Bochumer Nokia-Werk SPD geißelt "Subventionskapitalismus"

Wer ist schuld daran, dass der finnische Handy-Hersteller Nokia sein Werk in Bochum schließt? SPD-Vorstand Martin Schulz findet, dass es zu einfach ist, die EU und ihre Förderpolitik zum Sündenbock zu machen. Gleichzeitig kritisiert er im stern.de-Interview Zweifachförderungen.

In Deutschland werden schwere Vorwürfe gegen die Förderpraxis der EU erhoben. Europa soll mit schuld daran sein, dass Nokia von Bochum nach Rumänien zieht. Was läuft falsch in Brüssel?

Nokia hat zwar keine direkte Unterstützung bekommen, aber natürlich bekommt Rumänien, wie Deutschland auch, Gelder aus den Struktur- und Regionalfonds. Dass diese für die Erschließung von Industrieparks genutzt werden, ist europäischer Alltag. Wenn aber der Nokia-Vorstand über das Land zieht und überall dort, wo es Subventionen gibt, diese abkassiert, ist das eine Art von Subventionskapitalismus, den man nicht zulassen kann.

Aber hat die EU nicht diesen Subventionskapitalismus gefördert?

Das sehe ich nicht so. Die Förderung strukturschwacher Regionen wie etwa der neuen Bundesländer oder die Förderung der Umstrukturierung des Ruhrgebiets - das ist nach wie vor richtig. Nicht richtig ist, dass Unternehmen davon profitieren und das Ganze an einem anderen Standort wiederholen, sobald die Förderung ausgelaufen ist.

Zur Person

Martin Schulz, SPD,

Jahrgang 1955, ist Vorsitzender der sozialistischen Fraktion im Europaparlament und Mitglied des SPD-Vorstands. Schulz ist, nach Jahren in der Regionalpolitik, 1994 in das Europaparlament gewählt worden, wo er seit 2004 der SPE-Fraktion vorsitzt. Zu einiger Berühmtheit verhalf ihm ein Streit mit Italiens Ex-Premier Silvio Berlsuconi. Dieser hatte Schulz in einer hitzigen Debatte eine Komparsenrolle als KZ-Aufseher empfohlen.

Aber Nokia kann deshalb kein Vorwurf gemacht werden. Die EU hat die Abwanderung der Firmen nach Osteuropa doch erst ermöglicht.

Das ist nicht richtig. Produzierendes Gewerbe ist erst durch die EU massenhaft nach Deutschland gekommen. Nokia ist vor knapp 20 Jahren aus Finnland nach Bochum gekommen, und es kommen weiter Unternehmen nach Deutschland. Gerade Regionen wie Bochum haben von den Fördergeldern der EU profitiert. Ich bleibe aber dabei: Wenn eine Förderung wie jene für Nokia erfolgt ist, gibt es keinen Grund dafür, dass diese Förderung an einem anderen Ort noch mal gezahlt wird. Man hätte den Rumänen sagen müssen: Nein, Nokia erhält bei euch keine Förderung.

Werden Sie ein Verbot einer Zweifachförderung anstoßen?

Wichtig ist: Die Subventionen sind sinnvoll. Wir verhindern ein Lohn- und Sozialdumping in Europa, indem wir mit den EU-Geldern eine Verbesserung des Lohn- und Sozialniveaus befördern. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in unseren Nachbarstaaten ist also in unserem ureigenen Interesse. Zweifachförderung geht aber nicht. Ich bin für die Unterstützung einer Erstansiedelung. Wenn die gleichen Arbeitsplätze verlagert werden sollen, dann kann man auch sagen: 'Nein, die sind schon mal gefördert worden, die bekommen nichts.' Das geht.

Aber wirklich etwas machen kann die EU nicht. Das Mitgliedsland entscheidet, wer welche Gelder bekommt, und nicht Brüssel.

Im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung muss überprüft werden, nach welchen Kriterien Subventionen verteilt werden. Diese sogenannte finanzielle Vorausschau ist zwar bereits bis 2013 festgelegt, soll aber in diesem Jahr noch einmal überprüft werden.

Aber natürlich haben Sie recht. Die Europäische Union hat keine echte Handhabe. Die Verwendung der Mittel liegt in den Händen der Mitgliedsstaaten. Die Gelder, die in Deutschland ankommen, werden zum Beispiel von Bund und Ländern verteilt und eben nicht von der EU.

Vielfach herrscht die Angst, dass eine Angleichung des europäischen Lohnniveaus immer nur zuungunsten der Arbeitnehmer wohlhabender Staaten wie Deutschland verlaufen kann. Ist diese Angst unbegründet?

Diese Sorge halte ich für unberechtigt. Kein Lohn ist in Deutschland wegen der Erweiterung der Europäischen Union gesunken. Oder können Sie mir einen nennen?

Je mehr Mitgliedsstaaten die Europäische Union hat, desto mehr Länder konkurrieren um die Unternehmen. Weil die Leute das spüren, üben sie schon seit Jahren Lohnverzicht, um eine Abwanderung ihrer Jobs zu verhindern.

Aber doch nicht wegen der Erweiterung der EU. Die Wahrnehmung der Menschen ist falsch. Erstens gehen weit über 90 Prozent der industriellen Arbeitsplätze, die abwandern, nach Asien oder Südamerika. Zweitens sind die zehn neuen Länder in erster Linie ein riesiger Absatzmarkt für uns. Hätten wir diese Staaten nicht aufgenommen, hätten diese heute auch keine europäischen Umweltstandards. Das wäre eine viel größere Wettbewerbsverzerrung. Drittens sind durch die Erweiterung aus ehemals armen Staaten, wie Portugal und Spanien, wohlhabende Länder geworden. Wenn wir eine ähnliche Entwicklung vor unserer osteuropäischen Haustür bewirken können, wird kein anderes Land so sehr davon profitieren wie Deutschland. Mit den zehn neuen Staaten, die wir 2004 aufgenommen haben, ist das Handelsvolumen beinahe schon so groß wie das Handelsvolumen mit den USA.

Wirkt die Nokia-Entscheidung nicht negativ auf das Image der EU?

Ich wüsste nicht, welchen Effekt der Manchester-Kapitalismus von Nokia auf das Image der EU hat. Da stellt sich die Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Frau Thoben, hin und prangert die EU an, damit die Leute ja nicht merken, dass die Landesregierung sich genauso wie die EU hat über den Tisch ziehen lassen. Nordrhein-Westfalen hat das Unternehmen, was richtig war, doch auch finanziert. Es ist immer die gleiche Methode: 'Wenn mir nix mehr einfällt, ist Brüssel schuld.' Mit diesem Verhalten schürt man Europa-Skepsis.

Interview: Sebastian Huld