die Heizung etwas herunterdrehen würden, hätte das tatsächlich einen nicht zu unterschätzenden Effekt, wie die wissenschaftliche Denkfabrik Agora Energiewende bestätigt. "Wir gehen davon aus, dass mit optimiertem Heizverhalten, das heißt einem Absenken der Raumtemperatur um 1-2 Grad und optimierten Heizungseinstellungen, der Energiebedarf von Haushalten um mindestens 10-15 Prozent reduziert werden kann", sagte Agora-Deutschland-Direktor Simon Müller der DPA. 

Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.
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Der falsche Ton in der Ukraine-Krise

Trotzdem setzen die Sprüche vom Frieren für Frieden und Freiheit in der Debatte den völlig falschen Ton. Und das aus mehreren Gründen.

Erstens: Die Politik schiebt damit die Verantwortung zur Lösung der Energiekrise ein stückweit dem Einzelnen zu. Das war schon ein großer Irrweg in der gesamten Klimadebatte, als viele Jahre mehr über moralischen individuellen Verzicht gesprochen wurde als über effektive politische Maßnahmen wie einen CO2-Preis. Dass Deutschland heute von russischem Öl und Gas abhängig ist, ist nicht die Schuld der Verbraucher, sondern das Ergebnis verfehlter Energiepolitik. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist nicht so weit, wie er sein sollte und beim Setzen auf Gas als Brückentechnologie hat man es versäumt, andere Bezugsquellen als die russischen zu stärken. 

Zweitens: Die Aufrufe zum Energiesparen mögen als Akt der Selbstermächtigung (man kann was tun!) gemeint sein, aber vielen Menschen dürften sie Angst machen. Wenn es schon so weit ist, dass wir die Heizung herunterdrehen müssen, um die Versorgung sicherzustellen, ist Panik nicht mehr weit. Die breite Unterstützung für die harten Wirtschaftsmaßnahmen gegen Russland könnte dann schnell bröckeln. Die aber ist wichtig, denn teurer wird es für Verbraucher sowieso in nächster Zeit an ganz vielen Ecken und Enden werden.

Drittens: Geradezu zynisch klingen die Forderungen, man könne ja wohl mal ein bisschen aus seiner gemütlichen Wohlstandskomfortzone herauskommen, für diejenigen, die sowieso zu knapsen haben. Wer jetzt schon Probleme hat, seine Gas-Rechnung zu zahlen, wer sich vielleicht schon beim Heizen einschränkt, weil die Preise im letzten Jahr explodiert sind, der sitzt schon längst nicht mehr in der Kuschelecke. Apelle an weiteren Verzicht sind da unangemessen. 

Was jetzt hilft

Statt den Menschen zu sagen, dass sie jetzt leider leiden müssen, um Frieden und Freiheit zu verteidigen, sollte man lieber betonen, dass niemand frieren muss. Selbst wenn Russland nicht mehr liefern sollte und es zu einem echten Energie-Engpass kommt, würden private Haushalte bevorzugt versorgt werden. Das Nachsehen hätten zunächst Industriebetriebe.

Außerdem sollte die Politik einen Plan machen, wie einkommensschwache Haushalte unterstützt werden können, die die vermutlich weiter steigenden Energiepreise wirklich nicht mehr bezahlen können. Den beschlossenen Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger halten Verbraucherschützer und Wohlfahrtsverbände nicht ansatzweise für ausreichend, um die explodierten Kosten auszugleichen. Er müsste kurzfristig deutlich steigen, gegebenenfalls sogar auf weitere Personengruppen ausgeweitet werden. Mittelfristig hilft mehr Tempo beim Ersetzen von Öl- und Gasheizungen durch moderne Wärmepumpen sowie eine starke finanzielle Förderung von Wärmedämmung für mehr Energieeffizienz. Langfristig hilft vor allem der Ausbau erneuerbarer Energien.

Auch beim Thema Spritpreise braucht es sozialere Lösungen. Hier hat die Regierung die Pendlerpauschale für Fernpendler ab 21 Kilometer Wegstrecke erhöht, um die gestiegene Belastung auszugleichen. Die Pendlerpauschale gilt aber als wenig soziales Instrument, da Gutverdiener von ihr stärker profitieren als Geringverdiener. Um Härten für sozial Schwache abzufedern, muss sich die Politik ein anderes Mittel überlegen. Das im Koalitionsvertrag versprochene Klimageld – als sozialen Kompensationsmechanismus für CO2-Steuer und höhere Energiepreise – ist uns die Ampel-Koalition sowieso noch schuldig.

Lesen Sie dazu auch: So könnten Verbraucher beim Heizen und Tanken entlastet werden

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